Knapp drei Jahre nach der „Jahrhundertflut“ sind viele Schäden beseitigt, auch im südlichen Nordrhein-Westfalen und im nördlichen Rheinland-Pfalz, die am schwersten betroffen waren. Mit 8,4 Milliarden Euro beziffert die Versicherungswirtschaft den Gesamtschaden. 12,3 Milliarden Euro flossen vom Land Nordrhein-Westfalen in den Wiederaufbau. Neben landesweit 68 Krankenhäusern waren im Sommer 2021 allein in Nordrhein 150 Arztpraxen beschädigt und teilweise völlig zerstört worden.
von Vassiliki Temme
Die Praxis für Radiologie und Nuklearmedizin in Euskirchen hatte Glück im Unglück. Denn der Kreis war einer derjenigen in NRW, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 am stärksten von der Flutkatastrophe betroffen waren. Das berichtet der Gesamtverband der Versicherer (GDV), der den Gesamtschaden bundesweit mit knapp neun Milliarden Euro beziffert. Dr. Matthias Hackenbroch, Mitinhaber der Gemeinschaftspraxis in der Euskirchener Innenstadt, betont im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt, wie wichtig es war, dass die Praxis und auch der Vermieter der Räumlichkeiten eine Elementarversicherung abgeschlossen hatten.
„Letztendlich wäre der Wiederaufbau ohne eine ausreichende Versicherung sehr viel schwieriger gewesen. Dazu kamen zinsgünstige Darlehen von Banken für die Flutopfer. Nur dadurch konnten wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterbeschäftigen und den Wiederaufbau gemeinsam stemmen“, sagt Hackenbroch. Das Erdgeschoss der Praxis hatten die Wassermassen des ansonsten harmlosen Veybachs vollkommen zerstört. Am Morgen nach der Flut war dort alles von einer dicken Schlammschicht bedeckt. „Beide MRTs und das CT, die neu zwischen 500.000 und eine Million Euro kosten, waren völlig zerstört“, so Hackenbroch. „Glücklicherweise konnte unser elektronisches Datenarchiv vollständig gerettet werden. Die Festplatten haben die Flut überstanden und wir konnten daran nachvollziehen, dass der Server um 0.01 Uhr ausgegangen ist. Zu dem Zeitpunkt war die Praxis dann wahrscheinlich überflutet, das Wasser stand ganze 72 Zentimeter hoch.“
Schnell war klar, dass das Team die Praxis wiederaufbauen will. Während der Aufräumphase entstanden täglich Berge von Müll, die beseitigt werden mussten, erinnert sich der Radiologe. Die tonnenschweren kaputten MRTs und das CT mussten von Spezialfirmen entsorgt werden. Das gesamte Erdgeschoss und der Keller wurden vollständig entkernt. Schon einen Monat nach der Katastrophe konnten in der ersten Etage die Nuklearmedizin und die Mammografie wieder öffnen. Hackenbroch lobt vor allem den Einsatz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Hilfe durch Kolleginnen und Kollegen im Umkreis. „Die Praxis für Strahlentherapie in Euskirchen hat uns zum Beispiel angeboten, das CT Gerät zu mieten, um dort abends die CT-Untersuchungen unserer Patientinnen und Patienten durchzuführen. Im Marienhospital in Euskirchen konnten wir abends und am Wochenende Geräte anmieten, um ambulante MRT Untersuchungen anzubieten. So war es möglich, während der Zeit des Wiederaufbaus unseren Praxisbetrieb zum Teil aufrechtzuerhalten“, erklärt Hackenbroch. Im Sommer 2022, elf Monate nach der Flut, war die Praxis dann wieder „über den normalen Eingang“ für die Patienten geöffnet.
Gemeinsame Sache
Der Wiederaufbau verlief aber nicht überall so reibungslos. Aus einem Bericht der Verbraucherzentrale NRW geht hervor, dass bewilligte Gelder nicht immer schnell verfügbar gewesen seien und der Wiederaufbau teilweise schleppend und von Region zu Region unterschiedlich verlief. Es habe unter anderem an Handwerkern, Baumaterial und Gutachtern gefehlt. Dazu kam, dass die Bau- und Materialkosten im Laufe der Zeit deutlich gestiegen und zahlreiche Geschädigte nicht oder nicht ausreichend versichert gewesen seien.
Knapp fünfzehn Kilometer südlich von Euskirchen, in Bad Münstereifel, versuchte Dr. Christian Jost, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, gemeinsam mit anderen Ärztinnen und Ärzten, Sozialarbeitern und Rettungskräften aus der Region direkt nach der Flut in der Turnhalle der Stadt die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten. Wichtig war ihnen dabei auch die psychologische Betreuung der traumatisierten Flutopfer. „Es ist uns damals gelungen, rasch einen psychosozialen Dienst einzurichten, der täglich von 11 bis 19 Uhr verfügbar war, um Hilfesuchenden zuzuhören und, wo nötig, auch schnell Unterstützung vermitteln zu können“, sagt Jost. „Zu uns kamen alle, von der alten Dame, die Hilfe beim Ausfüllen eines Antrags brauchte, bis hin zu suizidalen Patienten, die eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik benötigten.“
Schneller Wiederaufbau
Im Gegensatz zu vielen anderen betroffenen Orten, erklärt Jost im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt, sah Bad Münstereifel recht schnell wieder aus wie vor der Katastrophe: gepflasterte Straßen, intakte Laternen, Bänke und wiedereröffnete Cafés. Das kleine Städtchen, welches vor allem für sein Outlet-Einkaufszentrum bekannt ist, wollte so schnell wie möglich wieder für Besucherinnen und Besucher attraktiv sein. Von der Landesregierung, Kommunen und Behörden zeigt sich Jost allerdings enttäuscht: „Der bürokratische Aufwand, mit dem man als Flutbetroffener konfrontiert wurde, war zuweilen wirklich frustrierend.“
Gebündelte Unterstützung
Neben Entschädigungen durch die Versicherungen und staatlichen Hilfen versuchte auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO), von der Flut betroffene Praxen zu unterstützen. Unmittelbar nach der Katastrophe richtete sie ein Spendenkonto zugunsten der betroffenen Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in Nordrhein ein. Insgesamt kamen auf diesem Wege 870.000 Euro an Spenden zusammen – und zwar aus ganz Deutschland, die an 28 betroffene Praxen ausgezahlt wurden und zwar je nach verbliebener Schadenshöhe. „Das ist nicht nur eine stattliche Summe, sondern auch ein überwältigendes Zeichen kollegialer Solidarität“, betont der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann. „Das unvorstellbare Leid, das die Flut bei vielen Menschen verursacht hat, lässt sich zwar nicht ungeschehen machen – doch konnten die gesammelten Spenden zumindest einen Beitrag leisten, die oft existenzbedrohende Lage, in die viele Kolleginnen und Kollegen infolge des Hochwassers geraten sind, ein wenig abzumildern.“
Darüber hinaus beantwortete die KV direkt nach der Flut auf ihrer Homepage Fragen rund um kurzfristige Praxisverlegungen und half bei der Suche nach Übergangsräumlichkeiten. Auch Abschlagszahlungen für die Praxen wurden weiterhin gezahlt. Psychologische Psychotherapeuten, die sich um die Akutversorgung von Opfern der Flutkatastrophe kümmerten, konnten zudem unabhängig vom Praxissitz abrechnen. Auf ihrer Homepage informierte die KV Nordrhein außerdem über den Umgang mit zerstörten Patientenakten, die datenschutzkonform entsorgt werden mussten.
Auch die Ärztekammer Nordrhein hatte im Sommer 2021 gemeinsam mit der Bundesärztekammer, der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz und der Ärztekammer Westfalen-Lippe Spenden für vom Hochwasser betroffene Ärztinnen und Ärzte gesammelt, an der sich auch die apoBank-Stiftung beteiligte. Insgesamt kamen dabei rund 350.000 Euro für die Fluthilfe zusammen.