Laut OECD-Studie aus dem November dieses Jahres liegt die Lebenserwartung in Deutschland bei 81,2 Jahren und damit erstmals unter dem EU-Durchschnitt. Gleichzeitig geht aus dem Bericht hervor, dass Deutschland EU-weit das meiste Geld für Gesundheit ausgibt. Im Bundesrat zog Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diese beiden Studienergebnisse vor Kurzem heran, um damit die Qualität des Gesundheitswesens und vor allem die der Kliniken in Deutschland infrage zu stellen.
Doch wer die geringere Lebenserwartung im EU-Durchschnitt populistisch mit der angeblich schlechten Qualität von Kliniken in Deutschland begründet, macht es sich eindeutig zu leicht. Wer glaubt, allein durch Gesetze die Lebenserwartung einer Bevölkerung signifikant erhöhen zu können, verkennt die wissenschaftlich unumstrittenen Einflüsse, die Bildung, Armut, Umwelt und gesunder Lebensstil auf die Lebenserwartung haben.
Wer glaubt, wir könnten mit Krankenhausbehandlungen oder Arztkontakten ausgleichen, dass Deutschland mit seiner Adipositasrate über dem EU-Durchschnitt liegt, dass jeder fünfte Erwachsene raucht, dass Deutschland weltweit zu den zehn Ländern mit dem höchsten Alkoholverbrauch zählt und dass die entscheidenden Faktoren für die Bildungschancen von Kindern in Deutschland immer noch die Bildung und das Einkommen der Eltern sind, der überschätzt die Möglichkeiten der Medizin und unterschätzt die Bedeutung der dringend notwendigen Prävention auf allen gesellschaftlichen Ebenen und in allen Politikbereichen.
Den Schlüssel kann man im diesjährigen OECD-Bericht finden. So heißt es dort, dass die Förderung einer guten körperlichen und geistigen Gesundheit über den gesamten Lebensverlauf hinweg von entscheidender Bedeutung ist, um den Menschen ein möglichst langes aktives und erfülltes Leben zu ermöglichen und den Bedarf an Gesundheits- und Langzeitpflegesystemen im Zusammenhang mit der Bevölkerungsalterung zu verringern. Vielleicht hätte der Bundesgesundheitsminister der Überarbeitung des Präventionsgesetzes mehr Vorrang einräumen sollen, um etwas zur Steigerung der Lebenserwartung zu tun.
Eine jüngst erschienene Studie des Public Health-Experten Zilong Bian et al. Im British Medical Journal kommt zu dem Schluss, dass es vor allem vier Faktoren sind, die einen gesunden Lebensstil ausmachen: Nichtrauchen, regelmäßige Bewegung in ausreichender Intensität, genug Schlaf und eine ausgewogene, gesunde Ernährung. Ein so definierter Lebensstil kann ein genetisch bedingtes Risiko für eine kürzere Lebenserwartung beziehungsweise einen vorzeitigen Tod statistisch zu etwa 62 Prozent ausgleichen. Von einem Bundesgesundheitsminister erwarten wir, dass er solche Studien kennt und sie mit in seine Überlegungen einbezieht, bevor er die Lebenserwartung allein an unserem angeblich so schlechten Gesundheitssystem festmacht und damit die im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen nachhaltig demotiviert.
Wir enden zum Schluss des turbulenten Jahres 2024 mit einem weiteren Studienergebnis. US-Forschende haben herausgefunden, dass eine zuversichtliche Einstellung die Gesundheit nachhaltig fördert und die Lebenserwartung um 5,4 Prozent oder 4,4 Jahre erhöhen kann. In diesem Sinne wünschen wir allen Kolleginnen und Kollegen: Bleiben Sie optimistisch und lassen Sie uns 2025 mit viel Elan an einer guten Patientenversorgung und einer Stärkung der Prävention arbeiten. Wir wünschen Ihnen und Ihren Angehörigen eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein
Dr. Arndt Berson, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein