Der neue Krankenhausplan für Nordrhein-Westfalen steht. Seit Ende 2024 wissen die gut 300 Krankenhäuser im Land, welches Leistungsportfolio sie künftig noch anbieten dürfen. Trotz teils schmerzhafter Einschnitte bekräftigen alle Beteiligten, dass sie nach wie vor hinter der Reform stehen. Kampflos aufgeben wollen viele dennoch nicht. Gut 90 Klagen sind gegen Leistungskürzungen anhängig.
von Heike Korzilius
Die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche sichern, Überversorgung bei elektiven Leistungen abbauen und die Zentrenbildung bei hochkomplexen Eingriffen fördern – so lassen sich die Ziele der Krankenhausplanungsreform in NRW zusammenfassen. Seit das Land kurz vor Weihnachten 2024 die Feststellungsbescheide verschickt hat, wissen die Krankenhäuser, welches Leistungsportfolio sie künftig noch anbieten dürfen. Während in den Leistungsgruppen Intensivmedizin, Allgemeine Chirurgie und Allgemeine Innere Medizin dem NRW-Gesundheitsministerium zufolge fast alle Anträge der Kliniken berücksichtig wurden, um eine wohnortnahe Grundversorgung der Patientinnen und Patienten zu sichern, verzeichneten viele Häuser bei den Leistungsgruppen der Spezialversorgung herbe Einschnitte. Beispiel Nordrhein: Im Regierungsbezirk Köln wurden nach Angaben des Ministeriums von 47 Anträgen zum Einsatz künstlicher Kniegelenke nur 28 positiv beschieden, ein Minus von 40 Prozent. Die Endoprothetik Hüfte wurde bei 57 Anträgen lediglich 31 Kliniken zugewiesen, ein Minus von 48 Prozent. Noch drastischer fielen die Ergebnisse in der hochspezialisierten onkologischen Versorgung aus. Im Regierungsbezirk Köln hatten 24 Kliniken die Behandlung von Leberkrebs beantragt, doch nur sechs erhielten eine Zuweisung (minus 75 Prozent), bei der Behandlung von Speiseröhrenkrebs waren es drei von zwölf, ebenfalls ein Minus von 75 Prozent. Im Regierungsbezirk Düsseldorf fielen die Zahlen in den genannten Bereichen ähnlich aus.
Was bedeutet das nun konkret vor Ort? „Wir haben in manchen Bereichen dazugewonnen, in anderen verloren“, sagt Dr. rer. pol. Christian Adolphs im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt (RÄ). Der Geschäftsführer der Schön Klinik Düsseldorf bezeichnet es als großen Erfolg, dass man dem Haus der Grund- und Regelversorgung im Stadtteil Heerdt sowohl die Primär- als auch die Revisions-Endoprothetik von Hüfte und Knie zugesprochen hat. Mehr als 600 Fälle jährlich verzeichnet die Klinik bei diesen Indikationen. Die Folge: Die Schön Klinik hat das Personal in diesem Bereich aufgestockt. „Spätestens jetzt tritt auch ein, was sich die Architekten der Krankenhausplanung erhofft hatten: Die Krankenhäuser schauen, wo sie miteinander kooperieren können“, beschreibt Adolphs die Entwicklung. So habe die Uniklinik Düsseldorf beispielsweise die Zulassung für die vier Leistungsgruppen der Endoprothetik verloren und könne dank einer Kooperationsvereinbarung mit der Schön Klinik weiterhin als Spezialversorger in hochkomplexen Fällen endoprothetisch tätig sein. Geplant sei zudem, dass Orthopäden der Schön Klinik künftig endoprothetische Sprechstunden an der Uniklinik anbieten.
„Großer Verlierer bei uns im Haus ist die Gefäßchirurgie“, räumt Adolphs ein. Bis 2023 sei die Schön Klinik auf die Shunt-Chirurgie spezialisiert gewesen, also Eingriffe, die in die Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie fallen. Im Januar 2024 habe sich das Haus aufgrund eines Chefarztwechsels neu positioniert, einen mittleren sechsstelligen Betrag in Geräte und räumliche Ausstattung investiert und seither in großer Zahl die drei Leistungsgruppen Bauchaortenaneurysma, Carotis operativ/interventionell sowie komplexe periphere arterielle Gefäße erbracht. „Entsprechend sind wir davon ausgegangen, dass das Land hier zu unseren Gunsten entscheiden würde, zumal die Krankenkassen in der ersten Verhandlungsrunde im Frühjahr 2023 ein positives Votum abgegeben hatten“, sagt der Klinikgeschäftsführer. Nachdem sich aber nun abzeichne, dass das Haus diese Leistungen nicht mehr erbringen darf, habe der gefäßchirurgische Chefarzt mitsamt seinem Ärzteteam die Klinik verlassen.
Gewinner und Verlierer
Rein wirtschaftlich hält sich Adolphs zufolge der Schaden für die Klinik durch den Wegfall der speziellen Gefäßchirurgie in Grenzen. Aber es gebe eben auch medizinische Argumente, die für einen Verbleib der drei Leistungsgruppen an der Schön Klinik sprächen, erklärt deren ärztlicher Direktor Priv.-Doz. Dr. Oliver Spelten. Es gebe Fachbereiche, die sich aus der Grundgesamtheit eines Hauses schwieriger herauslösen ließen als andere, gibt er zu bedenken. „Wenn die Gefäßchirurgie wirklich wegfällt, werden wir in der HNO bestimmte gefäßnahe Tumore nicht mehr so operieren können wie jetzt. Da würde uns das Backup fehlen, oder wir müssten uns für die OP ein gefäßchirurgisches Team aus einer anderen Klinik hierherholen.“
Die Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach sehen sich ebenfalls als Gewinner und Verlierer. „Wir haben die neurologische Frührehabilitation als neue Leistungsgruppe zugewiesen bekommen“, sagt deren Geschäftsführer Dr. rer. medic. Paul Schneider. „Sieben Leistungsgruppen dürfen wir nach Krankenhausplan aber in Zukunft nicht mehr an diesem Standort erbringen.“ Dabei handle es sich ganz überwiegend um Spezialleistungen wie Pankreaseingriffe, Stammzelltransplantationen oder die Revision von Knie- und Hüft-Endoprothesen. „Wirtschaftlich fällt der Wegfall dieser Leistungsgruppen gar nicht so sehr ins Gewicht“, erklärt Schneider. „Von unserem Selbstverständnis als Maximalversorger her allerdings schon.“ Denn man verfüge vor Ort über die fachliche Expertise und die Infrastruktur – auch um sämtliche Komorbiditäten von Patientinnen und Patienten qualitativ hochwertig zu behandeln, ist der Geschäftsführer überzeugt.
Auch die Geriatrie gehört künftig nicht mehr zum Leistungsportfolio des Krankenhauses Maria Hilf, weil das Land die Auffassung vertritt, dass die Versorgung in Mönchengladbach durch zwei andere fallzahlstarke Anbieter gesichert sei. Zudem habe man in Maria Hilf die Geriatrie nie als eigenständige Fachabteilung, sondern als Subdisziplin innerhalb der Neurologie betrieben. Geschäftsführer Schneider kann diese Argumentation zwar nachvollziehen. Er kritisiert allerdings, dass die Behörden bei der Bewertung der Fallzahlen zu schematisch vorgegangen seien. „Außerdem stellt sich die Frage, ob die Streichung der geriatrischen Leistungen in Maria Hilf mit Blick auf die demografische Entwicklung die richtige Entscheidung ist.“ Zumal die Kliniken Maria Hilf mit Abstand der größte Notfallversorger in der Region seien, was nur zu unnötigen Unterbrechungen in der Behandlungskette und Verlegungsfahrten führen werde. Außerdem verfüge man hier am Standort über vier Spezialkliniken für Innere Medizin, die Komorbiditäten der meist hochbetagten geriatrischen Patienten mitbehandeln könnten. „Die Klinik, die an unserer Stelle den Zuschlag bekommen hat, hat eine Allgemeine Innere Abteilung. Da kann man sich schon fragen, ob die Geriatrie hier nicht besser angesiedelt wäre“, sagt Schneider.
Die Kliniken Maria Hilf haben, ebenso wie die Schön Klinik, gegen den Wegfall ihrer Leistungsgruppen vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Vier Wochen hatten die Krankenhäuser Zeit, gegen den Feststellungsbescheid des Landes Rechtsmittel einzulegen. Insgesamt sind dem NRW-Gesundheitsministerium zufolge 93 Klagen sowie zehn Eilverfahren anhängig, wobei diese Zahlen nicht mit der Zahl der Kläger gleichgesetzt werden können. Denn beklagt werden müssen Einzelentscheidungen. Letztlich haben bislang 89 Krankenhäuser Klage eingereicht, so das Ministerium.
Obwohl sie sich entschieden haben, den Klageweg zu beschreiten, stehen beide Krankenhausgeschäftsführer hinter der Planungsreform. „Sie ist inhaltlich richtig und auch grundsätzlich geeignet, die von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gesetzten Ziele zu erreichen“, betont Christian Adolphs von der Schön Klinik. „Aber die Struktur der Krankenhausplanung zwingt uns fast, um die gefäßchirurgischen Leistungsgruppen zu kämpfen.“ Durch den Bezug auf die Fallzahlen aus der Vergangenheit würden aktuelle Entwicklungen beispielsweise beim Personal oder im Leistungsspektrum nicht schnell genug berücksichtigt. Diese Trägheit der neuen Planungssystematik sei eine Schwäche, die behoben werden müsse, meint der Klinikgeschäftsführer.
Das Land hat Augenmaß bewiesen
Alles in allem sei er mit der neuen Krankenhausplanung aber zufrieden, nicht nur mit Blick auf das eigene Haus. Auch die Versorgung in der Region entwickle sich positiv. Das Land habe beim Ausbau von Schwerpunkten Augenmaß bewiesen und eine flächendeckende Grundversorgung erhalten. Jetzt müsse man sehen, ob alle Häuser mit der erfolgten Leistungsgruppenzuweisung auch langfristig wirtschaftlich arbeiten könnten, sagt Adolphs.
Auch Maria Hilf-Geschäftsführer Schneider hält die Krankenhausplanungsreform grundsätzlich für „gut, richtig und notwendig“. Bei begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen sei es nur logisch, eine gestufte Versorgung zu schaffen. Es gebe aber aus seiner Sicht Beispiele, wo der Krankenhausplan in seiner Reinform nicht zur Anwendung gekommen sei. So sei an einem Nachbarkrankenhaus eine HNO-Belegabteilung mit 100 Fällen jährlich neu geschaffen worden. In der Folge habe Maria Hilf für die Leistungsgruppe HNO von den beantragten 4.200 Fällen nur 4.100 zugesprochen bekommen. „Es wurde jetzt also eine Mini-Fachabteilung neu kreiert, die es nach der reinen Lehre eigentlich nicht mehr geben sollte. Das halte ich auch vor dem Hintergrund, dass es in direkter Nachbarschaft bereits einen zweiten bestehenden Anbieter gibt, für nicht nachvollziehbar“, kritisiert Schneider. Auch wegen solcher Ungereimtheiten habe man sich in Mönchengladbach zur Klage entschlossen.
Die Entscheidungen über die Leistungsgruppen seien gründlich und mit einem umfassenden Beteiligungsverfahren erarbeitet worden, betont das NRW-Gesundheitsministerium gegenüber dem RÄ. „Aber es war auch immer klar, dass die neue Planung für die allermeisten Häuser eine Veränderung gegenüber dem Status Quo bedeutet und dass es zu Gerichtsverfahren kommen wird“, erklärt eine Sprecherin. Es sei nachvollziehbar, dass bei einem Bescheid, der erhebliche Folgen für den Betrieb eines Krankenhauses habe, alle Wege ausgeschöpft würden, um für das eigene Haus zusätzliche Zuweisungen von Leistungsgruppen oder eine generelle Aufnahme in den Krankenhausplan zu erreichen. Jetzt gelte es, das weitere Verfahren vor Gericht und insbesondere die Frage abzuwarten, worum es im Einzelfall gehe.
Aufschiebende Wirkung haben die Klagen – mit Ausnahme der Eilverfahren – nicht. Die Reform wird deshalb, wie geplant, am 1. April dieses Jahres wirksam. In einzelnen Bereichen wie der Kardiologie und der Notfallversorgung besteht eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2025. Das Ministerium begründet die verlängerte Umsetzungsphase mit den hohen Fallzahlen oder der besonderen Notfallrelevanz dieser Leistungsgruppen, die zusätzlich Zeit für die Anpassung von Kapazitäten erfordere.
Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) spricht für ihre Mitglieder, wenn sie betont, dass die Krankenhäuser im Land unverändert zur neuen Krankenhausplanung der Landesregierung stehen. Denn diese beruhe auf einem gemeinsam ausgearbeiteten und überprüften Konzept und stelle die Versorgung der Menschen in den Regionen in den Mittelpunkt. „Das ist der genaue Gegensatz zur Krankenhausreform, die die scheidende Bundesregierung ohne Auswirkungsanalyse und ohne Rücksicht auf den Rat der Praktikerinnen und Praktiker in Kraft gesetzt hat“, heißt es auf Anfrage des RÄ. Die KGNW, vor allem aber die Ärztekammern im Land, treibt die Frage um, wie sich die Reform mit ihrer Zentren- und Schwerpunktbildung auf die ärztliche Weiterbildung auswirken wird. Wie bei den Leistungsgruppen werde auch bei der Weiterbildung entscheidend sein, dass Krankenhäuser miteinander kooperierten, um weiter attraktive Arbeitgeber für angehende Fachärztinnen und -ärzte zu bleiben, meint die KGNW.
Rotationen in der Weiterbildung
Auch der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, ist überzeugt, dass die Spezialisierung der Krankenhäuser in einigen Fachgebieten dazu führt, dass viele Häuser nicht mehr das gesamte Leistungsspektrum anbieten können, das innerhalb einer fachärztlichen Weiterbildung absolviert werden müsse. Er bekräftigt, dass die Ärztekammer darauf achten werde, dass die Leistungen zum Erwerb einer Facharztweiterbildung in genügend Krankenhäusern angeboten werden können, um Flaschenhälse zu vermeiden. Dazu müssten Weiterbildungsverbünde und Rotationsmöglichkeiten zwischen Krankenhäusern ausgebaut werden.
Derweil sieht Schön Klinik-Geschäftsführer Adolphs kaum negative Auswirkungen der Planungsreform auf die Situation der Weiterbildung in seinem Haus. „Es ist eher umgekehrt. Wir haben uns mit dem Uniklinikum in Düsseldorf schon abgestimmt, dass deren Assistenzärzte im Rotationsverfahren bei uns einen Teil ihrer orthopädischen Weiterbildung absolvieren können, weil wir die Endoprothetik im vollen Umfang anbieten.“ Kooperationen in der Weiterbildung seien ohnehin auch in anderen Fachgebieten gelebte Praxis.
Maria Hilf-Geschäftsführer Schneider rechnet damit, dass er sich Weiterbildungspartner im Bereich der Hüft- und Knie-Revisionen suchen muss, wenn es dabei bleibt, dass das Haus diese Leistungsgruppen verliert. Bislang habe man dem chirurgischen Nachwuchs die volle Weiterbildung bis hin zum „speziellen Orthopäden“ aus einer Hand anbieten können. Von 41 Weiterbildungsmöglichkeiten am Standort seien allerdings zurzeit nur zwei oder drei von Einschränkungen betroffen. „Nichtsdestotrotz ist das unschön“, meint Schneider. „Meine Erfahrung ist, dass die angehenden Fachärzte ihre Weiterbildung gerne von Anfang bis Ende an einem Ort absolvieren.“ Die Notwendigkeit der Rotation könne sich möglicherweise zu einem Nachteil im Wettbewerb um Fachkräfte entwickeln.
2,5 Milliarden Euro für die Umstrukturierung
Die NRW-Landesregierung stellt für Maßnahmen zur Umsetzung des neuen Krankenhausplans bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2027 insgesamt 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Die ersten Förderbescheide in Höhe von rund 409 Millionen Euro hat das Landesgesundheitsministerium nach eigenen Angaben Anfang Dezember an acht nordrhein-westfälische Krankenhäuser erteilt. So erhalten beispielsweise die Kliniken der Stadt Köln insgesamt 250 Millionen Euro für die Errichtung eines neuen Gesundheitscampus. Bei diesem Vorhaben werden laut Ministerium drei Krankenhäuser zusammengelegt. Das Johanniter-Krankenhaus in Bonn erhalte für die notwendige Erweiterung der gynäkologischen und geburtshilflichen stationären Versorgung Fördermittel in Höhe von rund zehn Millionen Euro. 33,3 Millionen Euro fließen in den Neu- und Umbau der neurologischen Abteilungen inklusive einer Stroke-Unit und einem geriatrischen Bereich am Evangelischen Krankenhaus in Mettmann.
Die verbleibende Fördersumme von rund 2,1 Milliarden Euro wird dem Ministerium zufolge in den kommenden Jahren für weitere notwenige Strukturveränderungen und Investitionen an die Krankenhäuser in NRW ausgezahlt.