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Nach der Reform ist vor der Reform

11.12.2024 Seite 12
RAE Ausgabe 1/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2025

Seite 12

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Der Bundesrat hat die umstrittene Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gebilligt. Sie kann damit zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Die Befürworter wollten ein Aus der Reform im Vermittlungsausschuss verhindern. Die schärfsten Kritiker, darunter NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, befürchten, dass die starren Vorgaben aus Berlin die Versorgung in den Ländern in Zukunft verschlechtern könnten. Einigkeit besteht indes länder- und parteiübergreifend darüber, dass es ein „Weiter so“ nicht geben darf.

von Heike Korzilius

Die Sitzung bot eine gewisse Dramatik. Bis zuletzt war nicht sicher, ob eine Mehrheit der Länder im Bundesrat am 22. November das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) billigen würde. Oder ob man das Gesetz, wie unter anderem von Ärzteschaft, Krankenhäusern und den unionsgeführten Ländern gefordert, zwecks Nachbesserung in den Vermittlungsausschuss überweisen würde. Am Ende fehlten fünf Stimmen für eine Überweisung. 

Kernstück des Prestigeprojekts von Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach ist eine Reform der Krankenhausfinanzierung, die mit deutlichen Strukturveränderungen einhergehen und ab 2027 greifen soll. Nach dem KHVVG erzielen die Kliniken in Zukunft ihre Erlöse nicht mehr in erster Linie durch die Abrechnung von medizinischen Leistungen in Form von Fallpauschalen. Um den ökonomischen Druck zu verringern, sollen sie 60 Prozent ihrer Betriebskosten durch Pauschalen erwirtschaften, die allein für das Vorhalten bestimmter Leistungsgruppen fließen. Die im KHVVG definierten 65 Leistungsgruppen wie zum Beispiel Kardiologie, Allgemeine Chirurgie oder Knieendoprothetik werden den Krankenhäusern von den Ländern zugewiesen, denn diese sind verfassungsrechtlich für die Krankenhausplanung verantwortlich. Sämtliche Leistungsgruppen sind jedoch mit bundeseinheitlichen Qualitätskriterien hinterlegt. Das heißt, in ganz Deutschland gelten dieselben Anforderungen an erforderliche Fachdisziplinen, die für jede Leistungsgruppe in den Kliniken vorgehalten werden müssen, sowie an die technische und personelle Ausstattung. Das Vorhaltebudget für eine Leistungsgruppe erhalten die Krankenhäuser zudem nur dann, wenn sie die dafür festgelegten Mindestvorhaltezahlen erfüllen, also die vorgegebene Mindestzahl der am Krankenhausstandort erbrachten Behandlungsleistungen in der Leistungsgruppe. Damit orientiert sich die Vorhaltevergütung faktisch an der Zahl der Vorjahresfälle.

Es gibt kaum einen Akteur im Gesundheitswesen, der nicht von der Notwendigkeit einer Krankenhausreform überzeugt ist. Ärztekammern, Krankenhausgesellschaften und Krankenkassen stehen deshalb ebenso wie große Teile der Politik ganz grundsätzlich hinter den Zielen der Reform, bei der es darum gehen soll, Doppelstrukturen in Ballungsgebieten abzubauen, Spezialisierung auszubauen, die Grundversorgung auch auf dem Land zu sichern und ökonomische Fehlanreize zu beseitigen. Betroffene und insbesondere die unionsgeführten Länder bezweifeln jedoch, dass die Regelungen des KHVVG die Lage der Krankenhäuser entscheidend verbessern werden.

Auch der Bundesrat flankierte die Billigung des Gesetzes mit einer Entschließung, der ein gemeinsamer Antrag der SPD-geführten Länder Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern zugrunde lag. Darin werden an entscheidenden Punkten der Reform Nachbesserungen gefordert. So hält die Länderkammer die Anforderungen an den Facharztstandard bei manchen Leistungsgruppen auch angesichts des Fachkräftemangels für zu hoch. Außerdem monieren die Ländervertreter, dass die Vorhaltevergütung nicht hält, was sie verspricht, weil sie immer noch abhängig ist von der Leistungsmenge. Kritisiert wird zudem, dass das Bundesministerium für Gesundheit die finanziellen Auswirkungen der Reform nicht ausreichend dargelegt habe. Für die Übergangszeit, bis die neuen Finanzierungsmechanismen greifen, fordern die Länder eine Überbrückungsfinanzierung, die die aktuellen Kostensteigerungen und die Inflation ausgleicht.

