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Cannabis legalisiert

14.03.2024 Seite 19
RAE Ausgabe 4/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2024

Seite 19

  • Mit rund 4,5 Millionen erwachsenen Nutzern war Cannabis im Jahr 2021 die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zufolge ist sie nach Alkohol zudem der häufigste Grund für eine Suchtbehandlung. © Aleksej/stock.adobe.com
  • Nach dem Cannabisgesetz dürfen nichtgewerbliche Anbauvereinigungen Cannabis nur in Reinform, das heißt als Marihuana oder Haschisch weitergeben. © S. Price/stock.adobe.com
Ärztinnen und Ärzte, Lehrer- und Apothekerverbände, Kinder- und Jugendpsychologen, Polizeigewerkschaft und Deutscher Richterbund – sie alle haben eindringlich vor einer Teil-Legalisierung von Cannabis gewarnt. Doch die Ampelregierung hat den von ihr angestrebten „Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik“ durchgesetzt. Am 23. Februar stimmten im Deutschen Bundestag 404 Abgeordnete für und 226 gegen das „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“.

von Heike Korzilius

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist nicht für harmonisches Regieren bekannt. Mit Blick auf die Legalisierung von Cannabis herrscht hingegen seltene Einigkeit, die auch einzelne Abweichler aus den eigenen Reihen nicht weiter stören konnten. In der Debatte vor der entscheidenden Abstimmung über das Cannabisgesetz am 23. Februar im Deutschen Bundestag überhäuften sich die Koalitionäre geradezu mit Lob für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei dessen Erarbeitung. Doch die emotionale und in Teilen turbulente Aussprache im Parlament spiegelte auch die gesellschaftliche Zerrissenheit bei dem Thema. Während Ampel und Linke leidenschaftlich für die geplante Legalisierung eintraten, kam aus der Unionsfraktion und der AfD scharfe Kritik. Doch weder der heftige Widerstand aus Teilen der Opposition noch die Warnungen vonseiten der Ärzteschaft, der Polizei und der Justiz vor den Folgen konnten verhindern, dass das „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“ nach langer politischer Auseinandersetzung mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Es soll am 1. April in Kraft treten. Da es im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, ist es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse dort äußerst unwahrscheinlich, dass die Länderkammer die Teil-Legalisierung von Cannabis noch verhindern kann. Medienberichten zufolge zeichnet sich unter den Ländern jedoch eine Mehrheit dafür ab, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um die Freigabe der Droge zu verschieben. Ansonsten fehle genügend Zeit für die Umsetzung. Die nächste Sitzung des Bundesrates ist am 22. März, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe.
 
Das Cannabisgesetz erlaubt den Besitz und Konsum der Droge für Erwachsene ab 18 Jahre. Sie dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum mit sich führen und zu Hause bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis aus dem Anbau von maximal drei Pflanzen bevorraten. Das entspricht – glaubt man den Angaben aus einschlägigen Quellen im Internet – dem Stoff für 100 bis 200 Joints. Ab dem 1. Juli soll auch der gemeinschaftliche, behördlich kontrollierte Anbau von Cannabis in sogenannten Anbauvereinigungen erlaubt werden. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen soll der Cannabis-Konsum in Sichtweite von Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Spielplätzen verboten bleiben (zu den Einzelheiten siehe Kasten). 

Weg von Bestrafung und Tabuisierung

Ziel des Gesetzes sei es, den Schwarzmarkt für Cannabis auszutrocknen sowie den Gesundheits- und den Kinder- und Jugendschutz auszubauen, hatte Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach, der selbst jahrelang zu den Gegnern einer Legalisierung gehörte, im Bundestag betont. Die derzeitige Lage sei nicht befriedigend. Zwischen 2011 und 2021 sei die Zahl der jugendlichen Cannabis-Konsumenten, die besonders gefährdet seien, um 50 Prozent gestiegen. In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen habe die Zahl der Konsumenten in zehn Jahren um 100 Prozent zugenommen. „Wir haben zunehmend Probleme mit Beimengungen; Cannabisprodukte sind unrein. Wir haben toxische Konzentrationen: THC-Anteile von 30 bis 40 Prozent werden gemessen – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Psyche der Konsumenten“, warnte der Minister. Dazu komme eine steigende Anzahl an Drogendelikten: 180 000 belegte Delikte im Zusammenhang mit Cannabiskonsum pro Jahr. Angesichts dieser Lage dürfe man den Kopf nicht in den Sand stecken. Suchtforscher wiesen hier den Weg: weg von der Bestrafung, weg von der Tabuisierung. „Es ist der Weg der Wissenschaft, dem wir folgen“, so Lauterbach.

Eine Steilvorlage für jeden Dealer

Politiker unter anderem aus der Unionsfraktion sahen das anders. „Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe“, erklärte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge im Anschluss an Lauterbachs Ausführungen. Seine Parteikollegin Simone Borchardt warnte vor einer zusätzlichen Belastung für das ohnehin angespannte Gesundheitssystem durch ein „völlig unnötiges, verworrenes Cannabisgesetz“. „Wir haben im Jahr 2.000 Drogentote. Es ist ein Anstieg des Drogenkonsums zu verzeichnen, und die Patientenzahlen, vor allem in der Suchttherapie, steigen ständig an“, sagte Borchardt. Der Kinder- und Jugendschutz, den das Gesetz vorsehe, sei nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Und auch der Anbau von Cannabis zu Hause lasse sich nicht kontrollieren. „Das ist ein Kontrollverlust und eine Steilvorlage für jeden Dealer“, warnte die CDU-Politikerin.
 
In Deutschland ist Cannabis mit rund 4,5 Millionen erwachsenen Nutzern die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Diese Zahlen hatte Dr. Ina Falbrede, Referentin der Abteilung für medizinische Grundsatzfragen der Ärztekammer Nordrhein, Ende vergangenen Jahres bei einer internen Veranstaltung präsentiert. Jeder Zweite aus der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen habe einer Befragung zufolge bereits einmal Cannabis probiert, jeder Achte konsumiere regelmäßig. Cannabis sei nach Alkohol zudem der häufigste Grund für eine Suchtbehandlung, erklärte Falbrede und bezog sich dabei auf Daten der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. In ambulanten Suchthilfeeinrichtungen sei die Abhängigkeit von Cannabis in 20,1 Prozent der Fälle Hauptdiagnose (Alkohol: 48,5 Prozent), in stationären Einrichtungen liege die Rate bei 9,9 Prozent (Alkohol: 63,7 Prozent). Dabei steige mit zunehmendem THC-Gehalt in Cannabisprodukten der Bedarf an Suchtberatung und Suchttherapie.
 
Vor den gesundheitlichen Folgen einer Cannabisfreigabe insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene warnen Ärzteschaft und Psychologische Psychotherapeuten seit Bekanntwerden der Ampel-Pläne vor drei Jahren. „Der Gesetzgeber nimmt in Kauf, dass durch die Legalisierung eine Droge verharmlost und verbreitet wird, die nachgewiesenermaßen abhängig macht und gerade bei Jugendlichen zu schweren und irreparablen Entwicklungsschäden führt“, kritisierte Rudolf Henke am Rande der Kammerversammlung der ÄkNo am 2. März in Wuppertal. Die Abgeordneten forderten die Politik auf, den Fokus der zukünftigen Drogenpolitik auf eine deutliche Ausweitung evidenzbasierter Präventionsstrategien und die Förderung von Interventionsprogrammen zu legen, die zudem ausreichend finanziert werden müssten. Vor allem Kinder und Jugendliche müssten geschützt werden. Es dürfe künftig keine Schule mehr ohne Suchtprävention geben, forderte Henke.
 
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hatte kurz vor der Abstimmung über das Gesetz im Bundestag erneut darauf hingewiesen, dass die Entwicklungsprozesse des Gehirns bis zum 25. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen seien und der Konsum von Cannabis diese Prozesse negativ beeinflussen könne. Diese Schäden seien dauerhaft und blieben lebenslang wirksam. „So steigt das Risiko von nachhaltigen kognitiven Funktionsdefiziten sowie das Auftreten von Psychosen, Depressionen oder Angststörungen signifikant“, warnte Reinhardt. Er betonte, dass nicht nur in Deutschland Experten eine Freigabe der Droge ablehnten. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen warne ebenfalls vor den Folgen einer Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken. Diejenigen Länder, die dies bereits vollzogen hätten, verzeichneten in der Folge einen Anstieg cannabisbezogener Gesundheitsprobleme.  

Das Gesetz lässt viele Fragen offen

Nach dem „Ja“ zur Cannabislegalisierung im Bundestag appellierte Reinhardt an die Bundesländer, das Cannabisgesetz im Bundesrat aufzuhalten und den Vermittlungsausschuss anzurufen. „Hier muss dieses Gesetz frei von parteipolitischen Zwängen noch einmal grundsätzlich überdacht werden“, forderte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 
Das Cannabisgesetz lässt viele Fragen offen. Völlig ungeklärt seien bislang die Regelungen für den Straßenverkehr, mahnte Kammerpräsident Henke in Wuppertal. Studien belegten gerade für die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen, die die größte Cannabiskonsum-Gruppe bilden, ein erhöhtes Risiko, nach dem Mischkonsum von Cannabis und Alkohol zu verunfallen. Gerade für Fahranfänger dürfe der geltende Grenzwert daher auf keinen Fall erhöht werden, erklärte Henke.
 
Dieser liegt zurzeit bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum. Die Höhe der Toleranzgrenze ist allerdings unter Sachverständigen umstritten. Verbindliche Grenzwerte für THC am Steuer soll jetzt eine interdisziplinäre Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums erarbeiten. Nach dem Willen der Bundesregierung ist der THC-Grenzwert so zu bemessen, dass die Straßenverkehrssicherheit ausreichend gewahrt bleibt.
 
Ebenfalls in einem eigenen Gesetz soll nach dem Willen der Ampel ein zweiter, weitergehender Schritt in Richtung Cannabis-Liberalisierung geregelt werden. In Modellvorhaben sollen die gewerbliche Produktion und der Vertrieb von Cannabis zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften erprobt werden. Die Auswirkungen der Modellversuche auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt sollen wissenschaftlich untersucht werden. Nordrhein-Westfalen hat bereits angekündigt zu prüfen, ob es möglich ist, interessierten Kommunen die Beteiligung an derartigen Modellvorhaben zu untersagen.
 
Mit den Modellvorhaben knüpft die Ampel an ihre ursprünglichen Pläne an, grundsätzlich den Verkauf von Cannabis in lizensierten Geschäften an Erwachsene zu legalisieren. Damit würde sie jedoch gegen EU-Recht verstoßen. Mittelfristig strebe die Bundesregierung deshalb eine Initiative mit anderen Mitgliedstaaten der EU an, „um die bestehenden europarechtlichen Rahmenbedingen zu flexibilisieren“, heißt es in der Begründung zum Cannabisgesetz.
 
Cannabis zu medizinischen Zwecken können Ärztinnen und Ärzte in Deutschland seit 2017 verordnen. Durch die jetzt beschlossene Legalisierung der Droge fällt eine Verschreibung künftig aber nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz. Allerdings bleibt es bei der Verschreibungspflicht. Aus Gründen des Patientenschutzes will der Gesetzgeber bei Medizinal-Cannabis an einem staatlich kontrollierten Anbau festhalten. Denn der Eigenanbau berge die Gefahr einer Über- oder Unterdosierung, weil Wirkstoffgehalte der Pflanzen in unbekannter Weise schwanken könnten.

Das regelt das Cannabisgesetz

  • Erwachsene dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum mit sich führen.
  • Der Eigenanbau von drei Cannabispflanzen wird erlaubt; daraus dürfen im privaten Raum 50 Gramm getrocknetes Cannabis bevorratet werden. Werden die Obergrenzen überschritten, stellt das entweder eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat dar. 
  • Nichtgewerbliche, behördlich kontrollierte Anbauvereinigungen dürfen Cannabis an ihre Mitglieder zum Eigenkonsum weitergeben. Diese Vereinigungen dürfen maximal 500 Mitglieder mit Wohnsitz in Deutschland haben. Zulässig ist die Mitgliedschaft nur in einer Anbauvereinigung. An die Mitglieder abgegeben werden dürfen maximal 25 Gramm Cannabis am Tag oder 50 Gramm pro Monat. Die Abgabe von Cannabis an junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren ist auf 30 Gramm pro Monat beschränkt. Der THCGehalt für diese Altersgruppe darf zehn Prozent nicht überschreiten. Cannabis darf nicht in den Anbauvereinigungen konsumiert werden. Jede Vereinigung muss einen Präventionsbeauftragten benennen. 
  • In Sichtweite (100 Meter) von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen ist der Konsum von Cannabis verboten.
  • Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung legt Aufklärungs- und Präventionskampagnen über die Wirkung und Risiken von Cannabis auf, die sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene richten. 
  • Ob das Cannabisgesetz die avisierten Ziele erreicht, soll nach zwei Jahren wissenschaftlich evaluiert werden. Die Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendschutz sollen spätestens nach 18 Monaten vorliegen.