Ob als schneller Kurier für dringend benötigte Laborproben oder bei der Suche nach verletzten Personen in unwegsamem Gelände: Das Gesundheitswesen bietet für Drohnen vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Auch in Deutschland haben sich erste Kliniken auf den Weg gemacht, um ihre Logistik mit den unbemannten Fluggeräten zu ergänzen.
von Marc Strohm
Wir schreiben das Jahr 2028: Ein Patient wird mit hohem Fieber und Schüttelfrost in die Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses in Mönchengladbach-Rheydt gebracht. Er klagt über Verwirrtheit und Schmerzen. Die Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren eine Sepsis. Um diese Erkrankung optimal antibiotisch zu behandeln, benötigen die Mediziner eine rasche mikrobiologische Erregerdiagnostik. Die Blutprobe wird entnommen und muss „nur noch schnell“ ins rund 13 Kilometer entferne Labor nach Mönchengladbach-Hardt geschickt werden. Die Ärzte entscheiden sich aufgrund der Verkehrslage in diesem dringenden Fall für einen Kurierflug mittels Drohne, welche im Rahmen eines Forschungsprojektes über das Smart City Förderprogramm des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen in der Stadt Mönchengladbach gefördert wird.
Das unbemannte Flugsystem, ein weißes Miniaturflugzeug mit schwarzen Rotorblättern, wartet bereits auf dem Dach des Gebäudes und muss nur noch beladen werden, der Stauraum befindet sich im Rumpf der Maschine. Die Rheydter Ärzte bestätigen die Beladung auf einem Tablet, dann hebt sich das Fluggerät surrend in den blauen Himmel. Es folgt dabei einer programmierten Route. Überwacht wird die Drohne von einem Piloten am Flughafen Mönchengladbach, der im äußersten Notfall manuell eingreifen kann. Sie überfliegt energieneutral den nachmittäglichen Stau auf den Straßen und landet innerhalb von zwanzig Minuten vor dem Labor.
Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film wirkt, könnte in absehbarer Zukunft in Mönchengladbach zum Alltag werden, sagt der Intensiv- und Notfallmediziner Dr. Tim Lange. Seit vergangenem Sommer plant der Geschäftsführende Arzt am Elisabeth-Krankenhaus in Kooperation mit dem Flughafen Mönchengladbach den Einsatz von unbemannten Fluggeräten in der Krankenhauslogistik. Bisher müssen dringende Proben mit dem Taxi vom Rheydter Krankenhaus ins Labor nach Hardt gebracht werden. Häufig mühen sich die Fahrzeuge dann durch den Berufsverkehr und stehen im Stau — wertvolle Zeit geht verloren. „Ich habe regelmäßig hochkritische Fälle, bei denen ich eine sehr schnelle mikrobiologische Analyse aus dem Labor benötige, um meine Antibiotikatherapie besser steuern zu können. Die Drohnen könnten hier einen immensen Zeitgewinn verschaffen“, erklärt Lange im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt.
Bis die Drohne jedoch vom Krankenhausdach starten und dann zum Labor fliegen darf, muss bei der zuständigen Luftfahrtbehörde ein langer Genehmigungsprozess durchlaufen werden. Ein erster Testflug für die Drohne ist im Frühjahr 2025 angesetzt. Sollte das Projekt erfolgreich verlaufen, plant Lange, nicht nur Laborproben über den Luftweg zu verschicken, sondern auch Blutkonserven über große Strecken für Operationen zu transportieren. Der Notfallmediziner hofft, dass die Drohnen bereits in den nächsten fünf Jahren für dringende Kurierflüge regelhaft eingesetzt werden können. In einem weiteren Schritt sei geplant, die Drohnen auch zur Beschaffung von Antiseren bei Vergiftungen einzusetzen. So würden beispielsweise manche Wirkstoffe gegen Knollenblätterpilzvergiftungen nur in spezialisierten Krankenhäusern vorgehalten. Durch die Drohnen sei auch hier ein schneller Transport möglich.
Drohnen sind schnell und vielseitig
Auch Philipp Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugsystemdynamik an der RWTH Aachen, sieht für Drohnen enormes Potenzial im Gesundheitswesen. Im Forschungsprojekt „EULE“ erprobt er den TW Neo, ein von der RWTH Aachen gemeinsam mit der flyXdrive entwickeltes Mini-Flugzeug, weiß mit schwarzen Rotorblättern an den Kippflügeln. Bei einer Flügelspannweite von zwei Metern sowie einer Länge von 1,4 Metern bringe das Fluggerät knapp acht Kilo auf die Waage, so Müller. Konzipiert sei es für den Transport über große Distanzen und fliege, nachdem zuvor ein Zielort festgelegt wurde, weitgehend autonom. Dabei starte der TW Neo senkrecht aus einem Roboterarm. „Tatsächlich birgt die Nutzung eines unbemannten Flugsystems in der Logistik viele Vorteile“, sagt der Drohnen-Spezialist und verweist wie die Kollegen aus Mönchengladbach auf die Unabhängigkeit von der Verkehrslage auf den Straßen. Dringend benötigte Blutkonserven, Hornhauttransplantate oder Medikamente könnten so schnell ans Ziel gebracht werden. Um sehr bald auch größere medizinische Güter wie Organe mit den dazugehörigen kontinuierlich überwachten Behältern sicher transportieren zu können, will die RWTH zukünftig auch Flugsysteme mit deutlich größeren Nutzlastfähigkeiten zum Einsatz bringen. Besonderes Augenmerk legen die Forscher an der RWTH darauf, dass das Flugsystem immer einsatzbereit ist. „Uns ist wichtig, dass wir keine Transportflüge absagen müssen, nur weil der Wind ein wenig zu stark ist oder es gerade regnet“, sagt Müller. „Damit werden unsere unbemannten Flugsysteme zuverlässige und schnelle Transportmittel und haben insbesondere auf dem Land das Potenzial die Versorgung zu verbessern.“
Zum Versand von Medizinprodukten durch Drohnen haben die Aachener Wissenschaftler eine Empfehlung erarbeitet: Diese sieht vor, dass sich Ärztinnen und Ärzte mit einem Auftrag, zum Beispiel dem Transport eines Hornhauttransplantats, an einen zentralen Service wenden können. Dieser programmiert die Flugroute und steuert die Drohne zunächst automatisiert zum Krankenhaus, das die Hornhaut entnommen hat, und dann zum transplantierenden Krankenhaus. Zum Be- und Entladen der Drohne seien keine Vorkenntnisse notwendig, sodass sich die Klinikmitarbeiter kein spezielles Wissen aneignen müssten, betont Müller.
Neben der verbesserten Logistik bieten Drohnen auch für Rettungseinsätze Vorteile. Ausgestattet mit einer Kamera kann der TW Neo Müller zufolge zum Beispiel nach vermissten Personen in unwegsamem Gelände suchen, wie etwa in der Eifel. Bei schweren Autounfällen mit vielen Verletzten könne eine an die Drohne montierte Kamera den Einsatzkräften bereits vor dem Eintreffen einen ersten Überblick über die Lage aus der Luft verschaffen. Mit einem bestimmten Sensor ausgerüstet wäre es zudem möglich, die Vitalparameter der Verletzten zu erfassen, sodass dringliche Fälle zuerst behandelt werden könnten.
Weltweiter Einsatz
Der TW Neo hat aber nicht nur im deutschen Luftraum bereits Testflüge absolviert: Im Projekt „FlutNetz“ kam die Drohne in Bangladesch zum Einsatz. Dort komme es während der Regenzeit in den überfluteten Gebieten oft zu lebensgefährlichen Schlangenbissen, erklärt Flugsystem-Experte Müller. Weil die Straßen vielfach unpassierbar seien, sei das nächstgelegene Krankenhaus für die Opfer der Schlangenbisse nicht mehr erreichbar. In solchen Situationen wurde der TW Neo genutzt, um Antiseren abzuwerfen, erklärt Müller.
Weltweit sind die Drohnen auf dem Vormarsch: So hat das US-amerikanische Start-Up Unternehmen Zipline in Ruanda bereits 2016 ein landesweites Drohnen-Liefersystem ausgebaut. Das ostafrikanische Land ist etwa so groß wie Mecklenburg-Vorpommern und wird aufgrund seines bergigen Terrains auch als „Land der tausend Hügel“ bezeichnet. Dabei ist die Infrastruktur schlecht ausgebaut, insbesondere in der Regenzeit sind viele Straßen nicht passierbar. Der Transport von lebenswichtigen Gütern über den Luftweg sei deshalb eine gute Lösung, erklärt das US-amerikanische Unternehmen Zipline auf seiner Homepage. Werde ein Arzneimittel benötigt, könne der Arzt ganz einfach etwa telefonisch oder per SMS eine Bestellung aufgeben. Im Durchschnitt dauere die Zustellung des benötigten Arzneimittels dann knapp 30 Minuten. Gestartet werde die Drohne über eine Abschussrampe, am Zielort angelangt werfe sie das Arzneimittel mit einem Fallschirm ab und kehre—ohne zwischenzeitlich zu landen — zum Flugplatz zurück. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 110 Kilometern pro Stunde sowie einer Reichweite von 160 Kilometern könne die Drohne auch entlegenste Krankenhäuser beliefern, betont das Unternehmen. Von 2016 bis 2019 absolvierten die Drohnen von Zipline knapp 15.000 Flüge, in einem Drittel der Fälle wurden die Drohnen nach Angaben des Unternehmens für Notfälle eingesetzt. Daneben ist der Tech-Konzern in Nigeria, Kenia, der Elfenbeinküste, Ghana, Japan und den USA aktiv. Insgesamt beliefert Zipline dort mehr als 4.000 Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen mit Arzneimitteln, Blutkonserven und Impfstoffen.
Vorreiter Deutschland?
Im internationalen Vergleich sieht Flugsystem-Experte Philipp Müller Deutschland in Sachen Drohnen-Technik als Vorreiter. Zusammen mit dem Luftfahrtbundesamt (LBA) arbeiteten Müller und seine Kollegen daran, dass die Fluggenehmigungen noch schneller werden. Bislang sei es beispielsweise noch nicht möglich, auf Krankenhäusern als luftrechtlich besonders geschützten Orten zu landen. „Dies ist natürlich absurd, wenn wir Organe zwischen Krankenhäusern transportieren wollen“, kritisiert Müller. „Hier arbeiten wir mit den Luftfahrtreferaten des Bundesverkehrsministeriums und dem LBA an Lösungen“, sagt er. Eine Besonderheit im Dreiländereck bei Aachen stellten allerdings grenzüberschreitende Drohnenflüge dar: Nicht selten seien niederländische oder belgische Kliniken in einer Notfallsituation schneller zu erreichen als deutsche Krankenhäuser, sodass in dringenden Fällen Medikamente über die Grenze transportiert werden müssten. Zwar habe die Europäische Union bereits im Jahr 2021 versucht, per Richtlinie den grenzübergreifenden Drohnenverkehr zu harmonisieren. Diese sei jedoch von den Mitgliedsstaaten unterschiedlich in nationales Recht überführt worden, sodass bei grenzüberschreitenden Missionen regionale Regeln beachtet werden müssten. Insgesamt verlaufe die Kooperation mit den niederländischen und belgischen Kliniken jedoch sehr gut. Die Drohnen ermöglichten in der Region eine gute Vernetzung über die Grenzen hinweg.
Auch in der Bevölkerung mangelt es den Drohnen nicht an Akzeptanz: Eine Befragung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt aus diesem Jahr in sechs EU-Staaten ergab, dass ein Großteil der Einwohner Drohnen durchweg positiv sieht, insbesondere, wenn diese im Katastrophenmanagement eingesetzt werden.
Die „Grille“ — eine fliegende Krankentrage
Unter dem Namen „Grille“ hat das bayrische Unternehmen AVILUS eine Rettungsdrohne für den Sanitätsdienst der Bundeswehr entwickelt. Diese kann nach Angaben des Herstellers medizinisches Gerät liefern und als „fliegende Krankentrage“ verwundete Soldaten aus einem Kampfgebiet evakuieren. Während des Fluges würden die Vitaldaten des Patienten kontinuierlich überwacht und bei Bedarf könne der verletzte Soldat per Videoanruf psychologisch betreut werden. Die Drohne fliege vollautomatisch. Ein Fernpilot überwache den Flug lediglich von einem Klein-LKW aus, der sogenannten „flugmedizinischen Leitwarte“. Das Patientenmanagement übernehme ein Fliegerarzt der Bundeswehr. Durch die hohe Automatisierung könne die zweiköpfige Crew eine Vielzahl an Rettungsmissionen zur gleichen Zeit ausführen.
Die Grille verfügt über sechs Rotoren und kann Lasten von bis zu 130 Kilogramm transportieren.