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Revision der Deklaration von Helsinki

26.11.2024 Seite 35
RAE Ausgabe 12/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2024

Seite 35

Mit einer überarbeiteten Fassung, die aktuellen biomedizinischen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden soll, will der Weltärztebund den in der Deklaration formulierten ethischen Prinzipien für die Forschung an Menschen weiterhin weltweite Geltung verschaffen.

von Thomas Gerst   

Vor 60 Jahren formulierte der Weltärztebund (World Medical Association) mit der Deklaration von Helsinki erstmals weltweit als verbindlich angesehene Prinzipien für die biomedizinische Forschung an Menschen. In den darauffolgenden Jahrzehnten kam es seit 1975 mehrfach zu ergänzenden Änderungen in der Deklaration. Nun hat der Weltärztebund am 19. Oktober 2024 auf der Jubiläumstagung in Helsinki eine Fortschreibung der Deklaration mit einigen wichtigen Änderungen beschlossen (www.wma.net). Vorausgegangen war ein länger als zwei Jahre dauernder Diskussionsprozess; mehrere Arbeitstagungen widmeten sich spezifischen Schwerpunkten und bereiteten eine weitgehend konsentierte überarbeitete Fassung der Deklaration von Helsinki vor.
  
Neu ist, dass sich die Deklaration nicht allein als verbindliche Vorgabe an Ärztinnen und Ärzte richtet, die mit Forschung an Menschen befasst sind, sondern nun für alle gelten soll, die maßgeblich an der Forschung beteiligt sind. Explizit werden nun „physicians and other researchers“ genannt, für die die Vorgaben der Deklaration verbindlich sind, wohingegen es zuvor nur die Empfehlung an andere Berufsgruppen gab, sich an den Inhalten der Deklaration zu orientieren.

Weiter wird die Verantwortung der Forschenden, bei ihren Projekten nicht über nationale oder internationale Verteilungsungerechtigkeiten hinwegzuschauen, in der Deklaration deutlicher angesprochen. Eine ethisch verantwortungsvolle medizinische Forschung dürfe nicht unberücksichtigt lassen, wie sich Nutzen, Risiken und durch die Forschung entstehende Belastungen innerhalb bestehender struktureller Ungleichheiten verteilen, heißt es neu in § 6 der Deklaration. In den vorbereitenden Tagungen zur Überarbeitung der Deklaration sei ein diesbezügliches Versagen von Forschenden und Sponsoren deutlich angesprochen worden, schreibt dazu Dr. Jack S. Resneck, Präsident der American Medical Association von 2022–2023, der als Vorsitzender der Arbeitsgruppe an der Revision der Deklaration mitwirkte. Auch gibt § 10 der Deklaration nun vor, dass bei der medizinischen Forschung am Menschen die ethischen und gesetzlichen Vorgaben sowohl des Landes, aus dem das Forschungsprojekt stammt, als auch des Landes, wo dieses realisiert wird, beachtet werden – wobei nirgendwo der von der Deklaration vorgeschriebene Schutz der Mitwirkenden unterschritten werden dürfe. In diesen Zusammenhang ist auch der neue § 23 zu sehen, nach dem bei internationalen Forschungsprojekten Ethikkommissionen der beteiligten Länder das Studienprotokoll genehmigen müssen. Diese sollten zudem ausreichend vertraut sein mit den lokalen Gegebenheiten und Zusammenhängen. Insgesamt werde durch die Deklaration von Helsinki der Patienten- und Probandenschutz angesichts eines veränderten Forschungsumfeldes weiter gestärkt, bewertet der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, die Neufassung. Sie betone zudem die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Ethikkommissionen – für Reinhardt auch ein wichtiges Signal vor dem Hintergrund der Debatte in Deutschland um das Medizinforschungsgesetz.

Eine substanzielle Änderung der Deklaration bezieht sich nach Einschätzung von Resneck auf den Umgang mit vulnerablen Gruppen und Individuen in der medizinischen Forschung. Hier wird in der Neufassung deutlicher als zuvor der Umstand hervorgehoben, dass deren Ausschluss von medizinischer Forschung möglicherweise negative Konsequenzen für diese haben könnte. Deshalb sollen mögliche Nachteile einer Exklusion vulnerabler Personen stets abgewogen werden gegenüber den Nachteilen ihrer Inklusion in ein Forschungsvorhaben. Unmissverständlich wird aber bestimmt, dass der Einschluss vulnerabler Gruppen oder Individuen nur dann zulässig sei, wenn diese selbst von den Forschungsergebnissen profitieren werden und eine entsprechende Forschung mit Nicht-Schutzbedürftigen nicht durchgeführt werden kann.

Wohl nicht zuletzt als Folge der weltweiten Coronapandemie sah sich der Weltärztebund veranlasst, in die Deklaration von Helsinki einen neuen § 8 einzufügen. Hier wird explizit darauf hingewiesen, dass auch ein allgemeiner Gesundheitsnotstand nicht als Rechtfertigung dafür angesehen werden kann, die in der Deklaration verankerten ethischen Prinzipien außer Kraft zu setzen.
 

Präsident fordert gesundheitspolitisches Engagement zum Schutz der Patienten

Zum Präsidenten des Weltärztebundes für die Jahre 2024–2025 wurde auf der Generalversammlung in Helsinki (16.–19. Oktober) Dr. Ashok Philip aus Malaysia gewählt. Der Facharzt für Innere Medizin und ehemalige Präsident der Malaysian Medical Association warnte in seiner Antrittsrede vor den drohenden Gefahren für die professinelle Autonomie von Ärztinnen und Ärzten weltweit. Diese Autonomie bedeute insbesondere, frei über die Behandlung von Patientinnen und Patienten entscheiden zu können. Dafür sei ärztliches Engagement in der Gesundheitspolitik erforderlich. Dies erscheine manchen mühsam und weit entfernt vom direkten Kontakt mit dem Patienten, doch auf lange Sicht diene dieses Engagement dem Schutz der Patienten, betonte Philips.