In vielen Fachgebieten gehört eine multiprofessionelle Behandlung mittlerweile zum Standard. Unterstützende ambulante Angebote sollen den Patientinnen und Patienten darüber hinaus mehr Sicherheit geben, sie navigieren und informieren. Am Universitätsklinikum Düsseldorf (UKD) unterstützen und begleiten seit 2022 ehemalige Krebspatientinnen und -patienten akut an Krebs Erkrankte.
von Vassiliki Temme
Zwei Frauen, ein Schicksal: Brustkrebs. Die eine, um die 70 Jahre alt, befindet sich mitten in der Therapie, die andere hat im Alter von 80 Jahren den Krebs besiegt. Die Frauen lernen sich über das Peer-Mentoring-Programm des Univer-sitätsklinikums Düsseldorf kennen. Annette Hopp, Psychologin M.Sc. und Psychoonkologin, ist die Verbindung dieser zwei Frauen aus dem laufenden Jahrgang besonders in Erinnerung geblieben: „Die beiden haben sich über vieles ausgetauscht, beispielsweise darüber, ob eine Chemotherapie sinnvoll ist.“ Doch der persönliche Kontakt zwischen Betroffenen ermögliche es auch, ganz praktische Dinge anzusprechen. „Die Krebspatientin war sehr angetan von den Haaren unserer Mentorin, und fragte, woher diese denn die tolle Perücke und die Augenbrauen habe. Solche Momente sind immer sehr berührend und auch der Grund, warum dieses Programm so wichtig ist“, betont Hopp, die das Peer-Mentoring-Programm koordiniert und selbst als Lotsin tätig ist, im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. „Oftmals kann jemand, der das gleiche Schicksal erlitten und den Krebs bereits besiegt hat, in bestimmten Situationen ein besserer Ratgeber sein als Ärztinnen, Ärzte, Pflegepersonal oder auch Angehörige.“ Für viele Menschen sei die Diagnose „Krebs“ mit großen Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen verbunden, die nicht Betroffene nicht immer nachvollziehen könnten, so Hopp.
Emotionale Stütze
Interessierte, die Peer-Mentoren werden wollen, müssen mindestens 18 Jahre alt sein und ihre akute Krebsbehandlung abgeschlossen haben. Außerdem dürfen sie sich nicht in psychiatrischer Behandlung befinden. Die Mentorenausbildung findet in elf Präsenzveranstaltungen á zweieinhalb Stunden in den Räumlichkeiten der UKD-Psychoonkologie statt. Aktuell befinden sich Hopp zufolge zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer, etwas mehr Frauen als Männer, in der Ausbildung. Die angehenden Mentorinnen und Mentoren erhalten Kommunikationsschulungen und absolvieren viele praktische Übungen. „Einmal im Monat treffen sie sich mit den Koordinatorinnen und Koordinatoren des Programms. Neben organisatorischen Belangen besprechen wir dann auch die einzelnen Fälle“, erläutert Hopp. Oftmals sei die erneute Auseinandersetzung mit dem Krebs für die Mentoren emotional belastend. Die Gruppengespräche dienten dazu, das eigene Krankheitserleben zu verarbeiten, um sich der Aufgabe als Mentor besser widmen zu können. Das erste Treffen von Mentoren und Krebspatienten habe bislang immer im geschützten Raum der Klinik stattgefunden, so Hopp. Seit vergangenem Oktober könne die Kontaktaufnahme auch über ein Online-Portal erfolgen. Das senke die Hürden für potenzielle Interessierte. „Viele Menschen, die sich in einer Krebstherapie befinden, sind froh, wenn sie jenseits der Therapien nicht noch viele weitere Termine fest vereinbaren müssen. Nun sind sowohl unsere akut erkrankten Patientinnen und Patienten, aber auch unsere Peers viel flexibler“, sagt Hopp. Die Dauer der Peer-Begleitung sei nicht vorgegeben. Werde es von beiden Seiten gewünscht, könnten die Peer-Mentoren ihre Mentées bis zum Ende der Behandlung unterstützen.
Patienten im Fokus
Seine Ursprünge hat das Konzept des Peer-Mentoring in den USA der 1970er-Jahre. Damals wurden Menschen, die nach einer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik zurück ins Leben fanden, oft von Gemeinden und Mitbürgern stigmatisiert und ignoriert. Aus der Not heraus schlossen sich die Peers zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Daraus entstand eine Bewegung, die auf Empathie, Ressourcen und einen nicht wertenden Dialog mit Gleichgesinnten setzte. Durch die Zusammenschlüsse und Gespräche wurden auch Missstände in den Einrichtungen aufgedeckt. Heutzutage gelten Peer-Mentoring-Dienste als integraler Bestandteil der US-amerikanischen Gesundheitsversorgung – von Prävention und Frühintervention über Behandlung, Genesung bis hin zu Krisenversorgung.
Auch das Team am UKD ließ sich durch Erfahrungen mit dem Peer-Mentoring in den USA und durch zwei Projekte aus Deutschland, jeweils in Leipzig (Peer2Me) und Freiburg (ExPEERtise) inspirieren. Die Projekte dort richteten sich auch an Krebspatienten und sind mittlerweile abgeschlossen. „Das Klinische Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hier in Düsseldorf hält von Anfang an ein breites psychoonkologisches Angebot für stationäre und ambulante Patientinnen und Patienten vor“, erklärt dessen stellvertretender Leiter und Leiter des Bereichs Psychoonkologie am Universitätstumorzentrum, Dr. André Karger. Dazu gehöre insbesondere die Krebsberatungsstelle. Hier unterstützten ausgebildete Lotsinnen, alle aus dem Bereich der Psychologie oder der Sozialen Arbeit, die Krebspatientinnen und -patienten während ihrer Behandlung.
Perspektivenwechsel
„Hinzugekommen sind dann 2022 unsere Peer-Mentorinnen und Mentoren, die vor allem während der ambulanten Behandlung unserer Krebspatienten begleiten und diesen ihre Krankheitserfahrungen zur Verfügung stellen. Diese Kombination aus professioneller psychoonkologischer Beratung und den Mentorinnen und Mentoren, die eben durch die eigene Krebserfahrung zu Experten geworden sind, ist besonders und in Deutschland sonst fast nirgendwo etabliert“, sagt Karger. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie und Psychoonkologe erklärt das wachsende Interesse an den Mentoring-Programmen mit dem Perspektivenwechsel in der Medizin. In den vergangenen Jahrzehnten seien die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt. „Vorbei sind die Zeiten der Ärztinnen und Ärzte als unantastbare Götter in Weiß. Heutzutage geht es vielmehr darum, die Behandlung so zu gestalten, dass die Patienten in ihrer Autonomie und Entscheidungsfähigkeit gestärkt werden. Dass sie das Gefühl erhalten, sie können aktiv mitentscheiden und sich mit ihrer Krankheit auseinandersetzen“, betont Karger.