Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten sind häufiger gesundheitlich beeinträchtigt als Gleichaltrige aus Haushalten mit mittleren und hohen Einkommen. Die Folgen von Armut für die Gesundheit von Kindern standen im Zentrum des 10. Kammerkolloquiums Kindergesundheit der Ärztekammer Nordrhein Mitte November.
von Marc Strohm
Armutsgefährdete Kinder, dazu zählen insbesondere Kinder von Alleinerziehenden, sind häufig auch gesundheitlich beeinträchtigt. Das ist eines der Ergebnisse der KIDA-Studie des Robert Koch-Instituts, die deren Mitautorin Petra Rattay beim 10. Kolloquium Kindergesundheit Mitte November im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft vorstellte. Kinder aus ärmeren Haushalten würden schlechter ernährt und erhielten häufig keine ausreichende Unterstützung im schulischen Alltag. Zudem zeigten frühere Untersuchungen, dass sich Armut auf die durchschnittliche Lebenserwartung auswirke, so Rattay. Männer, die bei Geburt der Gruppe mit niedrigem Einkommen angehörten, lebten durchschnittlich 8,6 Jahre kürzer im Vergleich zu Männern, die bei Geburt der einkommensstarken Gruppe angehörten. Bei Frauen betrage diese Differenz 4,4 Jahre. Als armutsgefährdet gilt dabei laut Bertelsmann Stiftung, wem als Einzelhaushalt weniger als 1.189 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Dabei zählten in Deutschland unter anderem Alleinerziehende, Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss sowie Familien mit zwei oder mehr Kindern zu den armutsgefährdeten Haushalten. Um die gesundheitliche Chancengleichheit von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu fördern, forderte die Soziologin eine Mehrebenen-Strategie, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen von armutsgefährdeten Familien ebenso beinhaltet wie einen Ausbau der Verhaltensprävention mit gesünderem Essen und mehr Bewegung in Kitas und Schulen.
Hier setzt das Programm Gesund macht Schule an. Um die Gesundheitskompetenz von Kindern zu stärken, sollten Gesundheitsthemen bereits in der Grundschule im Unterricht aufgegriffen werden, erklärte Snezana Marijan, Referentin für Gesundheitsförderung und Prävention bei der Ärztekammer Nordrhein und Koordinatorin des Programms. Wirklich wirksam könnten diese Inhalte aber nur dann vermittelt werden, wenn sie verpflichtender Bestandteil des Lehrplans seien. Aktuell würden an Grundschulen in Deutschland zwar einzelne Themen wie Suchtprävention, Zahngesundheit oder Sexualerziehung von Lehrerinnen und Lehrern im Sachkundeunterricht aufgegriffen. Systematisch verankert seien die Themen aber im Unterricht nicht, sagte Marijan. Anders sei dies beispielsweise in Finnland: Dort sei Gesundheitserziehung Teil des Lehrplans – mit messbar positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder.
Viele Kinder sind Bewegungsmuffel
Wie wichtig Bewegung, Sport und Spiel für die Gesundheit und die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen sind, stellte Professorin Dr. Christine Joisten vom Institut für Bewegung und Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln heraus. Neben der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit verbessere Sport auch das Selbstwertgefühl und die soziale Kompetenz der Kinder. Allerdings zeigten Studien, dass ein Großteil der Kinder in Deutschland „Bewegungsmuffel“ sind: Bereits vor der Coronapandemie habe sich nur ein Anteil von rund 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre ausreichend bewegt. Die Pandemie habe die Lage weiter verschärft und insbesondere die Zahl der adipösen Kinder steigen lassen. Um hier gegenzusteuern, sollte man die Latte allerdings nicht zu hoch hängen, riet Joisten. Schon zu Fuß zur Schule zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, sei besser als sich gar nicht zu bewegen. Zugleich wies die Allgemeinmedizinerin darauf hin, dass eine gute Gesundheitskompetenz den gesamten Lebensstil umfassen und nicht nur einzelne Aspekte wie Bewegung oder Ernährung herausgreifen sollte. Darüber hinaus gelte es, Lebenswelten zu schaffen, die Kindern ein gesundes Aufwachsen ermöglichten. So seien zum Beispiel in manchen sozialen Brennpunkten Spielplätze für Kinder tabu, weil sie verdreckt seien oder von Drogenabhängigen genutzt würden.
Dr. Josef Kirchner, nordrheinischer Vorsitzender des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland, maß den Schulen eine große Bedeutung für die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bei und forderte mehr wertschätzende Kommunikation. Er warnte davor, dass die Folgen von psychischer Gewalt und Mobbing an Schulen vielfach nicht ernst genug genommen würden. „Ich arbeite in meiner Praxis täglich mit Mobbingopfern“, sagte Kirchner. Die Kinder, die professionelle psychotherapeutische Hilfe erhielten, seien aber in der Minderheit. Der Kinderpsychiater forderte zudem eine konsequente Triagierung auffälliger Kinder und deren frühzeitige Vermittlung an Kinderärzte. Wichtig sei dabei eine gute Vernetzung aller therapeutischen Angebote: vom Kinderarzt über Kinderpsychologen und -psychiater bis hin zu Ergotherapeuten oder Sozialarbeitern. Daran mangele es zurzeit noch.