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Meinung

Vertrauen statt Kontrolle

22.02.2024 Seite 3
RAE Ausgabe 3/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2024

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes
Menschen, die in der Patientenversorgung sein wollen, wählen ihren Beruf, damit sie heilen und helfen können. Wer diese, durch viele Studien belegte, intrinsische Motivation der Berufe im Gesundheitswesen unbegründet und stetig durch Kontrollen und Zeichen des Misstrauens untergräbt, trägt dazu bei, diese Motivation langfristig zu zerstören. Misstrauen, Kontrolle und daraus erwachsende Bürokratie entfalten eine toxische Wirkung auf die Berufszufriedenheit. Im schlimmsten Fall kommt es dazu, dass Menschen früher aus ihrem Beruf ausscheiden oder diesen gar nicht erst wählen.

Von einem erfolgreichen und erfahrenen Unfallchirurgen in Köln hieß es, dass er Kolleginnen und Kollegen mit den Worten empfing: „Von der Wiege bis zur Bahre: Formulare, Formulare.“ 

Noch heute sind diese Worte leider wahr. Nach einer Umfrage des Marburger Bundes (2023) verbringen 60 Prozent der Klinikärzte mindestens drei Stunden täglich mit Verwaltungsaufgaben. Würde man diese Zeit halbieren, entspräche das der zusätzlichen Arbeitskraft von rund 32.000 vollzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus. Die KBV hat errechnet, dass aktuell jede Praxis mehr als einen Tag pro Woche mit bürokratischen Aufgaben verbringt.

Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um Bürokratie, die keinen medizinischen Zweck erfüllt, sondern lediglich das Ergebnis jahrzehntelangen Anwachsens von immer mehr Dokumentationspflichten ist, um mit Kostenträgern abrechnen zu können.
Mittlerweile, so hatten wir gehofft, gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass diese Kontrollbürokratie im Gesundheitswesen schlecht für die Patientenversorgung ist. Ein kleines Zeichen für diese Erkenntnis birgt der Entwurf für das Versorgungsgesetz I (GVSG) zur Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen, die nach den Worten des Bundesgesundheitsministers auch die Abrechnung entbürokratisieren soll. 
Doch jetzt melden sich die Krankenkassen zu Wort. Was beim Ärztegipfel mit dem Minister beschlossen worden ist, nannte der ehrenamtliche Vorsitzende des vdek, Uwe Klemens, „Entbudgetierungsmist“. Der vdek schlägt stattdessen mehr Überwachung und Kontrolle vor. Neben dem Ansinnen, die Zahl der Mindestsprechstunden für einen vollen Praxissitz von derzeit 25 auf mindestens 30 anzuheben, natürlich ohne zusätzliche Vergütung, verlangt der Ersatzkassenverband gleichzeitig, die Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten zu Sprechstunden und Terminvergabe besser zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. 

Glaubt der vdek wirklich, dass lange Wartezeiten auf Arzttermine mit noch mehr Zeit kostenden Kontrollen, Sanktionen und Zusatzangeboten zu beheben sind? Wahrscheinlich nicht. Es ist wohl eher der populistische Versuch, Misstrauen gegenüber der niedergelassenen Ärzteschaft zu säen, um genau die Regelungen im GVSG zu verhindern, die für Entbürokratisierung stehen und damit mit einem gefühlten Kontrollverlust für die Kassen einhergehen. Auch die Vorstellung des BKK Dachverbands, dass Pflegekräfte statt Ärztinnen und Ärzte substitutiv zu den Patienten vor Ort entsandt werden, stellt ja nur auf dem Papier eine vermeintliche Lösung dar. Mit Diagnostik light ist den Patientinnen und Patienten und dem System jedoch nicht geholfen. Im schlimmsten Fall bauen sich hier neue Doppelstrukturen auf und Pflegekräfte fehlen dann in der Pflege am Bett.
Wenn Kontrollen, Budgets, Substitution und Sanktionen gegenüber Ärztinnen und Ärzten die einzigen Antworten des vdek auf die erhöhten Leistungsansprüche einer Gesellschaft des langen Lebens bei gleichzeitigem Fachkräftemangel sind, dann wird ein konstruktiver und vorurteilsfreier Dialog schwierig. Genau den haben wir angesichts der kommenden Herausforderungen in der ambulanten und stationären Versorgung aber bitter nötig.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein