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Entschließungen der Kammerversammlung am 18. November 2017 im Wortlaut


Solidarität mit osteuropäischen Ärztinnen und Ärzten

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein solidarisiert sich ausdrücklich mit dem Protest der vielen osteuropäischen Ärztinnen und Ärzte, die im Oktober dieses Jahres gegen überbordende Arbeitsbelastung aufgrund von Personalmangel, Bürokratie und mangelnde Bezahlung bei Unterfinanzierung ihrer Gesundheitssysteme gestreikt haben.


Medizinischer Nutzen muss bei Telematik-Infrastruktur im Vordergrund stehen

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Forderung des Ärztlichen Beirats zur Begleitung des Aufbaus einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen, dass medizinische Anwendungen der Telematik-Infrastruktur nur dann zur Anwendung kommen dürfen, wenn diese zuvor im ärztlichen Versorgungsalltag auf Qualität, Nutzen und Patientensicherheit geprüft worden sind.

Die nordrheinischen Delegierten kritisieren in Übereinstimmung mit dem Ärztlichen Beirat den – unter der Sanktionsandrohung des E-Health-Gesetzes gefassten – Beschluss der Gesellschafter der Betreibergesellschaft gematik, nach dem der alleinige Nachweis der technischen Funktionsfähigkeit von Hard- und Software für künftige Anwendungen durch die Hersteller für die Marktzulassung reicht. Der Beschluss fiel gegen die Voten der mit der Einführung der Anwendungen Notfalldatenmanagement und eMedikationsplan/Arzneimitteltherapiesicherheit betrauten Gesellschafter Bundesärztekammer und Deutscher Apothekerverband.

Die Delegierten mahnen an, dass damit ein rein kommerzielles Marktmodell eingeführt wird, welches nur noch auf die technische Funktionsfähigkeit setzt und nicht mehr darauf achtet, ob die Instrumente in der medizinischen Anwendung nutzen und akzeptiert werden oder im schlimmsten Fall dem Patienten sogar schaden.

Die nordrheinischen Delegierten appellieren an die handelnden Akteure in Politik und Selbstverwaltung, eine geeignete Organisationsstruktur für die Festlegung von Zulassungskriterien zu definieren und die inhaltliche Erprobung einzelner medizinischer Anwendungen umgehend zu veranlassen.

Um einer Zersplitterung, technischer Inkompatibilität und Kommerzialisierung vorzubeugen, fordern die Delegierten die schnelle Umsetzung einer einheitlichen, umfassenden sowie einrichtungs- und sektorenübergreifenden elektronischen Patientenakte, unter Anwendung anerkannter, offener technischer Standards für die Definition Datenmodellen und Schnittstellen (bspw. Health Level 7). Patientinnen und Patienten müssen frei über die Nutzung der elektronischen Patientenakte entscheiden können, die Speicherung der Daten muss unter ihrer vollen Hoheit stehen.


Gematik beschließt potentielles Milliardengrab

Die Gesellschafterversammlung der gematik hat – entgegen aller im Vorfeld konsentierten Vereinbarungen – beschlossen die vorgesehene Evaluation und Praxistauglichkeit für die elektronische Gesundheitskarte nicht vorzunehmen.

Dieser Beschluss stellt in Augen der Ärzteschaft der ÄK Nordrhein einen Skandal dar. Ohne adäquate Erprobung und Evaluation werden den Praxen, Krankenhäusern u.v.a. Investitionen in Millionenhöhe möglicherweise Milliardenhöhe aufgezwungen in eine Technik die noch völlig unerprobt ist oder nur bei vom Verkäufer bestimmten Anwendern. Hiermit eine Patientenversorgung in der breiten Fläche zu versuchen, ist völlig unverantwortlich. Es steht zu befürchten, dass die unzureichend oder nicht getestete Technik zu massiven Beeinträchtigungen in der Patientenversorgung, unnötiger Verzögerung von bewährten Prozessen in der Versorgung und zu einer gigantischen Verschwendung von Versichertengeldern führt.

Patienten haben - genau wie bei der Zulassung von Arzneimitteln – ein Anrecht darauf, dass nur nachweislich funktionierende und ausreichend erprobte und getestete Systeme (Hard- und Softwareprodukte) zur Versorgung in der Fläche eingesetzt werden. Auch ein breitflächiges Verteilen der Versichertengelder in eine nicht evaluierte Technik ist wirtschaftlich völlig unverantwortlich.

Die Ärzteschaft fordert daher, dass alle zuvor beschlossenen Evaluations- und Testphasen vollumfänglich und ergebnisoffen durchgeführt werden und nur ausreichend und positiv (wirtschaftlich und zweckmäßig, eine Verbesserung der Versorgung ergebend) getestete und evaluierte Systeme und Anwendungen für die Patientenversorgung zugelassen werden.


Keine Anschaffung von Komponenten für eine Telematik-Infrastruktur ohne Beteiligung von Ärzten, ohne praxisnahe Prüfung von Praktikabilität und Sicherheit und ohne sämtliche erforderlichen Zulassungen

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein kritisiert den Beschluss der gematik, nach dem Anbieter der Konnektoren eine Marktzulassung erhalten können, wenn sie den Nachweis der Funktionsfähigkeit in einer von ihnen selbst definierten und durchgeführten Feldtest-Umgebung erbracht haben, ohne dabei die praktischen Anforderungen aus dem Versorgungsalltag sowie die Bedürfnisse der Patienten zu berücksichtigen.

Zahlreiche Beschlüsse der Ärzteschaft fordern im Gegenteil, dass vor der Marktzulassung und Einführung von Komponenten einer Telematikinfrastruktur (TI) praxisnahe Tests und Ergebnisbewertungen unter Einbeziehung der Ärzteschaft unverzichtbar sind. Dies ist Voraussetzung für die Gewährleistung von Praktikabilität und Sicherheit. 

Durch diesen Beschluss der gematik werden auch Sinn und Zweck des ärztlichen Beirats der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, ärztlichen Sachverstand im Hinblick auf Praktikabilität und Sicherheit bei Telematik und eHealth einzubringen, missachtet.

Weiter schließt sich die Kammerversammlung den Hinweisen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV-Homepage, Informationen für die Praxis, Stand September 2017) an, nach denen sämtliche Komponenten, die für den Anschluss an eine TI erforderlich sind, zuvor von der gematik bzw. vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie zugelassen sein müssen.

Ärzte und Psychotherapeuten sollen keinen Vertrag zum Anschluss an die TI oder zu einzelnen Komponenten abschließen, solange nicht sicher ist, dass alle notwendigen Komponenten zugelassen und lieferbar sind, und solange diese Komponenten nicht unter Mitwirkung der Ärzte im Hinblick auf Funktion, Praktikabilität und Sicherheit getestet wurden.


Gematik-Beschluss gefährdet Patientensicherheit

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein kritisiert massiv die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der gematik vom 01.09.2017, nach denen die Anwendungen „Notfalldatenmanagement“ und „eMedikationsplan/Arzneimitteltherapiesicherheitsprüfung“ ohne Erprobung in den Versorgungsalltag eingeführt werden sollen.

Dieses Vorgehen verstößt fundamental gegen die Zusagen der gematik und des Bundesministeriums für Gesundheit, nur ausreichend erprobte und evaluierte Anwendungen zuzulassen. Erfolgskritische Faktoren wie Praktikabilität, Akzeptanz bei Patienten und Ärzten, medizinischer Nutzen und Patientensicherheit werden so in unverantwortlichem Maße beiseitegeschoben. Diese sollen lediglich zu einem späteren Zeitpunkt nach der Einführung in die Versorgung begleitend evaluiert werden.

Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung fielen gegen die Voten der Bundesärztekammer und des Deutschen Apothekerverbandes. Das BMG hat von seinem Recht, die Beschlüsse zu beanstanden, keinen Gebrauch gemacht.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein stellt fest, dass sie die zügige Einführung des „Notfalldatenmanagement“ und „eMedikationsplan/Arzneimitteltherapiesicherheitsprüfung“ unter der Voraussetzung der arzt- und patientenseitigen, praxisnahen Erprobung befürwortet, da beide das Potential haben, die Patientenversorgung zu verbessern.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert das BMG und die gematik auf, den beschlossen Weg zu verlassen und schließt sich der Position des Ärztlichen Beirates zur Begleitung des Aufbaus einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen an.


gematik

Die Gesellschafterversammlung der gematik hat – entgegen aller früheren Aussagen und konsentierten Vereinbarungen – beschlossen, die vorgesehene Evaluation und Praxistauglichkeit für die elektronische Gesundheitskarte auszusetzen. Dieser Beschluss ist für die Ärzteschaft der Ärztekammer Nordrhein unannehmbar.


Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und auf Bundesebene mit dem Ziel, die unterschiedlichen inhaltlichen Anforderungen an die ärztliche Qualifikation nach Einheitlichem Bewertungsmaßstab und Qualitätssicherungsvereinbarungen an die Anforderungen der Weiterbildungsordnung anzugleichen

Die Kammerversammlung empfiehlt, Gespräche zur inhaltlichen Angleichung der Anforderungen an die ärztliche Qualifikation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zu führen und die Thematik auch den Vertragspartnern auf Bundesebene nahezubringen. Qualifikations-anforderungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab und in den Qualitätssicherungsvereinbarungen sollten sich an den Qualifikationsanforderungen nach der Weiterbildungsordnung orientieren.


Zusatzweiterbildung Psychotherapie, Reform der MWBO

Die Kammerversammlung Nordrhein setzt sich dafür ein, dass die Zusatzweiterbildung Psychotherapie weiterhin ambulant und nebenberuflich erwerbbar bleibt. Hierzu müssen statt Ableistung von Zeitkontingenten die notwendigen Kompetenzen aus dem psychiatrischen bzw. dem psychosomatischen Fachgebiet nachgewiesen werden.


Antrag zur Aufnahme der Psychosomatischen Grundversorgung in die MWBO der Kinder- und Jugendmedizin

Die Kammerversammlung Nordrhein empfiehlt der Bundesärztekammer die Aufnahme der Psychosomatischen Grundversorgung in die neue MWBO auch bei den Kinder- und Jugendärzten und -ärztinnen.


Arbeitsentwurf eines Psychotherapeuten-Ausbildungsreformgesetzes

Die Kammerversammlung lehnt den Arbeitsentwurf eines Psychotherapeuten-Ausbildungsreformgesetzes in der jetzigen Fassung ab.

Die im Entwurf angelegte Zersplitterung der somatischen und psychischen Behandlungskompetenz widerspricht einer adäquaten, ganzheitlichen Versorgung kranker Menschen.

Die im Arbeitsentwurf vorgeschlagene Möglichkeit zur Einrichtung eines Modellstudiengangs, der nicht-ärztliche Psychotherapeuten zur Feststellung, Verordnung und Überprüfung von psychopharmakologischen Maßnahmen berechtigt, ist im Sinne der Patientensicherheit unvertretbar.

Ebenso wenig darf es zu einer autonomen Ausweitung der Tätigkeit anderer Heilberufe in den gesamten ärztlich verantworteten Bereich (Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation - ambulant wie stationär) im Sinne einer Parallelstruktur kommen.

Die Kammerversammlung fordert die neue Bundesregierung auf, die geplante Ausbildungsreform grundsätzlich zu überdenken und dabei auch die Ärzteschaft intensiv einzubeziehen.


Notfall-Rufnummer 116117. Die Nummer, die hilft.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert Verordnungsgeber, Herausgeber und Hersteller von Krankenversicherungs-Karten (GKV und Privat) auf, auf der Rückseite dieser Karten ein Feld mit dem Eintrag „Ärztlicher Bereitschaftsdienst Tel. 116117“, d. h. mit einem Hinweis auf die bundeseinheitliche Notruf-Nummer, vorzusehen und zu beschriften. Dies ist schnellstmöglich mit und bei Ausgabe von neuen bzw. zu ersetzenden Versicherten-Karten umzusetzen.


 

Eine Bürgerversicherung wird dem Morbiditätsanstieg nicht gerecht

Der bei den Sondierungsgesprächen für eine „Jamaika-Koalition“ von den „Grünen“ geforderte Einstieg in die Bürgerversicherung ist eine Fortsetzung des Irrweges der GKV.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein warnt ausdrücklich vor der Einführung einer Bürgerversicherung, weil die gesetzliche Krankenversicherung bereits heute dem Morbiditätsanstieg nicht gerecht wird und ein „weiter so für Alle“ allein zu Lasten der Kranken geht.

Stattdessen gehören die Themen Patientensteuerung, Selbstbeteiligung und Kostenerstattung in den Fokus.


 

CO-Melder-Pflicht

 

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Landesregierung auf, in besonders gefährdeten Umgebungen (Shisha-Bar, Wohnungen mit Gastherme etc.) neben der bereits bestehenden Rauchmelder-Pflicht auch CO-Melder verpflichtend einzuführen.

 
 

 

Erhöhung der Ausbildungskapazitäten der Medizinerausbildung

 

Die Kammerversammlung fordert die Bundesregierung auf, die Ausbildungskapazitäten des Medizinstudiums um 20 % zu erhöhen, um den Bedarf an humaner medizinischer Versorgung in einer Gesellschaft das langen Lebens sicherzustellen.