Angesichts überlasteter Notaufnahmen in den Krankenhäusern diskutiert man in Deutschland seit nunmehr sieben Jahren über eine Reform der Notfallversorgung. Das Ziel: Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst, die Notaufnahmen und der Rettungsdienst sollen besser miteinander verzahnt werden, damit die Patienten dort behandelt werden, wo es ihre Erkrankung erfordert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat jetzt Eckpunkte für eine Reform vorgelegt.
von Heike Korzilius
Die Lage in Zahlen: 27,8 Millionen Notfallpatientinnen und -patienten sind im Jahr 2019 im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst und in den Notaufnahmen der Krankenhäuser behandelt worden, ein Plus von zwölf Prozent gegenüber 2009. Im selben Zeitraum sank die Zahl der Patienten in den Bereitschaftspraxen von 10,1 Millionen auf 8,8 Millionen (minus 12 Prozent). Die Zahl der Patienten in den Notaufnahmen stieg dagegen um 28 Prozent auf 19,1 Millionen. 10,3 Millionen Notfallpatienten konnten dort ambulant versorgt werden, 8,8 Millionen mussten stationär aufgenommen werden. Diese Zahlen hat die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zusammengetragen, die im Februar 2023 Empfehlungen für eine Reform der Notfallversorgung vorlegte. Sie untermauern die Klagen der Krankenhäuser über eine zunehmende Fehlinanspruchnahme der Notaufnahmen zum Beispiel durch Menschen, die mit dem deutschen Gesundheitssystem nicht vertraut oder denen die Wartezeiten auf einen Termin in der Arztpraxis zu lang sind. Dazu komme eine wachsende Anspruchshaltung auf eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung. Studien zur Behandlungsdringlichkeit deuten der Regierungskommission zufolge zudem darauf hin, dass ein relevanter Anteil von Hilfesuchenden auch aus eigener Sicht nicht die Definition eines Notfalls erfüllt und mithin statt in der Notaufnahme auch in einer Bereitschaftspraxis behandelt werden könnte.
„Gemeinsamer Tresen“
Um Notfallpatienten in die richtige Versorgungsebene zu lotsen, will Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach jetzt den vertragsärztlichen Notdienst, die Notaufnahmen der Krankenhäuser und den Rettungsdienst besser aufeinander abstimmen und vernetzen. In einem Eckpunktepapier hat er Mitte Januar die Grundzüge einer Reform der Notfallversorgung dargelegt. Danach sollen die Terminservicestellen der KVen (116 117) und die Rettungsleitstellen (112) flächendeckend digital vernetzt werden. Mithilfe abgestimmter Ersteinschätzungssysteme sollen die Anruferinnen und Anrufer in die für sie geeigneten Versorgungsebenen vermittelt werden. Zur Sicherstellung einer medizinisch notwendigen Erstversorgung von Patienten mit akutem Behandlungsbedarf werden die KVen verpflichtet, rund um die Uhr eine telemedizinische und eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen. Darüber hinaus soll es künftig an ausgewählten Krankenhäusern Integrierte Notfallzentren (INZ) sowie Integrierte Kindernotfallzentren (KINZ) geben. INZ bestehen aus der Notaufnahme des Krankenhauses, einer KV-Notdienstpraxis in unmittelbarer Nähe zur Notaufnahme und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle („gemeinsamer Tresen“). Die Öffnungszeiten der KV-Notdienstpraxen will Lauterbach gesetzlich regeln. Über die Standorte der INZ und KINZ soll der erweiterte Landesausschuss entscheiden, in dem Ärzte, Kassen und Krankenhäuser vertreten sind. Noch hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) keinen Gesetzentwurf für eine Notfallreform vorgelegt, aber bereits ein Inkrafttreten im Januar 2025 angekündigt. Flankiert werden soll der Prozess von einer Reform des Rettungsdienstes, der als eigenständiger Leistungsbereich in das SGB V aufgenommen werden soll.
Die Reformvorschläge aus dem BMG und der Regierungskommission greifen unter anderem mit den integrierten Leitstellen und den INZ zentrale Elemente der Notfallkonzepte auf, die Ärzte und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bereits 2017 formuliert haben. Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßten deshalb den neuerlichen Reformanlauf. „Oberstes Ziel muss es sein, Patientinnen und Patienten verbindlich den Weg in die am besten geeignete Versorgungsebene zu weisen“, erklärte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Nur so könnten Notaufnahmen und Rettungsdienste entlastet und allen Hilfesuchenden eine qualitativ hochwertige Versorgung angeboten werden. „Verbindliche Steuerung ist hier der Schlüssel“, betonte Reinhardt. Sowohl die BÄK als auch die KBV halten jedoch angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels eine telemedizinische und aufsuchende Rund-um-die-Uhr Versorgung für unrealistisch und auch nicht für notwendig.
Vorhaltefinanzierung notwendig
Die KV Nordrhein hebt positiv die Ankündigung des BMG hervor, die erweiterte Patientensteuerung durch die Terminservicestellen über eine pauschale Vorhaltefinanzierung zu fördern. „Eine Vorhaltefinanzierung benötigen wir auch für die ambulante Notfallversorgung, um die Notdienstpraxen selbst, aber auch die Gehälter für Medizinische Fachangestellte und Bereitschaftsärztinnen und -ärzte bezahlen zu können“, forderte der KV-Vorstand. In Nordrhein habe man zudem mit Portalpraxen an Krankenhäusern bereits zentrale Anlaufstellen geschaffen, von wo aus Patienten in die richtige Versorgungsebene geleitet würden. Für den Erhalt dieser bewährten Struktur werde man sich ebenso stark machen wie für den Entfall der Sozialversicherungspflicht für Bereitschaftsärzte.