Um die Qualität von Spenderorganen länger zu erhalten und diese vor der Transplantation besser beurteilen zu können, erproben große Transplantationszentren in Deutschland die Maschinenperfusion. Die Zukunftsvision von Professor Dr. Markus Kamler von der Universitätsmedizin Essen: auch kranke Organe in der Maschine so zu behandeln, dass man sie danach transplantieren kann.
von Heike Korzilius
Das Herz schlägt rhythmisch und kraftvoll. Es liegt in einer weißen Schale unter einer Plastikabdeckung und ist mit Versorgungsschläuchen an eine kompakte, tragbare Maschine angeschlossen. Ein Monitor zeigt die wichtigsten Parameter zur Beurteilung der Herzfunktion an. Was wie eine Szene aus einem Science Fiction Film anmutet, ist in zahlreichen europäischen Ländern und den USA ein etabliertes Verfahren, um die Zeit zwischen Organentnahme und Transplantation zu überbrücken. Auch in Deutschland wird seit einigen Jahren die Maschinenperfusion bei Spenderorganen an großen Transplantationszentren erprobt. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) verspricht sich vom Einsatz dieses Verfahrens „eine zuverlässige Beurteilung der Spenderorgane und perspektivisch eine Verbesserung der Organqualität“, wie es in ihrem aktuellen Jahresbericht heißt.
Noch gilt der Transport von Spenderorganen auf Eis als Goldstandard. Das Organ werde zunächst im Spender stillgelegt und dann mit einer Perfusionslösung durchströmt, um Blutbestandteile herauszuspülen und es abzukühlen, schildert Professor Dr. Markus Kamler den Entnahmeprozess. Anschließend werde das so konservierte Spenderorgan auf Eis gelegt, transportiert und schließlich dem Empfänger eingesetzt. „Dieses Verfahren hat allerdings verschiedene Nachteile“, erklärt der Leiter thorakale Transplantation an der Klinik für Thorax- und kardiovaskuläre Chirurgie der Universitätsmedizin Essen im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt (RÄ). Die Situation sei vergleichbar mit der in einem Kühlschrank. Zwar halte das gekühlte Organ länger, es werde aber nicht besser und, wenn es zu lange liege, doch schlecht. Deshalb stünden die Entnahme- und Transplantationsteams unter einem enormen Zeitdruck. „Beim Herz sollte die Ischämiezeit, in der es nicht mit Blut und Sauerstoff versorgt wird, idealerweise deutlich unter vier und bei der Lunge unter sechs Stunden liegen“, so Kamler. Bei Leber und Niere habe man mit um die zwölf Stunden etwas mehr Zeit. „Aber auch hier gilt es, die Zeit in der Eisbox so kurz wie möglich zu halten“, meint der Transplantationsmediziner.
Der zurzeit noch gängige Transport von Spenderorganen in der Eisbox habe aber noch einen weiteren Nachteil. Die Qualität der Organe – bei der Lunge beispielsweise die Sauerstoffleistung – könne nur im Spender bewertet werden. „Wenn es aber zum Beispiel bei einem hirntoten Organspender zu einer instabilen Kreislaufsituation kommt, bleibt manchmal nicht die Zeit, das Organ im Körper angemessen zu evaluieren und es muss dann abgelehnt werden“, gibt Kamler zu bedenken. „Ganz anders ist es in der Maschine. Da haben wir eine standardisierte Situation wie unter Laborbedingungen.“ Das Spenderorgan werde entnommen, in der Maschine mit Sauerstoff, Nährstoffen und Mineralien perfundiert und „praktisch funktionell am Leben gehalten“, erklärt Kamler das Verfahren. Das ermögliche es den Transplanteuren, in Ruhe und mit mehr Zeit die Funktionsfähigkeit der Organe zu beurteilen. „Bei der Lunge kann man auf diese Weise zum Beispiel die Oxigenierungsleistung messen, bei der Niere- die Urin- und bei der Leber die Galleproduktion, um nur einige wichtige Werte zu nennen“, so Kamler.
Die Maschinenperfusion kommt dem Chirurgen zufolge zurzeit für alle soliden Organe infrage: Lunge, Herz, Leber und Niere. Allerdings sei die internationale Studienlage zur Beurteilung des Verfahrens noch durchwachsen, räumt Kamler ein. Es gebe zahlreiche Beobachtungsstudien mit sehr positiven Ergebnissen, aber noch lägen keine Analysen aus klassischen randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Studien vor.
Zwei solche Studien zur Nieren- und Lebertransplantation laufen gerade unter der Leitung der Chirurgischen Klinik der Charité Universitätsmedizin Berlin unter Beteiligung weiterer nationaler und internationaler Transplantationszentren. Wie die Klinik auf ihrer Homepage mitteilt, untersucht eine Studie den Einfluss der warmen Maschinenperfusion vor der Nierentransplantation (Kürzel: NMP-DBD) und eine weitere vergleicht verschiedene Maschinenperfusionstechniken vor der Lebertransplantation (HOPE-NMP). An der HOPE NMP-Studie ist in Nordrhein das Universitätsklinikum Bonn beteiligt. Das neue Verfahren wird aber auch am Universitätsklinikum Aachen bei der Lebertransplantation und am Universitätsklinikum Düsseldorf im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie bei Herztransplantationen eingesetzt.
Die Organe erholen sich
An der Charité setzt man die Maschinenperfusion insbesondere dazu ein, potenziell entstandene Schadstoffe, die während der kalten Lagerung der Spenderorgane auf Eis beim Transport entstehen, „auszuwaschen“, heißt es dort. Die maschinelle Perfusion der Spenderorgane ermögliche eine Erholung bis auf zelluläre Ebene.
„In Essen sammeln wir seit zehn Jahren Erfahrungen mit der Maschinenperfusion bei Leber- und Nierentransplantationen. Seit fünf Jahren wenden wir das Verfahren auch bei Herz und Lunge an. Wir gehören hier sicher zu den führenden Zentren“, sagt Transplantationmediziner Kamler. Finanziert wird die Anwendung des Verfahrens zurzeit noch von der Universitätsmedizin Essen und über ein Modellprojekt, an dem sich auch die gesetzlichen Krankenkassen beteiligen (siehe Kasten).
Wie in Berlin wird die Maschinenperfusion auch in Essen insbesondere bei grenzwertig guten Spenderorganen eingesetzt. „Oft werden Organe nach sogenannten erweiterten Spenderkriterien abgelehnt“, sagt Kamler. „Wir versprechen uns von verbesserten Evaluationsmöglichkeiten durch das Perfusionsverfahren, dass mehr Organe für die Transplantation infrage kommen.“ In Essen habe man in den vergangenen Jahren mithilfe der Maschinenperfusion knapp 150 Organe zusätzlich transplantieren können. Kamler nennt ein plastisches Beispiel: Ein Kollege kommt in einem Entnahmekrankenhaus an, um ein Herz zu explantieren. Dann die Nachricht: der Spender ist instabil, die Organentnahme abgebrochen. Der erfahrene Oberarzt gibt sich nicht geschlagen, reanimiert das Herz, setzt es in die Maschine ein, es bleibt genügend Zeit, um dessen Funktion zu überprüfen. Das Ergebnis fällt positiv aus, das Herz wird schließlich doch noch erfolgreich transplantiert.
Kamler ist davon überzeugt, dass der Maschinenperfusion die Zukunft gehört. „Man braucht dafür allerdings eine große Expertise und ebensolche Ressourcen“, erklärt der Chirurg. Vorstellbar sei deshalb, dass Kliniken in Zukunft miteinander kooperieren. In Essen entsteht zurzeit ein Maschinenperfusionszentrum, an dem zunächst einmal sämtliche Perfusionen, die am Uniklinikum stattfinden, gebündelt werden sollen. Zeitgleich sollen dort – überwacht und betreut von einem Spezialteam – vier Organe gleichzeitig perfundiert werden können. „Das wäre eine Spezialisierung und Standardisierung, die die Qualität der Spenderorgane zusätzlich verbessern könnte“, meint Kamler.
Perfundiert wird bis zu acht Stunden
Langfristig, so hofft der Transplantationsmediziner, könne mithilfe der Maschinenperfusion der Zeitraum zwischen Organentnahme und -transplantation deutlich verlängert werden, ohne dass die Spenderorgane Schaden nehmen. Eine Zukunftsvision sei, Organe nicht nur länger konservieren, sondern auch behandeln zu können. „Wenn wir Behandlungen vornehmen wollen, müssten wir idealerweise drei, vier Tage lang perfundieren, damit zum Beispiel Antibiotika und Virustatika auch anschlagen können“, sagt Kamler. Davon sei man aber noch weit entfernt. „Klassisch sind zurzeit Perfusionen von bis zu acht Stunden.“ Erforscht wird dieser Behandlungsansatz zurzeit in Essen im Rahmen von Tierversuchen.
Wichtig ist Kamler zu betonen, dass die Anwendung des neuen Verfahrens in wenigen spezialisierten Zentren keinen Einfluss auf die Allokation von Spenderorganen hat. Die Vermittlung der gespendeten Organe an die Patientinnen und Patienten auf der Warteliste verantworte die Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden. Sie erfolge nach festgelegten Kriterien, wobei medizinische Dringlichkeit und Erfolgsaussicht im Vordergrund stünden. „Mit der Maschinenperfusion kann ein Zentrum lediglich die Verwertungsrate der Spenderorgane erhöhen, die Eurotransplant ihm zugeteilt hat“, erklärt Kamler.
Das Verfahren sei längst auch Thema in den Sitzungen der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, sagt deren Mitglied Dr. Gero Frings. Auch er zeigt sich überzeugt davon, dass die Maschinenperfusion gleich in mehrfacher Hinsicht zu Qualitätsverbesserungen in der Transplantationschirurgie beitragen kann. Neben einer verbesserten Organqualität ermögliche die Perfusion über die bisherigen Ischämiezeiten hinweg ein gezielteres „matching“ von Organspender und -empfänger auch über weitere Distanzen, betont der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationsbeauftragten in NRW gegenüber dem RÄ. Ein Nebeneffekt des geringeren Zeitdrucks: Operationen ließen sich besser planen. Da die Organentnahmen in der Regel nach dem regulären Operationsbetrieb stattfinde, werde der anschließende Einsatz der Organe meist nachts vorgenommen, um die Ischämiezeiten möglichst kurz zu halten. „Wenn man zu Tagesdienstzeiten mit frischeren Teams operieren kann, kann das ebenfalls zu Qualitätsverbesserungen führen“, meint Frings. So könnten die raren Spenderorgane noch „optimaler“ ihren Weg zu den Empfängern finden. „Medizinisch betrachtet gibt es vielfältige Aspekte, die für den Einsatz der Maschinenperfusion sprechen“, sagt er.
8.500 Menschen stehen auf der Warteliste
Das Ziel, mithilfe der Maschinenperfusion die Zahl der verwertbaren Spenderorgane zu erhöhen, ist angesichts des dramatischen Mangels in Deutschland durchaus erstrebenswert. Zurzeit stehen hierzulande nach Angaben der DSO 8.500 schwer kranke Menschen auf der Warteliste. Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet haben, lag dagegen 2021 bei nur 933. Der Wert war über die vergangenen vier Jahre stabil.
Für das erste Quartal 2022 meldete die DSO jetzt einen massiven Einbruch der Organspendezahlen von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Nur noch 176 Menschen spendeten nach ihrem Tod Organe gegenüber 249 im ersten Quartal 2021. Dieser Einbruch kam der Stiftung zufolge völlig unerwartet, zumal Deutschland bisher im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ohne größere Einbußen durch die Coronapandemie gekommen sei.
In einer Analyse der möglichen Gründe für diese „drastische Abwärtsentwicklung“ kommt die DSO zu dem Schluss, dass dies zum Teil der Pandemie geschuldet ist. Unter anderem habe sich der Personalausfall auf den Intensivstationen aufgrund der hohen Inzidenzen zu Jahresbeginn drastisch verschärft. Auch die medizinischen Kontraindikationen, die eine Organspende ausschließen, hätten um rund elf Prozent zugenommen. „Diese Zunahme steht in direkter Relation zu der gestiegenen SARS-CoV-2-Infektionsrate“, erklärt die DSO. Die Zahl der Fälle, bei denen der Organspendeprozess wegen einer zufällig entdeckten Coronainfektion abgebrochen wurde, habe sich im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal verdoppelt. Die Stiftung weist jedoch darauf hin, dass eine Organspende gerade in diesen Situationen auch bei positivem Coronabefund unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.
Insgesamt, so die Analyse der DSO, sei die Zahl der Ablehnungen einer Organspende auf den Intensivstationen um elf Prozent gestiegen. Gehäuft sei es zudem vor einer möglichen Feststellung des Hirntodes zu einem Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion bei den potenziellen Organspendern gekommen (plus 44 Prozent), was eine Organspende unmöglich machte.
Die Finanzierung von Organspenden
Die Krankenhäuser, in denen die Organentnahme erfolgt, erhalten für den ihnen dabei entstehenden Aufwand eine Pauschale von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die Krankenversicherung des Organempfängers zahlt je transplantiertem postmortal gespendeten Organ eine Pauschale an die DSO. Damit sind alle Kosten, die bei der Feststellung der Eignung eines Organspenders sowie bei Entnahme und Transport der Spenderorgane entstehen, abgedeckt. Die Vergütung der stationären Behandlung des potenziellen Organempfängers vor der Transplantation sowie der Transplantation selbst erfolgt über Fallpauschalen.
Das Budget der DSO wird jährlich prospektiv mit den Auftraggebern der Stiftung – der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem GKV-Spitzenverband – verhandelt. Es richtet sich nach der zu erwartenden Zahl der transplantierten Organe.
Nach eigenen Angaben beschäftigen sich die Krankenkassen zurzeit intensiv mit den vergütungsrechtlichen Lösungen bei der Maschinenperfusion in der Organspende. GKV-Spitzenverband, BÄK und DKG berieten gemeinsam über die rechtliche und finanzielle Einordnung des Einsatzes der Geräte im Rahmen einer Organspende. Dabei geht es dem GKV-Spitzenverband zufolge unter anderem darum, welche Organe welche Leistungen erfordern, ob es sich also um eine Transportleistung handelt, die in den Leistungsbereich der DSO fällt oder ob es sich um eine Krankenhausleistung handelt, für die die Kassen aufkommen müssen. Derzeit liefen Vorbereitungen für den Einsatz der Maschinenperfusion für Nieren, die den größten Teil der Organspenden darstellten.
Da es sich bei der Maschinenperfusion um ein Medizinprodukt handle, müsse die Leistung im Rahmen einer europäischen Ausschreibung vergeben werden.
Der Ausschreibungsprozess samt Schulung des Personals werde zurzeit gemeinsam mit BÄK und DKG vorbereitet.