Das 11. Kammerkolloquium zur Kinder- und Jugendgesundheit Mitte Juni im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf richtete seinen Blick auf mögliche Suchtgefahren und darauf ausgerichtete Präventionsmaßnahmen. Die Expertinnen und Experten lenkten den Fokus zum einen auf die Folgen der Teillegalisierung von Cannabis für Kinder und Jugendliche und zum anderen auf den pathologischen Medienkonsum.
von Vassiliki Temme
Dr. Anne Bunte, Vorstand der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen und zuletzt Leiterin des Gesundheitsamtes im Kreis Gütersloh, bekräftigte vor den rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass ihrer Ansicht nach hinter der Teillegalisierung von Cannabis knallharte wirtschaftliche Interessen stehen und warnte vor einem deutlichen Anstieg des problematischen Konsums. „Es macht nachdenklich, dass 4,5 Millionen, immerhin 8,8 Prozent der Erwachsenen in Deutschland bei einer Befragung von 2021 angegeben haben, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert haben“, erklärte Bunte. Dazu komme der Konsum legaler Drogen, wie Tabak oder Alkohol. Die breite Verfügbarkeit dieser Suchtmittel erhöhe auch die Gefahr für Kinder und Jugendliche.
Umdenken im Schulalltag
Den Stellenwert der Suchtprävention an Schulen verdeutlichte Dr. phil. Tanja Reinlein, Leiterin der Abteilung 3 des NRW-Schulministeriums. Schulen seien Orte, die für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, gerade auch für deren psychische Gesundheit eine große Bedeutung hätten. Aktuell, so Reinlein, werde die Arbeit von multiprofessionellen Teams aus Schulsozialarbeitern, Schulpsychologen und Beratungslehrkräften, die für die Bekämpfung psychischer Erkrankungen wichtig seien, in Deutschland noch nicht hoch genug geschätzt. „Vor dem Hintergrund der zahlreichen Berichte und Studien um die angegriffene mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird das Schulministerium die kommende Entwicklung sehr wachsam beobachten“, sagte sie und warnte zugleich vor den psychischen Folgen des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche. Denn auch wenn der Zugang zu Cannabis für Minderjährige verboten bleibe, bestehe die Sorge, dass diese die Teillegalisierung fälschlicherweise als Signal deuteten, dass die Warnhinweise rund um den Cannabiskonsum nicht ernst zu nehmen seien. „Dabei befindet sich das Gehirn bis zum 25. Lebensjahr noch im Entwicklungsprozess und reagiert sehr empfindlich auf psychotrope Substanzen, mit den bekannten Folgeschäden in der persönlichen und schulischen Entwicklung.“
Reinlein betonte, dass manche Kinder und Jugendliche immer schon versucht hätten, depressive Episoden, ADHS-Problematiken oder ein Gefühl der generellen Überforderung mit Drogen zu bekämpfen. „Als Schulministerium ist es unsere Aufgabe, die Schulen rund um das Thema Resilienzfaktoren und mentale Gesundheit stark zu machen und zu begleiten“, sagte Reinlein. Dafür biete etwa das „Landesprogramm Bildung und Gesundheit“ hilfreiche Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte. (Weitere Informationen unter www.schulministerium.nrw.de).
Reinlein ging im zweiten Teil ihres Vortrages auch auf den pathologischen Medienkonsum ein. Es sei wichtig, dass Kinder und Jugendliche einen souveränen Umgang mit Medien erlernten. „Man kann bei diesem Thema nicht nur von Verboten sprechen. Wir wissen, dass der Umgang mit Medien zu den Zukunftskompetenzen gehört und Schulen sollten die Chancen der Digitalisierung aufzeigen und stärken.“ Reinlein betonte, dass eine durch Digitalisierung geprägte Zukunft, eine Schule erfordere, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die neuen Anforderungen vorbereite. Der Schlüssel für eine gelungene digitale Bildungsbiografie liege in der Vermittlung von Medienkompetenz. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch eine Grundbildung in Informatik. „Zunehmend legt die digitale Bildung einen zentralen Grundstein für eine erfolgreiche und selbstbestimmte Lebens- und Erwerbsbiografie“, sagte Reinlein.
Medienkompetenz muss gelernt sein
Neben den Chancen, die der Prozess der Digitalisierung eröffne, sehe man im Schulministerium aber auch sehr genau auf die Risiken und Gefahren, die mit der Nutzung digitaler Medien, vor allem mit dem Internet verbunden seien. „Schülerinnen und Schüler sind gegebenenfalls Phänomenen wie Cybermobbing, Cybergrooming, Sexting und anderen Gefahren ausgesetzt. Wir müssen aber auch über den übermäßigen Medienkonsum bis hin zu gesundheitsschädigendem Konsum mit Suchtcharakter sprechen“, so Reinlein. In Nordrhein-Westfalen soll der Medienkompetenzrahmen (siehe Kasten) Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte dabei unterstützen, ein gesundes Medienverhalten zu entwickeln: „Es sind vor allem soziale und kommunikative Kompetenzen, die Schutz gegen eine unkontrollierte Internetnutzung bieten: ein angemessenes Kommunikationsverhalten, die Fähigkeit, konstruktiv Konflikte zu lösen, und auch selbst das eigene Verhalten einschätzen zu können.“
Medienkompetenzrahmen
Mit dem Medienkompetenzrahmen NRW hat das Land ein Instrument geschaffen, das für alle Schulen verbindlich regelt, über welche Medienkompetenzen die Schülerinnen und Schüler am Ende der Klasse zehn verfügen sollen. Der Medienkompetenzrahmen NRW ermöglicht mit seinen sechs Kompetenzbereichen und insgesamt 24 Teilkompetenzen eine altersgemäße und systematische Medienbildung von der Primarstufe bis zum Ende der Schulpflichtzeit in der Sekundarstufe I.
Weitere Informationen auf: https://medienkompetenzrahmen.nrw/