Basalzellkarzinome der Haut (älterer Begriff: „Basaliom“) gehören zum nicht-melanotischen (hellen, weißen) Hautkrebs. Am häufigsten treten sie im Kopf- und Halsbereich auf, seltener am Rumpf, an den Armen oder Beinen. Auch wenn diese Karzinome nur selten Absiedlungen (Metastasen) in anderen Organen bilden, können sie aggressiv in das umgebende Gewebe hineinwachsen und dabei auch Knorpel und Knochen infiltrieren. Dies ist bei der operativen Behandlung von großer Bedeutung, und es muss daher insbesondere auf die vollständige Entfernung des Tumors geachtet werden.
von Olaf Michel, Jörg Schipper, Doris Tritschler und Tina Wiesener
Ein 66-jähriger Patient beanstandet die hals-nasen-ohrenärztliche Behandlung einer pathologischen Hautveränderung in der rechten Ohrmuschel und im rechten Gehörgang. Der beschuldigte Arzt habe Anfang 2016 ein Basaliom diagnostiziert und operativ entfernt. Anschließend seien über mehr als drei Jahre mehrere Eingriffe zur weiteren Tumorentfernung im Ohrbereich erfolgt, das Ohr sei jedoch nie wieder richtig verheilt. Vielmehr habe sich das äußere Ohr im weiteren Verlauf gerötet und geschwollen gezeigt, der Gehörgang sei entzündet, stark verengt und das Gehör deutlich beeinträchtigt gewesen. Es hätten Knochen im Gehörgang freigelegen, und es seien Schmerzen, die bis in den Oberkiefer gestrahlt hätten, aufgetreten. Im Jahr 2020, nach zwischenzeitlich mehrfach erfolgten Konsultationen ohne weitergehende Befunderhebungen durch den belasteten Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO), seien im Krankenhaus in der HNO-Abteilung eine Computertomografie und eine Magnetresonanztomografie veranlasst worden; nach erneuter Entnahme einer Gewebeprobe sei dort ein großes Tumorrezidiv festgestellt worden. Er habe sich dort einer aufwendigen Operation und einer nachfolgenden Strahlentherapie unterziehen müssen, die bei fachgerechter Behandlung hätte vermieden werden können. Die zuvor durchgeführten Operationen seien nicht mit ausreichendem Sicherheitsabstand erfolgt, eine Nachresektion sei unterlassen und eine erforderliche Befunderhebung nicht durchgeführt worden. Hierdurch sei es zur Entwicklung des großen Rezidivtumors gekommen, der den ausgedehnten, entstellenden Eingriff und weitere Therapie notwendig gemacht habe.
Sachverhalt
Nach den Behandlungsunterlagen des belasteten HNO-Arztes erfolgte der erste Eintrag im Januar 2016 mit Nennung der Diagnose „Basaliom“. Eine Befunderhebung oder Befundbeschreibung findet sich in den Aufzeichnungen nicht. Ein Operationsbericht vom selben Tag beschreibt unter der Diagnose „Verdacht auf multifokales Basaliom der Koncha“ die Entnahme von zwei Hautexzidaten der Ohrmuschel rechts. Die histologische Aufarbeitung ergibt die Diagnose eines Basalzellkarzinoms, welches als infiltrierend und zumindest ventral als randbildend beschrieben wird. Sechs Tage nach der Probenentnahme wird unter derselben Diagnose ein als „Nachresektion“ bezeichneter Eingriff vorgenommen. Das histologische Befundergebnis beschreibt wiederum Infiltrate eines Basalzellkarzinoms, die zu beiden seitlichen Rändern sowie in beiden Spitzen der resezierten Hautspindel randbildend waren. Zwei Tage später wird in der ärztlichen Dokumentation bezüglich des Lokalbefunds eine gute, zeitgemäße Abheilung angeführt, bezüglich des histologischen Ergebnisses vonseiten des belasteten Arztes allerdings „zunächst keine Nachresektion, da klinisch eher R0, Beobachtung“ festgehalten. Drei Tage später wird nochmals eine Wundkontrolle durchgeführt.
Bei der folgenden Vorstellung nach circa zehn Monaten dokumentiert der HNO-Arzt eine Raumforderung im Gehörgang, und sechs Tage später werden unter der Diagnose „Basaliom Gehörgang rechts (Rezidiv)“ erneut Probeexzisionen entnommen. Aufgrund des Ausmaßes der pathologischen Veränderungen wird der Eingriff abgebrochen und eine weitere, ausgedehntere Operation geplant. Die Histologie ergibt nunmehr auch eine Infiltration des Knorpels durch das bekannte Basalzellkarzinom.
Wenige Tage später erfolgt eine Revisionsoperation. Der Bericht über den als radikale Tumorentfernung geplanten Eingriff beschreibt diesen als eine Exzision eines Hauttumors unter Durchführung einer Gehörgangserweiterungsplastik. Wegen der extrem eingeschränkten Übersichtlichkeit sei die Ohrmuschel wie bei einer Mastoidektomie mobilisiert und vorgeklappt worden. Bei dem Schnitt in den Gehörgangsschlauch sei der Hauttumor mutmaßlich geteilt worden. Die suspekt anmutenden Hautareale seien mit Randproben und tiefer Exzision unten bis tief in den Knorpel umschnitten worden. Nach Zurückklappen der Ohrmuschel sei auch der äußere Teil des Gehörgangs, in dem die Haut noch verändert gewesen sei, reseziert worden.
Die histologische Untersuchung des Gewebes ergab ein fokal infiltrativ wachsendes Basalzellkarzinom mit in der Spindelspitze sowie seitlich tief und im Bereich der Tiefe randbildender Tumorausdehnung. Eine Nachresektion erfolgte nicht, ebenso keine plastische Deckung. Aus dem Krankenblatt geht hervor, dass eine Sekundärheilung angestrebt wurde. Wundbehandlungen im Anschluss an den operativen Eingriff erfolgten noch bis in das Folgejahr.
Für das darauffolgende Jahr sind insgesamt sechs Arztkontakte dokumentiert, wobei jeweils „feucht“, „etwas granuliert“, „etwas wund“ und die Diagnose „Otitis externa rechts“ angegeben wurden. Bis zur letzten Behandlung im Oktober 2020 wird diese Diagnose weitergeführt.
Im November 2020 wurde der Patient stationär in eine Hals-Nasen-Ohren-Abteilung aufgenommen und eine ausgedehnte Tumorbehandlung durchgeführt, die beschrieben ist als „erweiterte Radikalhöhlenanlage rechts mit Fazialisdekompression, Trommelfellresektion, Gehörknöchelchenentfernung, Tumorobliteration mit Knochenwachs, totale Parotidektomie und selektive Neck dissection sowie einer lokalen Rekonstruktion mittels Radialislappen von links wegen eines infiltrativ wachsenden Basalzellkarzinoms mit Hämangioinvasion und Ausbildung einer Lymphknotenmetastase mit anschließender Strahlentherapie bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy“.
HNO-ärztliche Begutachtung
Der Erstgutachter stellte einen Behandlungsfehler fest. Er führte aus, dass der erste Eingriff unter der Diagnose „Verdacht auf multifokales Basaliom der Koncha“ offensichtlich der Diagnosesicherung gedient habe, da hier lediglich zwei Hautexzisate entnommen worden seien. Die histologische Aufarbeitung der entnommenen Proben habe zu diesem Zeitpunkt bereits die eindeutige Diagnose „Basalzellkarzinom“ (BZK) ergeben, die auch im weiteren Behandlungsverlauf an keiner Stelle angezweifelt oder verändert worden sei.
Das äußere Ohr werde, so der Gutachter weiter, in der Behandlung des BZK als eine „High Risk Zone“ angesehen. Im Vergleich zu anderen Lokalisationen bestehe hier eine wesentlich höhere Metastasierungsrate, die auch noch von weiteren Faktoren, wie zum Beispiel der Infiltration des Knorpels, der Tumorgröße und des Resektionsrands, beeinflusst werde. Deshalb könnten bei einer solchen Tumorlokalisation in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Tumorgeschehens im Einzelfall nicht nur die lokale vollständige Resektion, sondern auch weitergehende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Ausräumung von Lymphknoten, der Ohrspeicheldrüse und des angrenzenden Halses, erforderlich werden.
In dem hier vorliegenden Fall sei das Vorgehen mit Entnahme einer Probebiopsie, wie zu Beginn der Behandlung mit Erstkontakt im Januar 2016 vorgenommen, zunächst als ein richtiges Vorgehen anzusehen. Nach histologischer Sicherung des Vorliegens eines BZK hätte dann allerdings die radikale Exzision des Tumors erfolgen müssen. Dies sei nicht erfolgt: Die als „Nachresektion“ sechs Tage später durchgeführte Operation habe im histologischen Resultat einer R1-Resektion und somit einer unvollständigen Tumorentfernung entsprochen, bei der Tumorausläufer des BZK in situ verblieben seien. Die Konsequenz aus diesem Eingriff hätte sein müssen, eine unmittelbare weiträumige Nachresektion zu planen und durchzuführen. Hinweise, dass dies erwogen und mit dem Patienten hierüber gesprochen worden sei, hätten sich nicht gefunden. Die im Widerspruch zu dem histologischen Befundergebnis in der Dokumentation hierzu festgehaltene ärztliche Einschätzung „… zunächst keine Nachresektion, da klinisch eher R0, Beobachtung“ entspreche einer eindeutigen Fehlbeurteilung. Die in den Folgemonaten vom behandelnden HNO-Arzt als „feuchte und granulierende Oberfläche“ beschriebenen Lokalbefunde und zuletzt der offenliegende Knorpel/Knochen hätten offenkundig auf das Rezidiv hingewiesen. Schließlich sei dann im November desselben Jahres ein erneuter Eingriff als Gehörgangsrevision eingeleitet und aufgrund des intraoperativ festgestellten Tumorausmaßes nach Probenentnahme abgebrochen worden. Auch der kurze Zeit später vorgenommene größere Eingriff habe keine Resektion im Gesunden, sondern wiederum eine R1-Resektion erbracht.
Zusammenfassend wurde festgestellt, dass ein grober Behandlungsfehler vorliege.
Es habe unzweifelhaft von Beginn an ein infiltrativ wachsendes Basalzellkarzinom vorgelegen. Nach der zunächst entnommenen Biopsie sei der ärztliche Behandlungsstandard verlassen worden: Es sei in drei weiteren Operationen keine vollständige Resektion erfolgt, obwohl jeweils deutliche pathohistologische Hinweise auf R1-Resektionen vorgelegen hätten. Bei einem großangelegten radikalen operativen Eingriff zu Beginn der Diagnose wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu den jetzt für den Patienten vorliegenden gravierenden Folgen einer vollständigen Ertaubung, der Lymphknotenmetastasierung, der Deckung mit einem großen fasziokutanen Lappen und der Notwendigkeit einer Strahlenbehandlung sowie der verschlechterten Prognose gekommen.
Abschließende Begutachtung
Den Feststellungen des Gutachters wurde vonseiten des belasteten Arztes widersprochen. Er beantragte ein abschließendes Gutachten durch die Gutachterkommission unter anderem mit dem Hinweis auf die sehr ungewöhnliche Compliance des Patienten wegen beruflich (Berufstaucher) bedingter längerer Auslandsaufenthalte, die eine Behandlung erschwert hätte. Sein ärztliches Vorgehen verdiene eine deutlich differenziertere und an den von dem Antragsteller vorgegebenen Möglichkeiten orientierte Betrachtung. Zudem bewerte der Gutachter die histologischen Befunde mit einer unzulässigen Gewichtung, was den aktuellen Leitlinien widerspreche.
Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt daraufhin erneut einer vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen und hiernach der Bewertung durch den Erstgutachter zugestimmt. Eine Resektion eines Basalioms oder eines Basalzellkarzinoms müsse, gemäß der zum streitgegenständlichen Behandlungszeitpunkt geltenden Lehrbuchmeinung, immer „im Gesunden“ mit nach Entfernung des sichtbaren Tumors durchzuführender Randschnitte erfolgen – mit dem histopathologischen Befund einer mindestens 5 mm, besser 10 mm breiten tumorfreien Randzone. Erst dann gelte ein solcher Tumor als komplett entfernt und könne dann zur Deckung des Entnahmedefektes plastisch versorgt werden. Bekannte Gründe hierfür seien die, für das menschliche Auge nicht erkennbaren, tentakelartig subkutan wachsenden Tumorausläufer, aus denen sonst wieder unmittelbar ein erst später sichtbares Rezidiv entsteht. Spätestens die beschriebenen nässenden, geröteten Hautveränderungen im Gehörgang hätten unter Berücksichtigung der Vorgeschichte selbst bei einem Berufstaucher den Behandler differenzialdiagnostisch an ein mögliches Tumorrezidiv denken lassen müssen – mit der Notwendigkeit, den Patienten hierüber zu informieren.
Der hiernach erbrachte Nachweis des groben Behandlungsfehlers begründet die Vermutung (§ 292 Zivilprozessordnung) der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden des Patienten. Der Patient muss nicht nachweisen, dass der Behandlungsfehler für den eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich gewesen ist. Nach § 630 h Abs. 5 Satz 1 BGB kehrt sich bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, der – wie hier – grundsätzlich geeignet ist, den im Zusammenhang mit der Behandlung eingetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen, die Beweislast zulasten des Arztes um.
Professor Dr. Olaf Michel und Professor Dr. Jörg Schipper sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Doris Tritschler ist Stellvertretende Vorsitzende und
Dr. Tina Wiesener ist Leiterin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein.