Der „5. Aachener Psychosomatik-Tag“ widmete sich Anfang März der Beziehungsmedizin im Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Autonomie und Technokratie. Fast 300 Teilnehmer verfolgten im Forum M in Aachen die Diskussion.
von Ulrike Schaeben
Vertrauen, Kooperation und Verlässlichkeit stellen die Grundpfeiler des Arzt-Patienten-Verhältnisses dar und der Arzt gilt als wichtigster Garant für die individuelle Patientenversorgung. Doch die zunehmende Orientierung der ärztlichen Tätigkeit an ökonomischen Kriterien kann in Konflikt mit ihrer Ausrichtung am Patientenwohl geraten und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient belasten. Prof. Dr. M.A. phil. Giovanni Maio vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, widmete sich in seinem Vortrag diesen medizin-ethischen Herausforderungen. Die wesentliche Grundlage der Arzt-Patienten-Beziehung ist für Maio das Vertrauen, das er in sieben Punkten charakterisierte: als Überbrückung der Unsicherheit und Ermöglichung einer überlebensnotwendigen Kooperation, als akzeptierte Verletzlichkeit, als Konstituierung einer Beziehung, als Integritätserwartung, als Gewährung von Ermessensspielraum, als Geschenk und als Entstehen von Gemeinschaft. Konflikte zwischen Patientenwohl und Erlösoptimierung seien vertrauenserodierend und das sei das Gefährliche an der Ökonomisierung der Medizin.
Den Appell des Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, Ärztinnen und Ärzte könnten ihrem zentralen Auftrag für den Patienten nur dann wirklich gerecht werden, wenn sie Fehlanreize ignorierten, griff der Medizinethiker aus dessen Grußwort auf und interpretierte den Titel der Tagung „Sprich mit mir“ als Imperativ, dieses Vertrauensverhältnis zu retten und Beziehungsmedizin zu ermöglichen, die als solche auf dem Boden des Vertrauens schon wirksamer sei als manches Medikament.
An diese Erkenntnis knüpfte der zweite Vortrag von Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Dinger-Ehrenthal, Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR Klinikums Düsseldorf und des Universitätsklinikums Düsseldorf, an. Die therapeutische Allianz definiere sich durch eine positive emotionale Verbindung und eine Übereinstimmung zu Zielen und Aufgaben der Behandlung. Eine gelungene Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut könne einen Teil der Wirkung von Psychotherapie erklären, wie Erfahrung und zahlreiche Studien belegten. Allerdings bewege sich auch die therapeutische Beziehung im Spannungsfeld zwischen Verbundenheits- und Autonomiebedürfnissen. Dinger-Ehrenthal verdeutlichte, welche Rolle die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und eigener Handlungs- und Steuerungsfähigkeit der Patienten im therapeutischen Prozess spielt und wie sich dies je nach Vorbelastung und Persönlichkeit unterscheidet.
Wer‘s glaubt, wird krank
Dr. Magnus Heier, Neurologe, Journalist und Podcaster, ging in seinem Vortrag dem Einfluss von Placebo und Nocebo in der Arzt-Patienten-Beziehung nach. Placebo beschreibe die Erfüllung einer positiven Erwartung, doch leider erfüllten sich Ängste ebenfalls: der Noceboeffekt – „ich werde schaden“. Das habe Konsequenzen für Arzt und Patient, wie Heier an Beispielen zeigte: Rückenschmerzen seien die häufigste Diagnose in der neurologischen Praxis – und würden durch ein Übermaß an Bildgebung im CT oder Kernspin unendlich befeuert. Beipackzettel informierten über Risiken und Nebenwirkungen – und hätten zugleich das Potenzial, das Vertrauen in Arzt und Medikament zu zerstören.
Die Folgen der Digitalisierung und elektronischen Vernetzung im Gesundheitswesen beleuchtete Dr. Andreas Meißner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Buchautor aus München, in seinem Vortrag aus Sicht des Arztes und Datenschützers kritisch.
Die Digitalisierung habe unbestritten ein enormes Potenzial, den Informationsfluss in der Patientenbehandlung zu verbessern. In der elektronischen Patientenakte sollten alle wichtigen Daten zentral gespeichert sein, besonders im Notfall könne dies wertvolle Zeit sparen und Doppeluntersuchungen vermeiden. Auch Apps und KI könnten helfen, die richtige Diagnose zu stellen. Aber wie sicher sind diese Systeme und wer profitiert noch von der Datensammlung? Sind wir auf direktem Weg zum gläsernen Patienten und einem gewinnorientierten Gesundheitswesen, in dem Algorithmen und künstliche Intelligenz den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient ersetzen? Meißner warnte eindringlich vor den aktuellen Entwicklungen und deren Folgen.
Die abschließende Podiumsdiskussion bezog die Fragen und Standpunkte der Teilnehmer ein und die angeregten Gespräche in der Pause zeigten einmal mehr die Relevanz von kollegialem Austausch und Vernetzung. Die „Initiative Psychosomatik-Tage Aachen“, verantwortlich für Programm und Referenten, und die Ärztekammer Nordrhein als Veranstalterin zogen ein positives Fazit der Jubiläumsausgabe dieser interdisziplinären Fachtagung.
Dr. phil. Ulrike Schaeben ist Referentin der Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein.