Lachgas hat sich als Partydroge etabliert. Auch sogenannte K.O.-Tropfen sind in der Partyszene als Rauschmittel gebräuchlich („Liquid Ecstasy“). Der Konsum beider Substanzen kann schwere gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Eine Gesetzesinitiative des Bundesgesundheitsministeriums, den Verkauf von Lachgas an Minderjährige und K.O.-Tropfen zu verbieten, liegt nach dem Ende der Ampel-Koalition auf Eis. Die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein sehen jedoch dringenden Handlungsbedarf.
von Jocelyne Naujoks
„Der Missbrauch von Lachgas als Droge ist ein altes Problem, es hat in den vergangenen zwei Jahren nur drastisch zugenommen“, sagt Professor Dr. Volker Limmroth, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin der Kliniken der Stadt Köln. Immer häufiger kommen demnach Patientinnen und Patienten in die Notaufnahmen, die Symptome einer Lachgasvergiftung zeigen. „Wir haben ein bis zwei Fälle pro Woche. Und unsere Klinik liegt rechtsrheinisch, die Kölner Partymeile ist linksrheinisch. Wir sehen hier nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt Limmroth. Dem Neurologen zufolge sind es zumeist junge Erwachsene, die mit Lähmungserscheinungen in die Klinik kommen. „Ein regelmäßiger Lachgaskonsum führt zu einem Mangel an Vitamin B-12 und dadurch zu einer häufig irreversiblen Schädigung des Rückenmarks.“ Patienten bemerkten zunächst ein Kribbeln in Händen und Füßen, dann folgten Taubheitsgefühle und schließlich Lähmungserscheinungen. „Und plötzlich können junge Patienten trotz Therapie nie wieder laufen“, so Limmroth.
Lachgas vom Kiosk um die Ecke
Lachgas hat in den vergangenen Jahren eine steile Drogenkarriere hingelegt. So stellte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen in seinem Lagebild zur Rauschgiftkriminalität für 2022 fest, dass sich Fälle, die mit dem Missbrauch von Lachgas in Zusammenhang stehen, im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifachten. Auch die Zahl der Unfälle und Selbstverletzungen unter Lachgaseinfluss nahmen zu.
Die Spraydosen und Lachgaskartuschen sind im Internet, in Kiosken oder in sogenannten Spätis und sogar im Supermarkt als Zylinder für Sahnebereiter erhältlich. Das Gas wird meist mithilfe eines Luftballons inhaliert und soll eine euphorisierende und entspannende Wirkung haben. In den sozialen Medien wird Lachgas als sicherer Partyspaß dargestellt, für jeden schnell und vor allem legal erhältlich.
Obwohl Lachgas vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsene beliebt ist, sind die Kartuschen auch für Minderjährige frei verfügbar. „Sie liegen im Büdchen neben der Schule zwischen Cola und Schokoriegel und sind so auch für Kinder jederzeit schnell und legal erhältlich“, kritisiert der Neurologe Limmroth. Elterninitiativen versuchten mittlerweile die Büdchenbetreiber dazu zu bewegen, freiwillig auf den Verkauf von Lachgas an Minderjährige zu verzichten. Die Stadt Köln wolle zudem zumindest auf kommunaler Ebene die Abgabe an Minderjährige verbieten. Auch andere Städte wie Aachen und Dortmund oder das Land Niedersachsen planen Ähnliches.
Schwere gesundheitliche Folgen möglich
Neben langfristigen Schäden könne Lachgas schon bei einmaligem Konsum schwerwiegende Folgen haben, betont Dr. Lydia Berendes, Fachärztin für Anästhesiologie, Spezielle Schmerztherapie und Intensivmedizin und Mitglied im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein. In der Medizin werde Lachgas unter Kontrolle und Überwachung durch medizinisches Personal und vor allem mit ausreichend Sauerstoff als Trägergas eingesezt. „Die Inhalation von reinem Lachgas ohne Beimischung von Sauerstoff, hat einen Sauerstoffmangel zur Folge und zwar nicht nur bei der Inhalation selbst, sondern auch danach, wenn das im Blut gelöste Lachgas wieder in die Lungen ausströmt.“ Bei den Betroffenen könnten zum Beispiel hypoxisch bedingte Krampfanfälle oder Arrhythmien auftreten. Eine Überdosierung könne unter anderem zu Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen sowie Gleichgewichts- und Orientierungsstörungen bis hin zur Ohnmacht führen, so Berendes. Immer wieder erschienen zudem Patientinnen und Patienten in den Praxen und Kliniken, die Erfrierungen im Mund und an den oberen Atemwegen aufwiesen, weil sie das Gas direkt aus der Kartusche eingeatmet hätten. Wichtig ist es ihr auch, darauf hinzuweisen, dass Lachgas bei häufigem Gebrauch suchtfördernd ist und teratogen wirken kann. Nicht zu vergessen sei, dass es sich bei Lachgas um ein starkes Treibhausgas handele und die vielen leeren Kartuschen ein zusätzliches Müllproblem verursachten.
Ärzteschaft fordert schnelles Handeln
Berendes hält es für dringend erforderlich, den Verkauf von Lachgas zu regulieren und K.O.-Tropfen zu verbieten. „Die Wirkung dieser Substanzen, meist Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO), ist stark dosisabhängig und von Mensch zu Mensch unterschiedlich“, sagt die Anästhesistin, die als leitende Oberärztin am Helios Cäcilien-Hospital Hüls in Krefeld tätig ist. „Das Wirkspektrum reicht von Glücksgefühlen, Entspannung und Enthemmung über leichten Schwindel und Schläfrigkeit bis zu einem tiefen, komaähnlichen Schlaf, Atembeschwerden und Bewusstlosigkeit.“ Letzteres habe der Substanz auch die Bezeichnung „Vergewaltigungsdroge“ eingetragen. Die Wirkung von GBL und BDO setze nach zehn bis zwanzig Minuten ein und halte etwa ein bis drei Stunden, in Ausnahmefällen auch bis zu 24 Stunden an. „Den Opfern werden die Tropfen ins Getränk gemischt, ohne dass sie es merken. Die Täter nutzen die anschließende Wehrlosigkeit nicht nur für Diebstähle, sondern auch für sexuelle Übergriffe aus“, warnt Berendes. Für Dritte sei es oft schwer zu erkennen, was mit den Opfern geschehen sei. Sie zeigten häufig unspezifische Symptome, die zum Beispiel auch bei hohem Alkoholkonsum auftreten. „Dazu kommt, dass GBL und BDO nur vier bis acht Stunden im Blut und bis zu zwölf Stunden im Urin nachweisbar sind“, betont Berendes.
Gleichzeitig gibt es der Anästhesistin zufolge immer mehr Menschen, die GBL oder BDO als „Liquid Ecstasy“ zur Entspannung oder Enthemmung freiwillig einnehmen. „Gerade in Verbindung mit Alkohol, Opiaten oder Tranquilizern kann schon eine geringe Dosis GHB, in das sich GBL und BDO im Körper verwandeln, zu Atemlähmungen führen und eine intensivmedizinische Behandlung notwendig machen“, sagt Berendes. Auch hier berge die regelmäßige Einnahme ein hohes Suchtpotenzial.
Verdacht immer ernst nehmen
„Patientinnen und Patienten, die den Verdacht äußern, mit K.O.-Tropfen betäubt worden zu sein, nehmen wir immer sehr ernst“, berichtet Patricia Faßbender, Chefärztin der Abteilung für Innere Medizin am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal, aus dem Alltag. „Sollte der Verdacht eines sexuellen Übergriffes bestehen oder geäußert worden sein, werden Patienten umgehend gynäkologisch oder proktologisch untersucht, um Spuren zu sichern.“ Das Klinikum Weyertal gehört zu einem von insgesamt sechs Krankenhäusern in Köln, die auch eine anonyme Spurensicherung durchführen. Patientinnen und Patienten, die Opfer von Sexualstraftaten geworden sind, können so auch im Nachhinein noch Anzeige erstatten. Der ärztliche Untersuchungsbericht verbleibt in dem Fall in der Klinik, gesicherte Spuren werden anonymisiert und im Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln archiviert.
Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die in die Notaufnahme kommen, weil ihnen K.O.-Tropfen verabreicht wurden oder sie selbst welche genommen haben, variiert laut Faßbender stark. „Wenn in Köln besondere Großereignisse stattfinden, kann es vorkommen, dass wir zwischen drei und fünf Patienten aufnehmen. Ansonsten hängt es auch davon ab, in welchen Clubs der Stadt welche Substanzen im Umlauf sind. Werden Patienten aus bestimmten Clubs zu uns gebracht, kann das schon ein Hinweis darauf sein, mit welchen Substanzen sie in Kontakt gekommen sein könnten.“ Besonders wichtig ist laut Faßbender daher auch die enge Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst. „Die meisten Patientinnen oder Patienten werden völlig hilflos in Begleitung einer Freundin oder eines Freundes ins Krankenhaus gebracht. Auf den ersten Blick können wir meist nicht konkret nachvollziehen, was passiert ist“, berichtet sie. „Wir versorgen die Patienten dann zunächst mit Flüssigkeit und überwachen sie auf unserer Intensivstation.“ Ob ein Verbot den Konsum von K.O.-Tropfen verhindern kann, hält Faßbender für fraglich. „Es wird immer Mittel und Wege geben, die Substanzen zu beschaffen.“
Das Bundeskabinett hatte noch im vergangenen November einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach gebilligt, die Abgabe von Lachgas und des in der chemischen Industrie verwendeten GBL und BDO an Kinder und Jugendliche deutlich zu erschweren. Unter anderem sah der Entwurf ein Abgabeverbot von Lachgas über Automaten und Spätkaufläden sowie den Versandhandel vor. Nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers sollten die Substanzen GBL und BDO unter ein gesetzliches „Umgangsverbot“ für neue psychoaktive Stoffe fallen. Das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung hat eine Umsetzung des Vorhabens noch in dieser Legislaturperiode verhindert.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) hatte sich in ihrer Sitzung im November 2024 hinter die Gesetzespläne gestellt und eindringlich vor der Nutzung dieser „Partydrogen“ gewarnt. Die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte forderten die Politik auf, im Sinne des Jugendschutzes die Suchtprävention auszubauen und die Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit zu fördern.
„In den Niederlanden und in Großbritannien gilt Lachgas bereits als Droge. Sowohl der Besitz als auch der Verkauf zu „Freizeitzwecken“ sind bis auf Ausnahmen verboten“, sagt ÄkNo-Vorstandsmitglied Berendes. „Deutschland muss hier dringend nachziehen.“