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Lea Schlattmann, Assistenzärztin in der Rechtsmedizin

„Ich kann Verstorbenen eine letzte gute Tat erweisen“

10.05.2024 Seite 131
RAE Ausgabe 6/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2024

Seite 131

© Universitätsklinik Essen
Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind.

RhÄ: Frau Schlattmann, was begeistert Sie an der Rechtsmedizin? 
Schlattmann: Schon im Medizinstudium hat mich die Vielseitigkeit der Rechtsmedizin fasziniert. Neben den Obduktionen gehören klinische Untersuchungen, Gerichtstermine und insbesondere die direkte Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei zu meinen täglichen Aufgaben. Die Obduktionen ermöglichen faszinierende Einblicke in die Anatomie sämtlicher Organe und bieten die Möglichkeit, Pathologien direkt an den Organen erkennen zu können. Zudem braucht es in der Rechtsmedizin einen detektivischen Spürsinn, um zum Beispiel anhand von Blutspuren einen Tatablauf rekonstruieren zu können oder unerkannte Tötungsdelikte im Rahmen der Sektionen erkennen zu können. Häufig geht es aber auch um unklare Todesursachen oder auffällige Verletzungsbefunde. 

„Die Rechtsmedizin ist zwar ein kleines, aber dafür sehr besonderes und vor allem vielseitiges Fachgebiet.“ 

RhÄ: Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie? 
Schlattmann: Auch wenn Obduktionen einen wichtigen Teil meiner Arbeit darstellen, bin ich auch in den Rufbereitschaftsdienst eingebunden. Hier untersuche ich regelmäßig Gewaltopfer und Tatverdächtige und begutachte Tatorte. Häufig kommt es auch vor, dass man von der Polizei Fotos von Verletzungen oder unklaren Leichenfundorten zugeschickt bekommt und anhand dieser eine Ersteinschätzung abgeben soll. Gelegentlich werden uns auch aufgefundene Knochen vorbeigebracht, bei denen es unter anderem darum geht, festzustellen, ob es sich um menschliche Knochen handelt und ob eine Identifikation möglich ist. Neben diesen Schwerpunkten habe ich schon erste Erfahrungen als Sachverständige bei Gericht sammeln können, was mir große Freude bereitet. 

Anfangs hatte ich Bedenken, dass mir in der Rechtsmedizin der direkte Patientenkontakt fehlen würde. Diese Befürchtung hat sich jedoch als unbegründet herausgestellt. In den Bereitschaftsdiensten habe ich regelmäßig Kontakt mit Patienten in unterschiedlichen Krankenhäusern, schaue mir deren Verletzungsbefunde an und gebe eine erste Einschätzung zu diesen ab. Auch in unserer neu eröffneten Ambulanz in Essen werden regelmäßig Gewaltopfer vorstellig und lassen ihre Verletzungen rechtsmedizinisch dokumentieren. 

RhÄ: Der Umgang mit Gewaltopfern ist ja immer belastend. Was treibt Sie an? 
Schlattmann: Der Umgang mit belastenden Situationen gehört, glaube ich, grundsätzlich zur ärztlichen Tätigkeit, auch wenn die Rechtsmedizin hier vielleicht etwas hervorsticht. Unsere Arbeit ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um die Unterstützung der Betroffenen von Gewalt und deren Angehörigen geht. So können wir wesentlich an der Klärung von Kriminalfällen mitwirken und einen wichtigen Beitrag zum Rechtssystem leisten.

Zudem bin ich sehr dankbar dafür, dass ich mich jederzeit mit meinen Kollegen  über belastendere Fälle austauschen kann. Außerdem ist ein gesunder Ausgleich durch Familie und Freunde für mich sehr wichtig. 

RhÄ: Ein Großteil Ihrer Arbeit ist aber den Toten gewidmet …
Schlattmann: Ja das stimmt. Aber hinter jedem Verstorbenen steckt ein Mensch mit einer Geschichte, dem ich durch meine Arbeit eine letzte gute Tat erweisen kann. Durch die Aufklärung der Todesursache und die Klärung von Gewalttaten können oft auch die Angehörigen besser mit dem Tod eines geliebten Menschen abschließen. 

Außerdem führen wir die Obduktionen immer in einem Team aus zwei Ärzten und einem Sektionsassistenten durch. Trotz zum Teil sehr belastender Fälle ist dabei stets für ein angenehmes Arbeitsklima gesorgt.

RhÄ: Was gefällt Ihnen nicht an der Rechtsmedizin?
Schlattmann: Was mir nicht gefällt, sind die häufig negativ behafteten Vorstellungen von der Arbeit in der Rechtsmedizin. So denken viele, dass unsere Arbeit dem typischen Fernsehklischee entspricht. Dabei ist der Beruf des Rechtsmediziners deutlich vielseitiger und durch die enge Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und Gerichten auch viel facettenreicher. Während der Rechtsmediziner im Krimi noch am Tatort mit einem Blick die Todesursache und den exakten Todeszeitpunkt feststellen kann, erfordert dies jedoch im echten Leben leider einiges mehr an Arbeit und insbesondere ein funktionierendes Zusammenspiel aus Polizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin. 

RhÄ: Schauen oder lesen Sie noch Krimis?
Schlattmann: Eher selten, da ich ja schon auf der Arbeit meine eigenen „Krimis“ habe.

Lea Schlattmann begann ihr Medizinstudium in Düsseldorf im Alter von 17 Jahren. Nach ihrem Praktischen Jahr in der Rechtsmedizin an der Universitätsklinik Düsseldorf stand für sie ihr Berufswunsch als Rechtsmedizinerin fest. Seit September 2023 absolviert die 25-Jährige eine entsprechende Weiterbildung am Institut für Rechtsmedizin an der Universitätsklinik Essen.

Das Interview führte Marc Strohm