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Ethikberatung in der Palliativversorgung: Konflikte und was man daraus lernen kann

16.08.2024 Seite 27
RAE Ausgabe 9/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 9/2024

Seite 27

Ein Fallbericht aus der ambulanten Ethikberatung zum Freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken 

von Lukas Radbruch, Andrea von Schmude, Martina Kern, Frank Peusquens, Raya Egri, Kristina Muscheid, Séverine M. Surges

Klinische Ethikberatung ist in Deutschland bislang vor allem in Krankenhäusern etabliert. Die Struktur wird aber in einer zunehmenden Zahl von Modellversuchen und Projekten auch in die ambulante Versorgung eingeführt. Ambulante Ethikberatung ist aber noch nicht Teil der Regelversorgung und wird von den Kostenträgern nicht ­finanziert. Die ambulante Ethikberatung beruht deshalb meist auf dem ehrenamtlichen Engagement der Mitarbeitenden. 

In der Region Bonn und Umgebung wird eine ambulante Ethikberatung über die Netzwerke Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg angeboten. Häufig geht es um Anfragen zum Umgang mit Sterbewünschen, zunehmend auch von Patienten, die nicht lebenslimitierend erkrankt sind. Spezifische Probleme und Dilemmata treten auf, wenn etwa die Motivation der Person mit Sterbewunsch für Angehörige, Behandler oder Ethikberater nicht nachvollziehbar ist. Wir erleben, dass in einem größeren Maß als bei anderen Anfragen die Gefahr besteht, dass die eigenen Werte und Präferenzen als genereller Maßstab missbraucht werden. Dies kann dazu führen, dass auf Lebenserhalt um jeden Preis gedrängt wird, manchmal aber auch auf die zu schnelle und unkritische Unterstützung eines Sterbewunsches. Ein empathisches, aber auch kritisches und selbstkritisches Eingehen auf die Gedankenwelt des betroffenen Menschen als Grundlage der Entscheidungsfindung ist dann nicht möglich. Dann kommt es zu hohem Handlungsdruck und Kommunikationsstörungen bei allen Beteiligten – sowohl bei den Patienten und ihrem Umfeld, im Behandlungsteam wie auch bei den Ethikberatern. 

In einem Fallbeispiel wird die Problematik erläutert, die aus dem Wunsch einer Patientin ohne lebenslimitierende Erkrankung nach freiwilligem Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) und aus der Verzahnung von Ethikberatung und Palliativ­versorgung entstanden ist.

Fallbericht

Die 87-jährige Frau hat sich über einen Hospizverein an das regionale Netzwerk der Hospiz- und Palliativversorgung gewandt, das auch Träger des ambulanten Ethik­komitees ist. 
Sie wohnt in einem Mehrgenerationenhaus mit enger Nachbarschaftsgemeinschaft. Eine Nachbarin war früher in einer Pflegeeinrichtung tätig und hat ihr angeraten, das ambulante Ethikkomitee zu kontaktieren. Ein Neffe als einziger näherer Verwandter ist vorsorgebevollmächtigt. Die Hausärztin ist urlaubsbedingt nicht erreichbar, die hausärztliche Vertretung kennt die Patientin nicht. Sie ist im Rollstuhl mobil, ein Pflegegrad 2 liegt vor, ein Pflegedienst kommt regelmäßig. 
Bei einem ersten Besuch einer Mitarbeiterin des ambulanten Ethikkomitees zu einem Informationsgespräch schildert die Frau, dass sie sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema „Sterbefasten“ beschäftigt habe, vor allem nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin vor fünf Jahren. Das hohe Alter mit zunehmenden Einschränkungen in der Kommunikation belaste sie. Sie könne nicht mehr hören, sehen, fokussiert denken oder schreiben. Sie schilderte einen Gedächtnisverlust, bezeichnete dies selbst als beginnende Demenz. Eine Depression sei noch nie diagnostiziert worden.

Im Gespräch mit der Patientin wird die Schwerhörigkeit deutlich und eine allgemeine Verlangsamung im Denken. Es liegt keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Vor vier Wochen wurde sie nach dem Bruch eines Lendenwirbelkörpers stationär behandelt. Dabei sei ihr Hörgerät abhandengekommen. Der dabei erlebte Hörverlust habe die Gedanken zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) wieder in Gang gesetzt. Sie habe bereits über den Neffen Kontakt zu einem Sterbehilfeverein aufgenommen. Sie habe erfahren, dass die Wartefrist sechs Monate betrage, was die Patientin angemessen findet.

Es sei alles in ihrem Leben geschehen, was wichtig gewesen ist, und sie habe alles im Leben erreicht. Die Patientin gibt an, dass die Umsetzung des Sterbewunsches für sie nicht dringend sei. Sie wolle auch nicht einfach sterben, sondern die Zeit des Sterbens intensiv miterleben. Sie erlebe noch so viel Energie um sich herum. Sie sagt, dass insgesamt eine spielerische, ­philosophische Beschäftigung mit dem Sterben und dem FVET bestehe.

Im Beratungsgespräch wird deutlich, dass sie zunächst einmal abwarten möchte, bis sie mit der Hausärztin, die sie schon seit vielen Jahren kennt, nach deren Rückkehr aus dem Urlaub über das Thema FVET sprechen kann. Zunächst soll ein Notfallruf installiert werden und eine intensive Alltagesbetreuung mit der Nachbarin organisiert werden. 
Eine Woche später wird über die Nachbarin um eine erneute Ethikberatung gebeten. Der ursprünglich geplante Gesprächstermin nach dem Wochenende müsse allerdings notfallmäßig vorverlegt werden, weil die Patientin bereits vor mehreren Tagen mit dem FVET begonnen habe und die Versorgung bei möglichen Komplikationen nun nicht gesichert sei. Die ethische Beratung erfolgt deshalb am gleichen Freitag durch den Vorsitzenden des ambulanten Ethikkomitees in der Wohnung der Patientin. Die Nachbarin und eine Bekannte, die ebenfalls früher in der Wohnanlage gewohnt hat, sind anwesend, der Neffe kann zwischenzeitlich telefonisch dazugeschaltet werden. 
Die Patientin bestätigt die Angaben aus dem ersten Gespräch, insbesondere den Sterbewunsch und dass sie keine Angst vor dem Tod habe, sondern eher neugierig sei auf das, was danach komme. Nahtodberichte hätten ihr viel Hoffnung gegeben. Sie habe seit einigen Tagen schon nichts mehr gegessen und seit gestern auch nichts mehr getrunken. Sie stellt klar, dass sie keinesfalls wiederbelebt werden wolle. Eine stationäre Behandlung will sie aber nicht ausschließen, aber dann nur auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz. Der Neffe bestätigt, dass seine Tante sich schon lange mit Sterbefasten beschäftigt habe. Die vorliegende Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (für den Neffen) bestätigen diese Aussagen. 

Die Frau wirkt im Gespräch nicht depressiv, und es sind keine deutlichen Anzeichen einer psychischen oder psychiatrischen Störung zu erkennen. Ihre Aussagen sind sehr deutlich, sie kann differenziert denken und ihre Präferenzen und Prioritäten deutlich schildern. Andererseits scheint das Denken verlangsamt und das Gedächtnis beeinträchtigt, weil sie nach einer kurzen Gesprächspause den Ethikberater nicht ­wiedererkennt. 
Die Nachbarin berichtet von einem Notruf beim Rettungsdienst vor wenigen Tagen. Die Rettungssanitäter hätten ihr gesagt, dass die Patientin wegen des FVET dringend zur stationären psychiatrischen Behandlung eingewiesen werden müsse, sonst würde auch sie selbst Gefahr laufen, wegen unterlassener Hilfeleistung juristisch belangt zu werden. Dies habe sie sehr verunsichert und verängstigt. 

Als Konsens wird im Beratungsgespräch formuliert, dass die Patientin sich freiverantwortlich für den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken entschieden habe. Eine Zwangsbehandlung gegen ihren Willen oder gar eine Zwangsernährung seien keinesfalls zu rechtfertigen. Eine Begleitung durch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) sei sinnvoll, um mögliche Beschwerden wie Verwirrtheit, Angst oder Schmerzen, die im weiteren Verlauf beim FVET auftreten können, zu behandeln. Unterstützung durch einen ambulanten Hospizdienst sei angezeigt.

Da der Ethikberater gleichzeitig als Arzt in der SAPV tätig ist, wird als erste Maßnahme für die Versorgung am Wochenende ein Sprühfläschchen zur Mundpflege und ein Rezept mit Lorazepam überlassen, falls es am Wochenende zu Angst oder Unruhe kommen sollte. Die Hausärztin ist noch im Urlaub, die Patientin wünscht mittlerweile aber einen Hausarztwechsel. Die Verordnung der SAPV soll deshalb nach dem ­Wochenende über eine andere Hausarztpraxis erfolgen. 
Eine ärztliche Anordnung für den Notfall (ÄNO-Bogen) wird ausgefüllt und vom Ethikberater unterschrieben – zur Absicherung für die Nachbarn und den vorsorgebevollmächtigten Neffen und gegebenenfalls als Anordnung für den Rettungsdienst, auf Wiederbelebung oder intensivmedizinische Maßnahmen zu verzichten.
Nach dem Wochenende wird beim ersten Besuch einer Pflegekraft des SAPV-Teams aber mitgeteilt, dass die Patientin zunehmend verwirrt sei. Zudem sei sie am Wochenende beim Toilettengang gestürzt und infolgedessen nun bettlägerig. Die Versorgung durch Neffen und Nachbarn scheint für die folgenden Tage und Nächte nicht ausreichend gesichert. Deshalb wird die Aufnahme auf eine Palliativstation veranlasst. 

Das Behandlungsteam auf der Palliativstation ist unsicher, mit welchem Therapieziel die Aufnahme der Patientin erfolgt ist. Sie ist unruhig und reagiert mittlerweile nicht mehr auf Ansprache. Im Team wird die Indikation zur stationären Behandlung bei einer Patientin ohne lebenslimitierende Erkrankung in Frage gestellt, andere Teammitglieder befürworten aber eine palliative Sedierung bei vermutetem existentiellem Leid. Die Patientin erhält eine Medikation zur Symptomkontrolle mit Haloperidol und Lorazepam bei Unruhe und Hydromorphon bei Rücken- und Liegeschmerzen. Sie verstirbt nach vier Tagen unter guter Symptomkontrolle auf der Palliativstation. 

Bewertung und Diskussion

In den Nachbesprechungen mit den Behandlungsteams wurde eine Reihe von Problemen im Verlauf sichtbar. 
In dem geschilderten Fallbeispiel konnte die Frage der Freiverantwortlichkeit nicht grundlegend beantwortet werden. Die Patientin schien in mehreren Kontakten nicht depressiv zu sein, und es fanden sich keine Hinweise auf psychiatrische Erkrankungen. Andererseits wurden Gedächtnisstörungen und eine Verlangsamung des Denkens beschrieben. Eine neurologische oder psychiatrische Untersuchung fand schon aufgrund des von der Patientin vorgegebenen Zeitdrucks nicht statt. Für den Ausschluss einer Depression wird von psychiatrischer Seite ein strukturiertes klinisches Interview (SKID) gefordert. Mit SKID wurden bei ­Tumorpatienten doppelt so viele Depressionen diagnostiziert im Vergleich zu den Einschätzungen durch Ärzte (Singer S, et al.: Identifying tumor patients‘ depression. Support Care Cancer. 2011; 19: 1697–703). Ein SKID wurde bei der Patientin nicht durchgeführt, wäre allerdings bei der dafür erforderlichen Dauer von circa 100 Minuten wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. 

Eine Depression oder eine andere psychische Erkrankung muss die Freiverantwortlichkeit aber nicht unbedingt ausschließen. Der Deutsche Ethikrat stellte fest: „Wenn eine psychische Erkrankung diese Fähigkeit [der Selbstbestimmungsfähigkeit] nicht so weit einschränkt, dass eine realitätsbezogene, am eigenen Selbstbild ausgerichtete Abwägung des Für und Widers nicht mehr möglich ist, schließt sie die Freiverantwortlichkeit einer Suizidentscheidung nicht aus.“ Und weiter: „Eine in hinreichendem Maße selbstbestimmte und deshalb moralisch vor sich selbst sowie auch den Anderen, die von der Entscheidung unausweichlich (mit-)betroffen sind, zu verantwortende Entscheidung kann als freiverantwortlich bezeichnet werden.“ (www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-suizid.pdf). Die Bundesärztekammer sieht in ihren Hinweisen zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen eine Einschränkung der Freiverantwortlichkeit dann gegeben, „wenn es an einer tieferen Reflexion über den eigenen Todeswunsch fehlt oder der Entschluss nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist.“ (www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=220766). Im geschilderten Fall wurde aber deutlich, dass die Patientin schon lange über ihr ­Lebensende und die Option des FVET nachgedacht hatte, dies auch in der Patientenverfügung entsprechend dokumentiert und mit ihrem Vorsorgebevollmächtigten besprochen hatte. In der Ethikberatung wurde deshalb kein ausreichender Grund gesehen für eine Einschränkung der Freiverantwortlichkeit beim Entschluss zum FVET. 

Hier scheint auch eine grundsätzliche Überlegung zum Umgang mit FVET notwendig. Bei einem Suizidversuch kann eine Krisenintervention zur Suizidprävention notwendig sein, bei der der Zugang zu Suizidmitteln verwehrt wird – bis hin zu einer zwangsweisen Unterbringung nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) oder einer Zwangsmedikation wegen Eigengefährdung bei psychischen Erkrankungen. Diese Maßnahmen sind aber immer zeitlich befristet anzuwenden und meist nur über wenige Tage erforderlich. Im Gegensatz dazu wäre als Maßnahme gegen FVET eine Zwangsernährung erforderlich, die bei entsprechender Dauerhaftigkeit des Entschlusses zu FVET wahrscheinlich über die verbleibende Lebenszeit fortgeführt werden müsste. Damit wäre eine sehr weitreichende Einschränkung der Autonomie der betroffenen Person verbunden. Dieser fundamentale Unterschied zwischen Suizid und FVET wird in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin als eine Begründung dafür genannt, dass FVET als eine eigene Handlungskategorie (sui generis) und nicht als Suizidform angesehen werden muss

(www.dgpalliativmedizin.de/phocadownload/stellungnahmen/DGP_Positionspapier_Freiwilliger_Verzicht_auf_Essen_und_Trinken%20.pdf). 
Bei Patientinnen oder Patienten mit weit fortgeschrittener lebenslimitierender Erkrankung mit Sterbewunsch produziert die Entscheidung zu FVET in aller Regel kein ethisches Dilemma und wird vom Behandlungsteam akzeptiert. Informationen über FVET werden in der Palliativversorgung sogar als Option für die Umsetzung eines selbstbestimmten Sterbens angeboten. Bei Patienten ohne lebenslimitierende Erkrankung ist die ethische Bewertung komplizierter und die Entscheidung zu FVET von den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen oft nicht nachzuvollziehen. Allerdings wird der Patient ja nicht die Erlaubnis für Beginn und Durchführung des FVET einholen müssen, da diese Entscheidung alleine beim Patienten liegt und keiner Zustimmung oder Genehmigung von anderen Personen bedarf. Die Bewertung wird sich eher auf relevante Störungen der Freiverantwortlichkeit beziehen, die mehr Informationsbedarf und in extremen Fällen vielleicht sogar Zwangsmaßnahmen nach sich ziehen könnten, und darauf, ob beziehungsweise in welchem Maß eine Begleitung oder Behandlung beim FVET angeboten werden kann und soll. 

Generell kann deshalb für den Umgang mit FVET wie für andere Formen von Sterbewünschen eine offene und reflektierte Kommunikation empfohlen werden. Eine Ethikberatung kann sinnvoll sein, um mögliche Einschränkungen in der Freiverantwortlichkeit zu überprüfen und Möglichkeiten, aber auch Grenzen in der Begleitung der betroffenen Personen aufzuzeigen. Informationen und Optionen in der Praxis der Palliativversorgung bei Patienten mit FVET wurden von der Sektion Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zusammengefasst (www.dgpalliativmedizin.de/images/RZ_220713_Broschuere_FVET_ online.pdf).
Inwieweit FVET bei Menschen ohne ­lebenslimitierende Grunderkrankung allerdings eine Indikation für die Palliativ­versorgung ist, wird kontrovers diskutiert. Sollte eine prophylaktische Palliativversorgung vor oder mit dem Beginn von FVET angeboten werden oder erst im Bedarfsfall mit dem Auftreten von Symptomen wie Unruhe oder Verwirrtheit? Hier spielen in erster Linie Fragen zum Selbstverständnis der Palliativversorgung eine Rolle. In der Praxis könnten auch die limitierten Ressourcen in der spezialisierten Palliativversorgung ein Grund sein, warum die Aufnahme von Patienten vor Beginn von FVET abgelehnt wird. 

In dem geschilderten Fall wurde die Komplexität durch weitere Probleme erhöht. So wurde der Druck auf das Behandlungsteam durch die Patientin verstärkt, indem sie schon vor dem festgesetzten Termin des Ethikkonsils und vor dem bevorstehenden Wochenende mit FVET begonnen hatte. 

Dieser Druck blieb im Verlauf weiter bestehen und führte zu einer Rollenverletzung des Ethikberaters, der gleichzeitig Arzt im SAPV-Team war, da er im direkten Anschluss des Ethikkonsils palliativmedizinische Behandlungsmaßnahmen (Anleitung Mundpflege, Rezept Lorazepam, ÄNO-Bogen) einleitete. Der hohe Druck beeinträchtigte die Kommunikation im Team, sodass nach dem Wochenende die stationäre Aufnahme veranlasst wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung der alleine lebenden Patientin durch den Neffen, die Nachbarn und einen ambulanten Hospizdienst organisiert worden war. Auf der Palliativstation bestand dann wiederum Unsicherheit im Team über das Behandlungsziel. 

Die Situation dieser Patientin ist kein Einzelfall im Netzwerk Bonn/Rhein-Sieg. In einer Pflegeeinrichtung wurde im selben Monat ein hochaltriger Patient ohne lebenslimitierende Erkrankung, aber nach mehrfachen Suizidversuchen, mit Wunsch nach FVET im Rahmen einer beschützenden ­Begleitung auf der Palliativstation ange­meldet. Gleichzeitig erfolgte die Beratung einer jungen Frau, die statt der laufenden psychiatrischen Behandlung nun eine Palliativversorgung zur Umsetzung der FVET wünschte, der nicht entsprochen wurde. 
Diese Erfahrungen dienten als Auslöser für Veranstaltungen in den betroffenen Teams (SAPV, Hospizdienst und Palliativstation) sowie im regionalen Netzwerk der Hospiz- und Palliativversorgung zum Umgang mit FVET. Im Gegensatz zu den ambulanten Hospizdiensten (wer begleitet werden will, bekommt auch eine Begleitung), wurden von den SAPV-Teams und Palliativstationen Probleme mit FVET bei Patienten ohne lebenslimitierende Erkrankung berichtet. Als Konsens wurde festgehalten, dass Menschen immer das Recht hätten, sich zu FVET zu entschließen und diesen auch umzusetzen, wenn keine schweren Einschränkungen der Freiverantwortlichkeit vorliegen. Aus diesem Recht lasse sich aber kein Anspruch auf eine spezialisierte Palliativversorgung ableiten. Auch wenn Patienten sich ein Rundum-sorglos-Paket wünschten, werde eine prophylaktische Palliativversorgung, bei der FVET im Schutz einer spezialisierten Palliativversorgung begonnen wird, in der Region nicht angeboten. Wenn im Verlauf von FVET Probleme auftreten, könne gegebenenfalls die spezialisierte Palliativversorgung hinzugezogen werden. Diese könne aber nicht als Notfallversorgung erfolgen, sodass außerhalb der regulären Dienstzeiten oder auf der Warteliste ein Restrisiko für die betroffenen Menschen bleibt. 

Im Kontakt mit Menschen, die FVET für sich erwägen, können einfache Anleitungen zur Kommunikation zu Sterbewünschen hilfreich sein. So gibt es beispielsweise die vom klinischen Ethikkomitee des Universitätsklinikums Bonn entwickelten Anleitungen (www.ukbonn.de/site/assets/files/43403/sop_suizidhilfe.pdf), die auf dem 6-Schritte-Programm – ansprechen, nachfragen, respektieren, Alternativen anbieten, Beziehung aufbauen und reflek­tieren – aufbauen. 

Fazit

Mithilfe der ambulanten Ethikberatung können sich Menschen, die FVET für sich erwägen, oder Einrichtungen, in denen diese Menschen versorgt werden, über Möglichkeiten und Grenzen beim FVET informieren. Mit der zunehmenden Wahrnehmung der unterschiedlichen Methoden des selbstbestimmten Sterbens in Deutschland ist damit zu rechnen, dass der Bedarf an solchen Ethikberatungen deutlich steigen wird. 

Prof. Dr. Lukas Radbruch, Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg Andrea von Schmude, Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg Martina Kern, Netzwerk Hospiz- und Palliativ­versorgung Bonn/Rhein-Sieg, Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg Frank Peusquens, Dr. Séverine M. Surges, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn Raya Egri, Dr. Kristina Muscheid, Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg