Der Winter naht und mit ihm die Sorge, dass Gasnotstand, Preissprünge beim Strom, Inflation, Personalmangel, und die Pandemie unser Gesundheitswesen weiterhin stark belasten werden. Stabilisierende Hilfen für Kliniken und Praxen wären angezeigt. Langfristige Strukturreformen, die Antworten auf den Fachkräftemangel, auf die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, auf eine Stärkung der ambulanten Versorgung gerade auf dem Land geben, sind dringend nötig.
Doch statt eines großen Wurfs erhalten wir aus dem Bundesgesundheitsministerium ein buntes Potpourri von Maßnahmen, die allesamt nicht dazu geeignet erscheinen, das Gesundheitssystem nachhaltig aufzustellen. So hat G-BA-Chef Professor Josef Hecken der Politik jüngst mit markigen Worten „Feigheit und Verschleppung notwendiger Reformen“ vorgeworfen.
Im Jahr 2021 haben die gesetzlichen Krankenversicherungen das höchste Minus seit der deutschen Einheit eingefahren. Die Kassen warnen vor einem Defizit von 17 Milliarden Euro im Jahr 2023. Das vom Bundeskabinett beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll es nun richten und diese Lücke schließen. Eine nachhaltige Strategie findet sich in dem Spargesetz nicht.
Für den ambulanten Sektor besteht die gesetzliche Sparmaßnahme in der Streichung der extrabudgetären Vergütung für Neupatienten in den Arztpraxen. Zu befürchten ist, dass sich als Konsequenz daraus die Wartezeiten für Neupatientinnen und Neupatienten demnächst wieder deutlich erhöhen und weniger Sprechzeiten zur Verfügung stehen (siehe Seite 21). Zurecht haben die Kassenärztlichen Vereinigungen mit einem Protesttag am 7. September auf diese Sparmaßnahme reagiert. Denn es ist für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum eine für ihre Patienten bewährte Regelung gerade in Zeiten der Pandemie und angesichts der Herausforderungen der anstehenden Booster- und Grippeimpfungen wieder abgeschafft werden soll.
Auch ist es aus meiner Sicht bei schwieriger Kassenlage nicht nachvollziehbar, warum die GKV zusätzlich mit 74,5 Prozent an dem Aufbau von 1.000 Gesundheitskiosken belastet werden soll. Da stehen aktuell Summen von 600 bis 700 Millionen Euro für die Kassen im Raum. Grundsätzlich stehen wir dem Vorhaben der Politik, Gesundheitskioske in sozial benachteiligten Regionen in Deutschland einzurichten, positiv gegenüber. Denn erste Ergebnisse zeigen, dass hier Zugänge zum Gesundheitswesen strukturiert geebnet und Fehlbeanspruchungen vermieden werden können. Wichtig ist, dass diese Einrichtungen von Beginn an so angelegt werden, dass sie mit den Gesundheitseinrichtungen vor Ort, also den Praxen und Kliniken sowie den Gesundheitsämtern gut zusammenarbeiten können. Um zu erkennen, ob und wie das in den Regionen effektiv funktionieren kann, wäre es ratsam, zunächst einmal mit einer überschaubaren Anzahl von Gesundheitskiosken zu beginnen und die Effekte der neuen Angebote zu evaluieren. Was wir im Sinne unserer Patientinnen und Patienten nicht wollen ist, dass hier teure Doppelstrukturen aufgebaut werden, während an anderer Stelle Leistungen gekürzt werden.
Auch bei den Krankenhäusern heißt es derzeit „Alarmstufe Rot!“. Denn die schon heute unter wirtschaftlichem Druck stehenden Häuser sehen sich mit Preissprüngen bei Erdgas und Strom, Material- und Personalkosten konfrontiert, die kaum ein Krankenhaus mehr aus eigener Kraft stemmen kann. Und genau wie bei den Praxen können die Kliniken diese Kosten an niemanden weitergeben.
Wir können daher nur eindringlich an den Bundesminister für Gesundheit appellieren, die systemrelevante Versorgung in Deutschland in Zeiten von Pandemie und Energiekrise zu stärken und nicht durch ein wenig durchdachtes Spargesetz weiter zu gefährden.
Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein