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Meinung

Neue Perspektiven schaffen

23.01.2023 Seite 3
RAE Ausgabe 2/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2023

Seite 3

Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein © Jochen Rolfes

Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung weiter verschärfen. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC können 2035 im deutschen Gesundheitswesen fast 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden. Diese Entwicklung wird Auswirkungen auf Berufsbilder, Kooperationsformen und natürlich auf unsere Patientenversorgung in einer Gesellschaft des langen Lebens haben.

Umso stolzer sind wir hier in Nordrhein, dass es uns auch im Jahr 2022 wieder gelungen ist, rund 2.800 Ausbildungsverträge mit angehenden Medizinischen Fachangestellten (MFA) abzuschließen. Damit bleiben wir auf dem hohen Ausbildungsniveau aus dem Rekordjahr 2021. Ein Dank gilt daher allen Kolleginnen und Kollegen, die trotz der schwierigen Lage der Praxen während der Coronapandemie in die Ausbildung der Medizinischen Fachangestellten von morgen investieren. Und auch ein Dank an alle zukünftigen MFA, die sich in herausfordernder Zeit für diesen sozialen und verantwortungsvollen Beruf entschieden haben. Wir Ärztinnen und Ärzte schätzen ihr Engagement und können beurteilen, was sie in den letzten Jahren geleistet haben. Und die Aufgaben werden nicht weniger: Die in diesem Winter grassierende RSV-, Influenza A- und Coronawelle stellt uns alle aufs Neue vor große Herausforderungen und wir spüren schon heute, dass die dauerhafte Belastung uns und unseren Patienten zusetzt. Umso mehr schätzen wir den aufopferungsvollen Einsatz unserer MFA, für die wir uns von der Politik als Zeichen der öffentlichen Wertschätzung einen Coronabonus gewünscht hätten. 
Aber es gibt nicht nur eine Schieflage beim Coronabonus. Während die Steigerung der Bezahlung der Pflegekräfte in stationären Einrichtungen politisches Ziel ist, bleiben auch hier die Medizinischen Fachangestellten perspektivisch unberücksichtigt. Dazu kommt, dass es für die Praxen keinerlei Möglichkeit gibt, Lohnzuwächse gegenzufinanzieren. Daher müssen die Vorgaben bei den Honorarverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen so angepasst werden, dass sich Tarifsteigerungen direkt abbilden und bei den Mitarbeitenden in den Praxen ankommen können. 


Wertschätzung zeigt sich aber nicht nur in der Bezahlung. Unser Engagement bei der Ausbildung zur MFA sollte möglichst seine Fortsetzung in einer nachhaltigen Förderung des Berufsbildes finden, indem Möglichkeiten der Weiterqualifizierung im Rahmen fachgebietsbezogener Zusatzmodule oder Weiterbildungsangebote nach Curricula der Bundesärztekammer bereitgestellt werden. Hierzu gehören die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, die Präventionsassistentin bei den Kinder- und Jugendärzten und die Curricula „Ambulantes Operieren“, „Diabetologie“, „Ernährungsmedizin“, „Dialyse und Nephrologie“, „Gastroenterologische Endoskopie“, „Assistenz in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde“ sowie „Gynäkologie und Geburtshilfe“ für den fachärztlichen Bereich. Es ist meine feste Überzeugung, dass Weiterbildungsmöglichkeiten – für Angestellte in Haus- und Facharztpraxen – eine Motivation sein können, im Beruf zu bleiben oder nach Elternzeit in den Beruf zurückzukehren. Unsere nordrheinische Akademie hält ein breites Angebot zur Weiterqualifizierung vor. Fort- und Weiterbildung sind motivationsstärkend, weil junge Menschen dauerhaft Verantwortung übernehmen möchten und berufliche Perspektiven brauchen. Anstatt neue Gesundheitsberufe zu schaffen, sollte die Politik lieber die Rahmenbedingungen, die Bezahlung und die Aufstiegsmöglichkeiten für die etablierten Gesundheitsfachberufe verbessern.
Denn wir brauchen auch in Zukunft starke und gut qualifizierte Praxisteams, um auf die Herausforderungen einer Gesellschaft des langen Lebens reagieren zu können. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten.


Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein