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Vergessenes Land

21.02.2023 Seite 16
RAE Ausgabe 3/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2023

Seite 16

 
 
In Somalia herrscht die schlimmste Dürre seit vier Jahrzehnten. Dazu kommen eine instabile Regierung, anhaltende Kämpfe gegen die islamistische Al-Shabaab-Miliz sowie steigende Preise infolge des Krieges in der Ukraine. Knapp 8,3 Millionen Menschen, rund 49 Prozent der Bevölkerung, sind inzwischen von Hunger oder Mangelernährung bedroht, schätzt die Hilfsorganisation action medeor. In die Schlagzeilen schafft es das Land dennoch nicht.

von Heike Korzilius

Dr. Harun Idriis Jele ist Kinderarzt am Gemeinde-Krankenhaus in Hamar Jajab, einem Stadtteil der somalischen Hauptstadt Mogadishu. Fragt man ihn nach den größten Herausforderungen in seinem ärztlichen Alltag, wird schnell klar: Dieser ist in erster Linie geprägt durch den Mangel. Es fehlt an Medikamenten, medizinischem Gerät und anderen Hilfsmitteln. Vor allem aber fehlt es an Personal. „Und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hier jeden Tag Dienst tun, fehlt es an Motivation, weil Gehälter nur sporadisch gezahlt werden“, schreibt Jele in einer E-Mail an das Rheinische Ärzteblatt. Dazu kommt, dass sich die Zahl der Patientinnen und Patienten, die das Krankenhaus unentgeltlich versorgt, in den vergangen zwei Jahren deutlich erhöht hat – eine Folge der anhaltenden Dürre im Land. Denn die Hauptstadtregion beherbergt einen Großteil der rund 1,3 Millionen Binnenflüchtlinge, die auf der Suche nach Wasser, Nahrung und einer besseren Gesundheitsversorgung ihre Dörfer verlassen haben. „Noch können wir die Versorgung hier aufrechterhalten“, so der Kinderarzt. Aber die Situation belaste erheblich die ohnehin knappen Ressourcen.

Hamar Jajab ist ein „Problemviertel“, geprägt von Armut, Hunger und schlechter medizinischer Versorgung. Dazu kommen die Folgen einer verfehlten Familienpolitik. Jele erzählt die Geschichte einer Patientin, Mutter von zehn kleinen Kindern, deren wesentlich älterer und kranker Ehemann die Familie nicht einmal mit dem Nötigsten versorgen kann. Die Frau selbst kann nur mit Gelegenheitsjobs zum Familieneinkommen beitragen. Zu zwölft leben sie in einem provisorisch hergerichteten Zimmer. Dennoch, so Jele, wolle die Frau zwei weitere Kinder haben. Das sei der Wunsch ihres Mannes. „Stellen Sie sich das einmal vor“, sagt der Kinderarzt, der für die somalische Nicht-Regierungsorganisation WARDI arbeitet. Diese betreibt das Hospital in Hamar Jajab und setzt sich neben der Gesundheitsversorgung auch dafür ein, dass das Thema Familienplanung gesellschaftlich entstigmatisiert wird.

Zu den Kernaufgaben von WARDI gehört zudem die Ernährungsmedizin. In der Region Hiran, an der Grenze zu Äthiopien, unterhält die Organisation eine mobile Klinik, die in den Dörfern insbesondere kleine Kinder auf Mangel- und Unterernährung untersucht. Unterernährte Kinder erhalten hochkalorische therapeutische Nahrung oder werden, wenn es medizinisch nötig ist, an umliegende Gesundheitseinrichtungen überwiesen. „Im Moment ist es hier schlimm“, sagt Krankenpfleger und Ernährungsfachkraft Ibrahim Hussein Dubow. Wie die Hauptstadt leidet auch die Region Hiran unter einem Mangel an Gesundheitsfachkräften. Dazu kommt eine prekäre Sicherheitslage, weil hier die Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und der Al-Shabaab-Miliz wieder aufgeflammt sind. „Das macht es für uns schwer, mit unserer mobilen Klinik die Menschen in den Dörfern zu erreichen“, so Dubow. Auch die Lieferung von Gütern und medizinischem Material werde dadurch erschwert. „Dabei können wir gerade in entlegenen Orten mit unserer aufsuchenden Hilfe viel bewirken“, meint der Pfleger. „Eigentlich bräuchten wir mehr als ein mobiles Team, um auch die Patienten in den von der Al-Shabaab-Miliz befreiten Gebieten und die Dürreflüchtlinge in den neu entstehenden Lagern versorgen zu können.“

WARDI ist zur Umsetzung seiner Hilfsprojekte auf die Unterstützung internationaler Partner angewiesen. Zu den langjährigen finanziellen Förderern gehört die deutsche Hilfsorganisation action medeor. Ihren Sitz hat die 1964 gegründete „Notapotheke der Welt“ inmitten einer Reihenhaussiedlung in Tönisvorst am ländlich geprägten Niederrhein. Im Lager stapeln sich Pakete mit Medikamenten und medizinischem Gerät bis unter die Decke, die für Gesundheitsstationen weltweit bestimmt sind. Abgegeben werden insbesondere Generika, die in Asien eigens für das Medikamentenhilfswerk produziert werden. Geliefert wird ausschließlich, was auf der Liste unentbehrlicher Medikamente der Weltgesundheitsorganisation aufgeführt ist. Neben Tönisvorst  unterhält action medeor drei weitere Verteillager in Tansania und zwei in Malawi.

Die Medikamentenhilfe ist das Standbein, mit dem alles angefangen hat. Inzwischen finanziert die Hilfsorganisation aber auch Projekte der humanitären Hilfe oder der Entwicklungszusammenarbeit, wie zum Beispiel den Einsatz von WARDI in Somalia. „In aller Regel schicken wir keine eigenen Mitarbeiter oder Freiwillige ins Feld, sondern arbeiten mit lokalen Helfern zusammen“, sagt Alessandra Behler, die bei action medeor für das Somalia-Programm zuständig ist. Das habe den Vorteil, dass diese vor Ort verwurzelt, bestens vernetzt und mit den Bedürfnissen der Menschen in der Region vertraut seien. „Dank unserer lokalen Partner können wir in Somalia mit seiner prekären Sicherheitslage Orte erreichen, die für ausländische Helfer und selbst für die Vereinten Nationen unerreichbar bleiben“, so Behler. Die Menschen vor Ort bestimmten selbst, was gebraucht werde und fragten dann nach Finanzierungsmöglichkeiten. „Wir finanzieren mit unseren Projektgeldern zum Beispiel Personalkosten, aber auch Gebäude oder technische Anlagen“, sagt Pressesprecher Dr. phil. Markus Bremers. Dazu komme die Förderung der Aus- und Fortbildung von Gesundheits- und pharmazeutischen Fachkräften.

In Somalia konzentriert sich action medeor auf die Region Südzentralsomalia, in der ganz im Süden das Krankenhaus Hamar Jajab und im Norden die mobile Klinik in Hiran unterstützt werden. „Wenn man zurzeit von einer globalen Polykrise spricht, dann ist Somalia dafür ein Brennglas“, meint Bremers. „Dürren wechseln sich dort mit Überschwemmungen ab. Vor zwei Jahren gab es eine Heuschreckenplage, die große Teile der Ernte vernichtete. Dann kam Corona. Jetzt gibt es eine Nahrungsmittelknappheit, die nicht nur durch Extremwetter, sondern auch durch den Ukrainekrieg bedingt ist, weil Somalia vor Kriegsbeginn 90 Prozent seines Weizens von dort bezogen hat.“ Dazu komme der weltweit zu beobachtende Anstieg von Nahrungsmittel-, Düngemittel- und Kraftstoffpreisen. „Bei uns in Deutschland mindert das für viele Menschen den Wohlstand und stürzt einige in Armut. In Somalia kann es Menschenleben kosten, wenn man sich zwischen Essen und Medizin entscheiden muss“, sagt Bremers.

Somalia steht für viele „vergessene Krisen“ weltweit. Das von Gewalt, Korruption und Naturkatastrophen geschüttelte Land ist aus den Schlagzeilen verschwunden – und damit auch die Not der Menschen vor Ort. Das ist fatal. Denn die fehlende mediale Aufmerksamkeit schlage sich auch in der Spendenbereitschaft nieder, erklärt Bremers. Denn nach wie vor gingen bei den Hilfsorganisationen viele zweckgebundene Spenden ein, die dann auch nur für diesen einen Zweck verwendet werden dürfen. „Das hat zur Folge, dass für manche Krisengebiete kaum oder gar keine Spenden zur Verfügung stehen“, gibt Bremers zu bedenken. „Wir rufen deshalb unsere Spender aktiv dazu auf, uns freie Spenden zu überlassen, weil wir damit auch in Krisenherden tätig werden können, die völlig aus dem Fokus geraten sind.“

Ein zentraler Bestandteil der Projekte von action medeor ist es Programmreferentin Behler zufolge, die lokalen Partner und die Zivilgesellschaft in den Partnerländern zu stärken. In den Projekten der längerfristigen Entwicklungszusammenarbeit gelte es, auch den Staat für die Versorgung seiner Bürger in die Pflicht zu nehmen und lokale Strukturen, sofern vorhanden, zu stärken.

In Somalia braucht man dafür einen langen Atem. Den haben Krankenpfleger Dubow und Kinderarzt Jele. „Die Menschen hier brauchen Hilfe und Unterstützung“, sagt Jele. „Als Arzt und humanitärer Helfer kann ich dazu beitragen. Ich stehe jeden Tag auf und kann einem Kind das Leben retten oder einer Schwangeren bei Komplikationen beistehen und sowohl ihr Leben als auch das ihres Kindes schützen. Das treibt mich an.“

Krankenpfleger Dubow wünscht sich nichts mehr als ein Ende der Krise im Land. Der Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung für alle, die Möglichkeit, Patienten effektiv versorgen zu können, politische Stabilität und mehr internationale Unterstützung stehen ganz oben auf seinem Wunschzettel für 2023. Der Mangel an Ressourcen und die schwierigen Arbeitsbedingungen seien eine Herausforderung. „Aber die Möglichkeit, das Leben der Patienten und das der Menschen in meiner Umgebung tatsächlich verbessern zu können, das motiviert mich weiterzumachen“, sagt Dubow. 

action medeor

action medeor engagiert sich seit 1964 für die Gesundheit von Menschen weltweit. Neben der Lieferung von Medikamenten und Medizintechnik  finanziert die Hilfsorganisation, die auf Initiative des Vorster Hausarztes Dr. Ernst Boekels entstand, auch Projekte im Rahmen der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit. (www.medeor.de)

Spendenkonten:

Sparkasse Krefeld: IBAN: DE78 3205 0000 0000 0099 93

Volksband Krefeld: IBAN: DE12 3206 0362 0555 5555 55