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Vom Wissen zum Handeln

08.05.2024 Seite 17
RAE Ausgabe 6/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2024

Seite 17

  • Rund eine Milliarde Mal pro Jahr kommt es nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu einem Kontakt zwischen einem Patienten und einem niedergelassenen Haus- oder Facharzt. © Nastco/istockphoto.com
  • Diese Kontakte können auch genutzt werden, um Patienten über den Zusammenhang von Klimaschutz und Gesundheit aufzuklären und darüber zu informieren, welche Maßnahmen besonders effektiv sind, beides zu schützen. © Edyta Pawlowska/Fotolia.de
Auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte können sich in ihren Praxen für den Klimaschutz und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen einsetzen – sei es durch eine nachhaltigere Praxisorganisation oder durch Ansprache der Patientinnen und Patienten. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen gibt es Unterstützung.

von Thomas Gerst 

Dass ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheit besteht und es Möglichkeiten gibt, hier handelnd einzugreifen, ist keine neue Erkenntnis mehr. Doch der Weg vom Wissen zum Handeln ist auch für Ärztinnen und Ärzte mitunter nicht einfach, selbst wenn § 1 der Berufsordnung es den nordrheinischen Ärzten bereits seit langem zur Aufgabe macht, „an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken“. Doch mittlerweile scheint in der Ärzteschaft mit Blick auf das eigene Tun einiges in Bewegung geraten zu sein. „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ war im Jahr 2021 das Schwerpunktthema des 125. Deutschen Ärztetages. Dort betonten die Delegierten die Dringlichkeit, mit der auch im Gesundheitswesen die Emission von Treibhausgas reduziert werden müsse. Sich selbst sah man dabei auch in der Verantwortung; dies zeigt sich in der Selbstverpflichtung der Bundesärztekammer, ebenso der Ärztekammer Nordrhein, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden.

Auch das Praxispersonal mitnehmen

Der Anteil der deutschen Gesundheitswirtschaft an den Treibhausgasemissionen liegt bei rund fünf Prozent. Dass die Krankenhäuser wesentlich dazu beitragen können, die Klimabilanz zu verbessern, ist schon seit längerem in der Diskussion; viele Kliniken haben sich bereits auf den Weg des nachhaltigen Wirtschaftens gemacht. „Aber auch die Zahl der niedergelassenen Ärzte, die das Thema wirklich ernst nehmen und die gewillt sind, die Forderung des Deutschen Ärztetages nach klimafreundlicher Gestaltung der ärztlichen Arbeit tatsächlich umzusetzen, wird größer“, ist Dr. Christina Hecker von der Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der Dermatologie (AGN) überzeugt. Hatte sie zunächst 2020 zu Beginn ihrer ehrenamtlichen Arbeit in der AGN noch den Eindruck, dass es bei vielen Niedergelassenen an Wissen über Klima- und Umweltschutz mangelte, so sieht sie das Thema mittlerweile in den Köpfen angekommen. Dies zeige auch die zunehmende Zahl von Anfragen bei der AGN zu Vorträgen, Fachartikeln oder Workshops zum Thema Nachhaltigkeit in der Arztpraxis. Seit Ende 2022 ist die AGN ein eingetragener Verein. Inzwischen sei auch die Vernetzung der Gruppierungen, die sich beim Klimaschutz im Gesundheitswesen engagieren, wie der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) e.V., den KlimaDocs e.V. oder dem Verband demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) e.V., weit vorangeschritten. „Das funktioniert jetzt richtig gut“, sagt Hecker im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. 

Mit ihren Angeboten will die AGN Ärzte aller Fachrichtungen samt medizinischem Fachpersonal auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Praxis begleiten. Hecker weiß als ehemalige niedergelassene Dermatologin, dass Ärzte in ihrem Praxisalltag ohnehin schon sehr stark gefordert sind. Sie bräuchten Unterstützung bei der Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen, und ihnen müsse die Angst genommen werden, dass dies nicht zu bewältigen sei. „Es muss ja nicht direkt eine klimaneutrale Praxis sein. Man sollte aber den Schritt wagen und einfach mal anfangen – etwa indem man zum Ökostromanbieter wechselt, PET-Flaschen aus der Praxis verbannt oder Mülleimer anschafft, mit denen man Müll trennen kann, denn sonst kann nichts recycelt werden.“ Es seien häufig zunächst kleine Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Praxis, die aber schon eine positive Wirkung zeigten, sagt Hecker. „Und dann kann es weitergehen eins nach dem anderen – dazu möchten wir Mut machen und dafür gibt die AGN Hilfestellung.“ Diese leistet die AGN nicht nur durch Vorträge, Workshops oder Informationen auf ihrer Website (agderma.de), sondern sie hat eine Reihe von Qualitätsmanagement(QM)-Vorlagen zum Thema „nachhaltige Praxisführung“ erarbeitet, die kostenfrei von ihrer Website heruntergeladen werden können. Diese QM-Vorlagen werden zu verschiedenen Handlungsfeldern in der Praxis angeboten, wie etwa Abfallwirtschaft, Büro und EDV, Einkauf, Energie, Impfen, Instrumentenaufbereitung, Mobilität, Praxisorganisation oder Verordnungen. 

Ein Hauptaugenmerk richtet die AGN darauf, die Medizinischen Fachangestellten auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Praxis einzubinden. Ohne deren Überzeugung, dass dies der richtige Weg sei, ließen sich in einer Arztpraxis die erforderlichen Maßnahmen nur schwer umsetzen, weiß Hecker aus eigener Erfahrung. „Wir haben uns von Anfang an bemüht, gerade auch bei den nichtärztlichen Mitarbeiterinnen die Wissenslücken zu füllen.“ Hier setzt die AGN mit einer separaten Internetplattform, der AGN-Zukunftsakademie, an (agn-zukunftsakademie.de). Angeboten werden modular aufgebaute Kurse zu den Themen Klimawandel und Gesundheit, Resilienz und Klimamanagement; weitere Themen seien in Planung. Nach Abschluss einer bestimmten Kursfolge gibt es ein Zertifikat. Hierdurch werden die Mitarbeiterinnen in die Lage versetzt, aktiv bei einer Verbesserung der Klimabilanz der Praxis mitzuwirken. Hecker hofft, dass die Ärzte die anfallenden moderaten Kosten für ihre Mitarbeiterinnen übernehmen. Denn es sei wichtig, bei allen Beschäftigten des Gesundheitswesens für die Verbreitung eines „Klimabewusstseins“ zu sorgen. So gebe es inzwischen auch eine Kooperation der AGN mit der Bonner Universitätsklinik; dort sollen Online-Kurse angeboten werden, die auf das Arbeitsumfeld der Pflegekräfte abgestimmt sind.

Kontakte zu Patienten nutzen

Ärzte sind durch die zahlreichen Arzt-Patienten-Kontakte mehr als andere in der Lage, das Verhalten vieler Menschen in Sachen Klimaschutz zu beeinflussen. Auf die besondere Rolle der Gesundheitsberufe bei der Kommunikation darüber, wie Klimaschutz und Gesundheitsschutz zusammenhängen, hat kürzlich erst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hingewiesen. Im März 2024 stellte sie ein neues Toolkit vor, das Gesundheits- und Pflegepersonal mit dem Wissen und Selbstvertrauen ausstatten soll, um effektiv über Klimawandel und Gesundheit zu kommunizieren. Die Ärzteschaft wird als Gamechanger angesehen, mit deren Hilfe kollektive Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit und zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vorangetrieben werden sollen. 

Dieser Multiplikatoren-Ansatz wird von den KlimaDocs verfolgt. Als sich die Kölner Initiative vor vier Jahren zusammensetzte, um zu überlegen, was man gemeinsam für mehr Klimaschutz unternehmen könne, war schnell klar, dass man sich nicht auf Maßnahmen zur nachhaltigen Praxisorganisation beschränken wollte. Wichtiger erschien es, den Zusammenhang von Klima- und Gesundheitsschutz direkt an die Patienten zu kommunizieren, betont Dr. Susanne Filfil, Vorstandsmitglied der KlimaDocs, im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Filfil weiß um die großen Einflussmöglichkeiten der niedergelassenen Ärzte, die in ihren Praxen Kontakt zu allen Bevölkerungsgruppen haben. „Wenn wir viele Patienten mit unseren Themen erreichen, können wir gesellschaftliche Normen verändern und der Druck auf die Politik, zu handeln, wächst“, ist die Kölner Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin überzeugt. Ziel der KlimaDocs, mittlerweile ein eingetragener Verein und gefördert durch die Mercator-Stiftung, sei deshalb, möglichst viele Ärzte dazu zu gewinnen, mit Informationsmaterial sowie durch persönliche Gespräche die Patienten über den Zusammenhang von Klima und Gesundheit aufzuklären und deutlich zu machen, welche Maßnahmen effektiv sind, um beides zu schützen (sogenannte Co-Benefits). Die Methode sei simpel, aber wirksam, wie Untersuchungen zu dieser Form der Kommunikation zeigen würden. Ärzte können sich beim Verein als KlimaDocs registrieren lassen (klimadocs.de) und erhalten kostenfrei Informationsmaterial zur Weitergabe an die Patienten oder zur Präsentation in der Praxis. „Wir haben einen möglichst niedrigschwelligen Zugang gewählt, es gibt keine formelle Mitgliedschaft. Man kann sich KlimaDoc nennen, indem man bestellt und das Material im Wartezimmer auslegt“, sagt Filfil. Mittlerweile seien rund 1.000 Ärzte als KlimaDocs registriert. Filfil weiß aus Erfahrung, dass viele noch davor zurückschreckten, KlimaDoc zu werden, weil sie sich selbst nicht als Vorbild beim Klimaschutz sehen. „Aber da sagen wir: Man kann sich auch gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten auf den Weg machen.“ Wie sich die Kommunikation jeweils konkret gestalten soll – ob allein durch Auslage von Info-Flyern oder durch direkte Ansprache – bleibt den Ärzten überlassen. Gut zur Ansprache der Patienten würden sich Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheits-Checkups im Praxisalltag eignen, sagt Filfil. Hätten die KlimaDocs zunächst ihre Info-Materialien selbst erstellt, so gebe es inzwischen zunehmend projektbezogene Zusammenarbeit mit ärztlichen Berufsverbänden oder auch mit KLUG; so sei die aktuelle Info-Broschüre „Klimaschutz ist Kinderschutz“ in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sowie mit KLUG entstanden. Die Kooperation mit den Berufsverbänden und Fachgesellschaften soll noch weiter ausgebaut werden. Derzeit arbeite man gemeinsam mit den Gynäkologen an einer Info-Broschüre für Patientinnen in der gynäkologischen Praxis. Ganz im Sinne der WHO ist Filfil überzeugt, dass es notwendig und hilfreich zugleich ist, die Patienten über die Gesundheitsrisiken des Klimawandels und den Gesundheitsnutzen durch Klimaschutz zu informieren.