Vorlesen
Meinung

Winter des Stillstands

25.11.2024 Seite 3
RAE Ausgabe 12/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2024

Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein © Jochen Rolfes
Der Termin für die Neuwahlen nach dem Ampel-Aus steht fest. Im Februar soll in Deutschland gewählt werden. Bundeskanzler Scholz hat zwar angekündigt, dass seine Minderheitsregierung bis dahin noch wichtige Gesetzesvorhaben voranbringen will. In seiner Aufzählung fehlen aber Gesetze aus dem Gesundheitswesen.

Bitter für uns ist, dass wir angesichts unserer unübersehbaren Probleme in der ambulanten und stationären Versorgung daher weiter auf die versprochene Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte, die Anhebung der Bagatellgrenzen für Regresse, die Reform von Notfall- und Rettungsdienst und die dringend benötige Entbürokratisierung warten müssen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach wird für die längst versprochenen Reformen wohl keine Mehrheiten bekommen. Aus dem von ihm angekündigten Herbst der Reformen wird ein Winter des Stillstands werden.

Dass nun ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, ein Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, ein Gesetz zur Notfallreform, ein Gesetz zur Lebendorganspende, ein Gesetz zur Suizidprävention nicht mehr umgesetzt werden, liegt auch an der fragwürdigen Priorisierung von Gesetzesvorhaben im Hause Lauterbach. Ob die Teillegalisierung von Cannabis tatsächlich wichtiger war als die Entbürokratisierung des Gesundheitswesens mit der Schaffung von dringend benötigter Patienten-Arzt-Zeit, muss unter Versorgungsgesichtspunkten sicherlich bezweifelt werden. Ob ein Krankenhaustransparenzgesetz mit seinem unbrauchbaren Klinikatlas wirklich vor der eigentlichen Krankenhausreform verabschiedet werden musste, darf ebenfalls in Frage gestellt werden. 

Beide Gesetze stehen für einen Politikstil, der ein mir unerklärliches Maß an Misstrauen gegenüber der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen in sich trägt. Und sie stehen für einen Politikstil, der nicht auf Beteiligung und Dialog setzt, sondern auf Konfrontation.
Wir wissen heute nicht, welche Regierung wir im kommenden Frühjahr erhalten werden. Wir würden uns aber sehr wünschen, wenn sich dieser Politikstil nicht weiter fortsetzt.

Die Akteure der Selbstverwaltung sind in den zurückliegenden drei Jahren immer unzureichender in gesundheitspolitische Prozesse und Gesetzgebungsverfahren im Bund einbezogen worden. Das hat den meisten Gesetzen hinsichtlich ihrer Praktikabilität, Sachgerechtigkeit und ihrem Nutzen für unsere Patientinnen und Patienten nicht gutgetan. Wir brauchen daher ein neues konstruktives Miteinander in der Gesundheitspolitik. Dass so ein Miteinander möglich ist, haben wir in NRW bei der Gestaltung der Krankenhausplanung gezeigt. 

Neben dem Willen zur Kooperation brauchen wir zudem einen Plan, wie wir mit begrenzten Ressourcen eine gute Gesundheitsversorgung aufrechterhalten können. Dazu gehören für mich eine bessere Koordination im Gesundheitswesen, eine praxistaugliche und von Praktikern gestaltete Digitalisierung inklusive Entbürokratisierung, eine systematische Ambulantisierung, die Umsetzung des Masterplans 2020 sowie die Förderung von Gesundheitskompetenz und Prävention. Hoffen wir, dass wir mit diesen Anliegen bei der nächsten Regierung auf offene Ohren treffen.


Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein