Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.
RÄ: Herr Dr. Dronse, was begeistert Sie an der Geriatrie?
Dronse: Ich habe während meiner neurologischen Facharztweiterbildung ein Jahr lang in der Gerontopsychiatrie gearbeitet und bin dort mit Aspekten der Geriatrie in Berührung gekommen. Dabei hat mich vor allem der ganzheitliche Ansatz der geriatrischen Versorgung begeistert: In den meisten Fällen haben ältere Menschen nicht nur ein akutes medizinisches Problem, sondern zahlreiche Beschwerden, die wir unter Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände interdisziplinär versorgen. Neben anderen Fachärzten und dem Pflegepersonal stehe ich dazu mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Neuropsychologen sowie dem sozialmedizinischen Dienst des Krankenhauses im engen Austausch. Dazu kommt, dass ich die Geriatrie aufgrund des demografischen Wandels für das Fach der Zukunft halte.
RÄ: Wie verlief der Start im neuen Fach?
Dronse: Die Arbeit und die Abläufe im Krankenhaus kannte ich ja schon, weshalb mein Start in der Geriatrie sehr gut verlief. Neu war für mich die Herangehensweise an Diagnose und Therapie. Als Neurologe bin ich häufig auf ein ganz spezielles, oft akutes, Problem fokussiert und Aspekte der Diagnostik stehen in der Regel zunächst im Vordergrund. Als Geriater hingegen kenne ich die Diagnose zumeist bereits zu Beginn der Behandlung und schaue mir jedes Symptom, jeden Befund und jedes Medikament einer Patientin oder eines Patienten unabhängig vom Organsystem an, um herauszufinden, ob sich dahinter ein aktuell relevantes Problem und Ansatzpunkte für eine symptomorientierte Therapie verbergen. Außerdem versuchen wir uns ein möglichst umfassendes Bild über die Lebensumstände und vorhandenen** Ressourcen der Patienten zu machen und führen hierzu, falls nötig und möglich, auch ausführlichere Gespräche mit Angehörigen. Dabei geht es zum Beispiel um die Wohnsituation oder bereits vorhandene Hilfsmittel. Gegebenenfalls verordnen wir den Patienten dann zusätzliche Hilfsmittel.
„An der Geriatrie gefällt mir der ganzheitliche Ansatz: Wir helfen den Patienten bei akuten wie chronischen Beschwerden, interdisziplinär und organsystemübergreifend.“
RÄ: Wie erleben Sie die Arbeit mit den älteren Patientinnen und Patienten?
Dronse: Ein Großteil unserer Patienten ist multimorbide. Wir übernehmen die Behandlung nach akuten Erkrankungen wie Frakturen oder schweren Infektionen, versorgen dabei aber auch die großen Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Osteoporose. Sehr häufig behandeln wir Patienten, die dauerhaft mehr als zehn Medikamente einnehmen und in der Folge unter unerwünschten Neben- und Wechselwirkungen leiden. In diesem Fall prüfen wir die Indikation unter Berücksichtigung von Alter, Organfunktion und Prognose und versuchen Arzneimittel adäquat in Anzahl oder Dosis zu reduzieren.
Viele unserer Patientinnen und Patienten haben, bevor sie zu uns kommen, aufgrund ihres Alters die Hoffnung auf eine Besserung ihrer Beschwerden schon aufgegeben. Umso glücklicher sind sie dann, wenn sie durch unsere Therapie und mögliche Hilfsmittel beispielsweise ihre Mobilität und somit auch Lebensqualität zurückgewinnen.
RÄ: Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Dronse: Vor Kurzem wurde ein älterer Patient, der sich den Oberschenkelhals gebrochen hatte, aus der Unfallchirurgie zu uns verlegt. Trotz zahlreicher gesundheitlicher Probleme hatte er seit knapp 15 Jahren keinen Arzt mehr aufgesucht. Wir haben nicht nur die OP-Nachsorge, sondern auch alle anderen Erkrankungen vom nicht eingestellten Bluthochdruck, über eine unbehandelte COPD bis zum neu diagnostizierten Vorhofflimmern versorgt. Im Rahmen des Aufenthaltes kam es zu einer schweren Pneumonie und Exazerbation der COPD, welche wir ebenso behandelten, wie die stark verhornten und teils eingewachsene Zehennägel, welche dem Patienten schon seit Jahren das Gehen und Tragen regulärer Schuhe erschwerten. Mich freut dabei am meisten, dass wir ihn zur Behandlung seiner vielen akuten wie chronischen Probleme nicht von Abteilung zu Abteilung schicken mussten, sondern in unserer Klinik umfassend versorgen konnten.
RÄ: Gibt es an Ihrem Beruf etwas, das Ihnen nicht gefällt?
Dronse: Manchmal stört mich das Image der Geriatrie, die gerne belächelt wird. Wir sind aber weder ein erweitertes „Pflegeheim“ noch die „Abladestation“ und wir behandeln auch nicht nur Demenzkranke. Wir versorgen ein breites Spektrum an häufigen und relevanten Erkrankungen, und zwar ganzheitlich und interdisziplinär.
Das Interview führte Marc Strohm
Dr. Julian Dronse studierte Medizin in Marburg und London. Schon während seiner neurologischen Weiterbildung, die er an der Universitätsklinik Köln und der LVR-Klinik Merheim absolvierte, stand für ihn fest, dass er die Geriatrie als Teil seiner beruflichen Zukunft sieht. Im April 2023 hat er an der Klinik für Geriatrie im Evangelischen Krankenhaus Köln-Kalk eine entsprechende Zusatz-Weiterbildung begonnen.