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Gesundheits- und Sozialpolitik

Stillstand bei der Reform der ärztlichen Ausbildung

13.12.2023 Seite 26
RAE Ausgabe 1/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2024

Seite 26

Bund und Länder können sich weiterhin nicht darauf einigen, wer die zusätzlichen Kosten von – niedrig geschätzt – knapp 180 Millionen Euro für die Umsetzung der Reform des Medizinstudiums schultern soll. Nach dem Willen des Verordnungsgebers sollte die Novelle der Approbationsordnung im Oktober 2027 in Kraft treten – ein Termin, der immer fraglicher wird.

von Heike Korzilius

Seit Jahren herrscht Stillstand bei der Reform des Medizinstudiums. Dabei ist eine gute Ausbildung für die Qualität der Patientenversorgung und die Nachwuchsgewinnung gleichermaßen bedeutend. Politik, Ärzteschaft, Medizinische Hochschulen und Studierende sind sich einig über die Notwendigkeit einer Neuregelung und die wesentlichen Ziele der neuen Ärztlichen Approbationsordnung (AO): Die Ausbildung der angehenden Ärztinnen und Ärzte soll praxisnäher werden, sich mehr an den künftigen ärztlichen Aufgaben und den dafür notwendigen Kompetenzen orientieren, die ambulante Versorgung und vor allem die Allgemeinmedizin besser abbilden und digitale Lernformate ebenso in die Ausbildung integrieren wie das Wissen um digitale Möglichkeiten in der Medizin.

Den Grundstein für diese Reform legten die Gesundheits- und Wissenschaftsminister von Bund und Ländern bereits im März 2017 mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“, dessen Umsetzung sie allerdings unter „Haushaltsvorbehalt“ stellten. Im November 2020 legte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf der Grundlage des „Masterplans“ einen ersten Reformentwurf vor. In der Folge feilschten Bund und Länder um die Finanzierung. Als das BMG dann im Sommer 2023 eine überarbeitete Fassung des Reformentwurfs vorlegte, mit der die finanziellen Mehrbelastungen der Länder verringert werden sollen, ohne zentrale Anliegen der Reform zu verwässern, keimte neue Hoffnung auf, dass die ersten Studierenden von Oktober 2027 an nach neuem Curriculum Medizin studieren können. Aktuell geht das BMG davon aus, dass die Kosten für neue Lehr- und Prüfungsformate mit jährlich 177 Millionen Euro zu Buche schlagen, während der Medizinische Fakultätentag (MFT) von gut 300 Millionen Euro ausgeht. Aus Sicht des MFT ist das allerdings gut angelegtes Geld. Werde die Reform so umgesetzt, wie es der überarbeitete Referentenentwurf vorsehe, werde sie die Qualität der Lehre weiter verbessern, heißt es dort. Doch am 29. September erklärte der Bundesrat in einer Stellungnahme zum Haushaltsgesetz 2024: „Für mit erheblichen Kostenfolgen für die Länder verbundene Pläne des Bundes, wie zum Beispiel die Änderung der […] Approbationsordnung der Ärzte, besteht aus Sicht des Bundesrates derzeit kein Spielraum ohne Kostenausgleich des Bundes.“ Letzterer schließt eine Beteiligung an den Mehrkosten „im Einklang mit den verfassungsrechtlich vorgegebenen Finanzierungsverantwortungen“ weiterhin aus, wie das BMG auf Anfrage betonte. 

Vielfach herrscht Pragmatismus

Also, alles auf Anfang? Zumindest diejenigen Medizinischen Fakultäten, die bereits Modellstudiengänge aufgelegt haben, reagieren auf die verfahrene Situation mit Pragmatismus. Die Standorte in NRW hätten ihr Studium der Humanmedizin ständig reformiert, sodass wichtige Ziele der neuen AO bereits heute verwirklicht seien, sagt Univ.-Professor Dr. rer. nat Stefan Uhlig, Dekan der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen, gegenüber dem RÄ. Aachen hat beispielsweise bereits 2003 als eine der ersten Hochschulen in Deutschland das Medizinstudium auf einen Modellstudiengang umgestellt. „Wichtiger Bestandteil ist das sogenannte Z-Curriculum, also die frühzeitige Verzahnung von theoretischer und klinisch-praktischer Lehre“, erklärt Uhlig die wesentlichen Inhalte. In organzentrierten Systemblöcken arbeiteten Dozentinnen und Dozenten aus Instituten und Kliniken interdisziplinär zusammen. Auch das longitudinale Curriculum zur Wissenschaftlichkeit in der Medizin und die neu eingerichtete Professur für Digitale Allgemeinmedizin trügen in Aachen zur Weiterentwicklung der Medizinerausbildung bei. Die Studierenden hätten zudem ein großes Angebot von Wahlfächern, für die zehn Prozent des Curriculums reserviert seien. „Kurzum: Vieles, was in den Verordnungsentwurf für eine neue Approbationsordnung eingeflossen ist, bietet der Modellstudiengang in Aachen bereits jetzt“, sagt Uhlig. Die Medizinerausbildung in Aachen sei nicht abhängig von der zeitnahen Einführung einer neuen Approbationsordnung. Denn sie unterliege der Modellstudiengangsklausel in § 41 AO. Diese sei vom NRW-Wissenschaftsministerium unbefristet bis zur Ablösung durch eine neue AO verlängert worden. „Wie bisher können wir also an unserem Standort die Medizinerausbildung kontinuierlich weiterentwickeln“, betont Uhlig. Er stellt zudem klar, dass die veranschlagten Mehrkosten für die Studienreform, die nach seiner Einschätzung deutlich über dem von der Politik genannten Betrag liegen dürften, vor allem durch den hohen Aufwand für zusätzliche Prüfungen und das neue Pflichtquartal im Praktischen Jahr entstehen. Solche kostenintensiven Neuerungen müssten in jedem Fall gegenfinanziert werden. „Nach meiner Einschätzung – und jetzt spreche ich nur für den Aachener Modellstudiengang – würde die neue AO nicht unmittelbar mit Verbesserungen in der Lehre einhergehen“, meint der Dekan.


Mehr Studienplätze für NRW
In NRW hat die schwarz-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Zahl der Studienplätze im Land um 450 zu erhöhen, ein Plus von 20 Prozent. Was das konkret für die einzelnen Medizinischen Fakultäten bedeutet, ist allerdings noch offen. Zu den Fragen der möglichen regionalen Verteilung der Studienplätze, den finanziellen Auswirkungen und zum Zeitplan würden aktuell noch Gespräche geführt, teilte ein Sprecher des NRW-Wissenschaftsministeriums auf Anfrage mit.