Kalten Strukturwandel verhindern

Der Bundesrat greift damit einige zentrale Punkte der Kritiker der Lauterbachschen Reform auf. Einer der prominentesten ist NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der sich im Vorfeld der Bundesratssitzung vehement für eine Überweisung des KHVVG in den Vermittlungsausschuss stark gemacht hatte. Der Bundesrat habe mit seiner Billigung eine große Chance vertan, das Gesetz für die Patientinnen und Patienten besser zu machen, erklärte Laumann im Anschluss an die Abstimmung. Auch er hält die Vorgaben für die Facharztstandards für zu eng gefasst. Nicht nur, aber gerade in ländlichen Regionen werde es oftmals schwer werden, die geforderten Facharztzahlen zu erreichen. Die Folge: Krankenhäuser könnten bestimmte Leistungen, beispielsweise zur Behandlung von Notfällen oder von Kindern und Jugendlichen, nicht mehr erbringen und müssten aus der Versorgung ausscheiden.
Nach Ansicht des Ministers reichen zudem die Regelungen des KHVVG nicht aus, um den Krankenhäusern finanziell wirklich zu helfen. Die neue Vorhaltekostenfinanzierung wirke erst ab dem Jahr 2027. „Ob das zu einer wirklichen Entlastung der Krankenhäuser von ökonomischen Zwängen führen wird, ist völlig ungewiss“, sagte Laumann. Zumal es nach wie vor einen starken Fallbezug gebe. Wie zuvor schon die Mehrheit im Bundesrat ist auch der Minister überzeugt, dass ein kalter Strukturwandel nur durch eine Überbrückungsfinanzierung verhindert werden kann. Die mit dem KHVVG vorgesehenen Verbesserungen unter anderem bei der Refinanzierung von Tarifkosten für Löhne und Gehälter rückwirkend ab 2024 reichten nicht aus, um ein unkontrolliertes Krankenhaussterben zu verhindern.

Laumann betonte zugleich, er habe das KHVVG mit einer Überweisung in den Vermittlungsausschuss nicht stoppen, sondern besser machen wollen. „Wir brauchen eine Reform der Krankenhausversorgung in Deutschland“, so der Minister. „Dass mir das ernst ist, zeigt alleine, dass wir die Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen von Grund auf umgestalten.“ Diese diente dem Bund als Blaupause; nach Ansicht der Kritiker hat der Bund jedoch mit allzu strengen und starren Vorgaben den Handlungsspielraum der Länder in der Krankenhausplanung über Gebühr eingeengt und damit verhindert, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt werden können.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte dagegen im Bundesrat vor einer „Verwässerung“ der Reform gewarnt, sollte diese in den Vermittlungsausschuss überwiesen werden. Würden die Qualitätsvorgaben für die Leistungsgruppen angetastet, bleibe letztlich alles beim Alten. „Kommt es zu Verwässerungen, hat der Bund kein Interesse mehr an einer Reform“, sagte Lauterbach, räumte aber zugleich ein, dass jedes Gesetz über die Jahre weiterentwickelt werden könne.

„Man kann immer noch gegensteuern“, sagt, ganz pragmatisch, auch NRW-Gesundheitsminister Laumann. Wesentliche Teile des Gesetzes träten erst in gut zwei Jahren in Kraft. Bis dahin werde sich zeigen, dass das Gesetz in den Flächenländern die Versorgung gefährde, weil sich der Fachärztemangel nicht auflösen werde.

Die Ärztekammer Nordrhein, die von Anfang an in die Krankenhausplanungsreform in NRW einbezogen war und diese nach wie vor mitträgt, hatte sich im Vorfeld der Bundesratsentscheidung entschieden für Nachbesserungen am KHVVG im Vermittlungsausschuss ausgesprochen. Die Kammerversammlung fasste am 16. November einen entsprechenden Beschluss. Jetzt sagt Kammerpräsident Dr. Sven Dreyer: „Wir wünschen uns, dass eine Nachfolgeregierung dieses Gesetz noch einmal gründlich nachjustiert.“
Glaubt man den Umfragen zur Bundestagswahl, dürfte die Union die nächste Bundesregierung anführen. Deren gesundheitspolitischer Sprecher, Tino Sorge, hatte Ende November, nach der Abstimmung im Bundesrat, gegenüber der Augsburger Allgemeinen das KHVVG als ein „unfertiges Gesetz mit völlig ungewissen Auswirkungen“ bezeichnet. Es brauche Ausnahmeregelungen und ein vernünftiges Maß an Beinfreiheit für die Länder. Allerdings will auch Sorge keinen kompletten Neustart der Reform. Er halte es für sinnvoller, auf der Grundlage des KHVVG aufzubauen. Zugleich kündigte er in der Augsburger Allgemeinen an, die Union wolle im Falle eines Wahlsieges Bundesgesundheitsminister Lauterbach durch einen Minister aus ihren Reihen ablösen. „In der Gesundheitspolitik brauchen wir einen Stil- und Politikwechsel“, so Sorge.


Die Krankenhausplanung in NRW
In Nordrhein-Westfalen hat die Krankenhausplanungsreform die Phase der Umsetzung erreicht. Dort erhalten die Krankenhäuser bis Ende dieses Jahres die Feststellungsbescheide mit ihrem zukünftigen Leistungsportfolio nach der neuen Planungssystematik. Wirksam werden die Bescheide aber erst am 1. April 2025, wie das NRW-Gesundheitsministerium mitteilte. Für bestimmte Leistungsgruppen solle es eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2025 geben, damit die Krankenhäuser genügend Zeit hätten, notwendige organisatorische, personelle oder bauliche Veränderungen umzusetzen. Wie sich die gewünschte Spezialisierung und die Leistungsverlagerungen in der Krankenhauslandschaft auf die ärztliche Weiterbildung auswirken werden, werde die Ärztekammer Nordrhein kritisch begleiten, kündigte deren Präsident Dr. Sven Dreyer an.