Bei Operationen zur Behebung eines Leistenbruchs werden je nach Indikation offene oder endoskopische Verfahren angewendet. Abhängig vom Verfahren gibt es – neben typischen Komplikationen – auch eine Reihe von Fehlermöglichkeiten. Besonderes Augenmerk ist daher nicht nur auf die Indikationsstellung und die Auswahl des Operationsverfahrens, sondern auch auf die Anforderungen an die präoperative Aufklärung und die Nachsorge zu legen.
von Jochen W. Erhard, Carsten J. Krones, Burkhard Gehle und Tina Wiesener
Die Gutachterkommission hatte sich im Fall einer endoskopischen Leistenhernien-Operation vornehmlich mit der besonderen Bedeutung der Aufklärung über die Art des geplanten Eingriffs und mit der ärztlichen Dokumentationspflicht auseinanderzusetzen. Ärzten einer chirurgischen Klinik wurden Fehler bei einer Operation zur Behebung einer Leistenhernie links vorgeworfen. Bereits in der Operation sei der N. femoralis geschädigt worden. Postoperative Beschwerden, insbesondere Klagen über Taubheit im Bereich des linken Oberschenkels und ein Versagen des linken Beins am Entlassungstag sowie starke Schmerzen seien unberücksichtigt geblieben. Eine weitergehende Diagnostik habe nicht stattgefunden. Die letztlich angewendete Operationsmethode, das TAPP-Verfahren (TAPP, transabdominal präperitoneal), sei zudem nicht Gegenstand der Aufklärung gewesen. Erst bei der hausärztlichen Nachbehandlung und Überweisung zur neurologischen Abklärung sei die Nervenläsion des N. femoralis links festgestellt worden.
Sachverhalt
Aufgrund einer seit mehr als einer Woche bestehenden Schwellung im Bereich der linken Leiste wurde eine 70-jährige Patientin mit der Diagnose einer (reponiblen) Leistenhernie links in eine chirurgische Klinik zur Leistenhernien-Operation aufgenommen. Als Komorbiditäten wurden im Aufnahmebefund ein arterieller Hypertonus, eine Carotisstenose beidseits und ein Z. n. Bandscheiben-Operation L5/S1 im Jahr 2008 vermerkt. Es lag ein MRT-Befund der LWS-nativ aus 01/2008 vor.
Die Aufklärung zur Operation erfolgte unter Hinzunahme eines Aufklärungsbogens für eine „Leistenhernien-Operation mit Netzimplantation in offener/minimalinvasiver Technik“, ergänzt durch eine händische Schemazeichnung eines Abdomens mit der Markierung von Inzisionen im Nabelbereich und im Unterbauch links.
Von den auf der ersten Seite des Aufklärungsbogens dargestellten Abbildungen ist die „offene Netzimplantation nach Lichtenstein“ markiert, das „laparoskopische TAPP-Verfahren“ ist durchgestrichen. Markiert sind hingegen die „Bauchwandspiegelung mit Netz-Plastik (TEP-Verfahren)“ und – mit „ggfl.“ gekennzeichnet – die „offene Netzimplantation nach Lichtenstein“. Unter der Rubrik „Arztanmerkungen zum Aufklärungsgespräch“ sind auf der letzten Seite des Bogens zusätzlich eingetragen: „Blutung, Nachblutung, Durchblutungsstörung, Gefühlsstörungen, Wundheilungsstörung, Abszessbildung, Netzinfektion, ggfs. erneute Op und Netzentfernung, Verletzung von Bauchorganen, ggfs. befundorientierte Erweiterung der Op., Rezidivbruchbildung, Netzdislokation, Narbenschmerzen“.
Die Operation der Leistenhernie links wird im Operationsbericht als transabdominale präperitoneale Netzeinlage links unter Einbringung eines 10 x 12 cm Ultrapro-Netzes von lateral beschrieben. Komplikationen sind nicht vermerkt. Auch dem Pflegebericht der Normalstation können sowohl für den Nachmittag des Operationstages als auch den Folgetag und den darauffolgenden Entlassungstag, außer einer Schmerzangabe am ersten postoperativen Tag, keine Besonderheiten entnommen werden.
Im Kurzarztbrief mit Datum des Entlassungstages wird ein komplikationsloser Verlauf geschildert, hierin jedoch „eine persistierende Sensibilitätsstörung linker Oberschenkel bei vorbestehender Spinalkanalstenose“ beschrieben.
Auch dem nach circa drei Wochen folgenden endgültigen Arztbrief kann wiederum unter anderem eine „persistierende Sensibilitätsstörung linker Oberschenkel bei vorbestehender Spinalkanalstenose, Zustand nach NPP-Op (Nucleus-Pulposus-Operation, Anm. d. Verfasser) L5/S1 01/2008, bekannte breitbasige Bandscheibenprotrusion L3/4 sowie L4/5“ entnommen werden. Es wird erneut berichtet, dass die Patientin einen komplikationslosen postoperativen Verlauf gehabt habe, ergänzt durch die Mitteilung, dass sie eine persistierende Sensibilitätsstörung am linken Oberschenkel beklagt habe, die von den behandelnden Chirurgen auf die vorbestehende Spinalkanalstenose beziehungsweise die oben erwähnten breitbasigen Bandscheibenprotrusionen zurückgeführt worden sei.
Auf den Karteikarteneinträgen der Hausärzte der Patientin gab es hingegen keine Hinweise auf das Vorbestehen einer neurologischen Störung im Bereich des linken Oberschenkels oder Beins vor der Operation. Ein Eintrag über eine hausärztliche Konsultation circa zehn Tage nach der Operation dokumentiert allerdings einen „postop. Nervenschaden nach Hernioplastik … Nervenschaden linker Oberschenkel“.
In einem neurologisch/psychiatrischen Befundbericht an die Hausärzte der Patientin, erstellt circa einen Monat nach der beklagten Operation, werden als Diagnosen genannt: Vorliegen einer N. femoralis-Läsion links mit inkompletter M. quadrizeps femoris-Parese links, Z. n. Leistenhernien-Operation, chronisches Wurzelirritationssyndrom L4/L5 links, bekannte Spinalkanalstenose, keine Hinweise auf Polyneuropathie.
Chirurgische Begutachtung
Der chirurgische Gutachter stellte fest, dass bei der Patientin ohne Zweifel eine Leistenhernie links vorgelegen und eine Operationsindikation bestanden habe. Im Aufnahmebefund seien unter anderem Vorerkrankungen einschließlich der Bandscheibenoperation im Jahr 2008 aufgeführt. Eine vorbestehende neurologische Symptomatik sei jedoch weder im Rahmen der Anamneseerhebung und Untersuchung bei der Aufnahme noch in der hausärztlichen Dokumentation beschrieben.
In der Aufklärung zur Operation seien das TEP-Verfahren und die Lichtenstein-Methode angegeben, das TAPP-Verfahren hingegen sei durchgestrichen worden. Es handele sich bei den genannten Eingriffen zur Operation der Leistenhernie um erheblich voneinander abweichende Operationstechniken mit unterschiedlichen Operationszugängen, die mit unterschiedlichen Risiken verbunden seien. Mögliche Nervenläsionen würden im vorgedruckten Text zwar erwähnt und bei den händisch ergänzten Risiken mit dem Begriff „Gefühlsstörungen“ nochmals aufgeführt, dennoch liege eine fehlerhafte Aufklärung vor, da zwar generell über eine Leistenhernien-Operation aufgeklärt, das letztlich angewandte Operationsverfahren aber bei der Aufklärung offensichtlich verworfen und im Aufklärungsbogen durchgestrichen worden sei.
Der Operationsbericht selbst lasse das TAPP-Verfahren in ausreichender Weise nachvollziehen. Eine fehlerhafte Operationsdurchführung und auch eine mit einer Erhöhung des Risikos für den Eintritt einer Komplikation vorgenommene Fixierung des Netzes seien nicht beschrieben.
Für den postoperativen Verlauf stellte der chirurgische Sachverständige fest, dass weder in der Pflegedokumentation noch in dem einzigen ärztlichen Eintrag in der Kurve postoperativ von Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Oberschenkels der Patientin berichtet worden sei, dies aber im ersten und zweiten Arztbrief Erwähnung gefunden habe. Gerade unter dem Aspekt der Anamnese mit der Information über einen stattgehabten operativen Eingriff an der Wirbelsäule im Jahr 2008 hätte aber eine weitere Diagnostik postoperativ eingeleitet werden müssen. So sei nicht dokumentiert, dass während des stationären Aufenthaltes eine Untersuchung (z. B. Sonografie) der operierten Region durchgeführt und ein neurologisches Konsil veranlasst worden sei oder bei Entlassung eine Information an den Hausarzt erfolgt sei, eine diesbezügliche Diagnostik einzuleiten. Auch sei keine Wiedervorstellung veranlasst worden. Abhängig vom Ergebnis hätte eine sofortige Physiotherapie angezeigt sein können.
Die postoperative Behandlung sei insgesamt als fehlerhaft zu werten. Nicht vorwerfbar hingegen sei es, dass es zu der Nervenläsion gekommen ist. Dies sei angesichts der nach Aktenlage korrekt durchgeführten Operation als schicksalhaft zu werten. Es sei allerdings gutachterlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Läsion des N. femoralis intraoperativ entstanden ist.
Einwendungen gegen das Gutachten
Den Feststellungen des Gutachters wurde vom Chefarzt der belasteten Klinik widersprochen. Er beantragte ein abschließendes Gutachten durch die Gutachterkommission mit der Begründung, über das Risiko von Nervenschäden als solches sei aufgeklärt worden. Dieses Risiko habe unabhängig von der Operationsmethode bestanden. In den Entlassungspapieren sei über die neurologische Situation berichtet worden. Eine zusätzliche Diagnostik hätte für den weiteren Verlauf keine relevanten Konsequenzen gehabt. Anlass für eine sofortige Physiotherapie habe angesichts des Beschwerdebildes nicht bestanden. Ein Behandlungsfehler liege nicht vor.
Abschließende Begutachtung
Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt daraufhin erneut einer vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen und Folgendes festgestellt: Essenzieller Bestandteil der Operationsaufklärung ist eine detaillierte Information über das geplante Operationsverfahren. Zentrale Aufgabe der ärztlichen Aufklärung ist es dabei, dem Patienten Art, Bedeutung, Ablauf und Folgen des geplanten Eingriffs in einer ihm verständlichen und damit individuell angepassten Form zu verdeutlichen.
Aufgeklärt wurde die Antragstellerin an erster Stelle über die Durchführung einer total extraperitonealen Netzplastik (TEP). Bei diesem Verfahren erfolgt die Operation komplett vor dem Bauchfell innerhalb der Bauchwand. Durchgeführt wurde allerdings eine transabdominale präperitoneale Netzplastik (TAPP), bei der von der Bauchhöhle aus operiert und das Bauchfell von innen eröffnet wird, um das Netz dann vor dem Bauchfell zu implantieren. Beide Verfahren platzieren also das Netz an gleicher Position, doch die Zugangswege unterscheiden sich erheblich. Der unterschiedliche Zugang beeinflusst nach Literaturdaten nicht die Rate an Nervenverletzungen, die bei beiden Eingriffsarten auftreten können, allerdings wohl die Rate an viszeralen Verletzungen des Darms (eher bei der TAPP), Gefäßverletzungen (eher bei der TEP), Trokarhernien (eher bei der TAPP) oder Konversionen zur offenen Operation (eher bei der TEP), wenn auch in jedem Fall in geringem Umfang. Damit beinhaltete die präoperative Information im konkreten Fall neben der gewählten Operationstechnik zwangsläufig auch nicht das spezifische Risikoprofil, auch wenn im Aufklärungsbogen pauschal zum Beispiel auf die Möglichkeit einer Verletzung von Bauchorganen hingewiesen wird.
Trotz des Aufklärungsfehlers standen hier einer Haftung zwei Einwände entgegen. Hat sich ein Risiko verwirklicht, über das auch im Angesicht der vorliegenden Mängel tatsächlich aufgeklärt worden ist, tritt eine Haftung der Arztseite nicht ein. Das lag in Bezug auf den Nervschaden sehr nahe. Außerdem konnte der Operateur sich mit Erfolgsaussicht darauf berufen, dass sich die Patientin bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit dem Eingriff einverstanden erklärt hätte (hypothetische Einwilligung).
Behandlungsfehler
Der mit praktischer Gewissheit intraoperativ entstandene Nervenschaden äußerte sich direkt postoperativ in der in den Arztbriefen wiederholt angeführten Sensibilitätsstörung am Oberschenkel. Ein solcher Schaden kann bei dem gewählten Eingriff auftreten. Im Gegensatz zu den beiden vorliegenden Arztbriefen wird er in der Kurvendokumentation zum stationären Aufenthalt nicht aufgeführt. Er war dokumentationspflichtig, da er ein wesentliches, hier verkomplizierendes Ergebnis der Behandlung darstellt. Die Kurvendokumentation ist damit als mangelhaft zu beurteilen.
Da das postoperative neurologische Defizit ausdrücklich im Entlassungsbrief erwähnt wird, wird davon ausgegangen, dass die behandelnden Ärzte den Befund als relevante Abweichung vom üblichen postoperativen Verlauf wahrnahmen. Er wurde allerdings falsch als Folge der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung interpretiert, weil eine weitere fachneurologische Differenzierung ausblieb. Eine solche wurde auch im Entlassungsbrief nicht empfohlen.
Das Versäumnis einer neurologischen Untersuchung ist ein Befunderhebungsfehler.
Eine zeitnahe fachgerechte neurologische Untersuchung nach dem Eingriff hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch den motorischen Anteil des N. femoralis-Schadens offenbart und damit eine frühere Rehabilitation des durch die Operation eingetretenen Nervenschadens ermöglicht.
Die Kombination von mangelhafter Verlaufsdokumentation und ausgebliebener neurologischer Untersuchung und die fehlende Empfehlung hierzu im Entlassungsbrief werden deshalb als eindeutiger Verstoß gegen bewährtes ärztliches Handeln im Sinne eines groben Behandlungsfehlers interpretiert.
Professor Dr. med. Jochen W. Erhard und Professor Dr. med. Carsten J. Krones sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Dr. jur. Burkhard Gehle ist Stellvertretender Vorsitzender und Dr. med. Tina Wiesener ist Leiterin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein.