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Positionen zu Klima- und Energiekrise

24.11.2022 Seite 12
RAE Ausgabe 12/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2022

Die Folgen des Ukraine-Krieges mit drastischen Preissteigerungen bei Gas, Öl und Strom sowie der Umgang mit den bereits spürbaren Folgen des Klimawandels prägten in weiten Teilen die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein. Aber auch das eigene Berufsbild beschäftigte die Abgeordneten. Mit Blick auf die Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen wollen sie die ärztliche Kernkompetenz schärfer herausarbeiten.


von Heike Korzilius

Zum zweiten Mal seit Beginn der Coronapandemie tagte die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 12. November wieder in Präsenz. Im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf galt ein strenges Hygienekonzept, Masken prägten das Bild und Abstände wurden gewahrt. Sachlich und diszipliniert verlief die Sitzung der 121 Mitglieder der Kammerversammlung, bei der die großen gesellschaftlichen Themen wie Krieg, Energiekrise und Klimawandel ebenso angesprochen wurden wie gesundheits- und berufspolitische Angelegenheiten – von Fallpauschalen im Krankenhaus über die ärztliche Gebührenordnung (GOÄ) bis hin zum aktuell geänderten Infektionsschutzgesetz.

Energiezulage auch für die Praxen

Standen bei der Kammerversammlung im März noch die humanitären Folgen des russischen Angriffskrieges für die Menschen in der Ukraine und die zehntausenden Geflüchteten im Vordergrund, mussten sich die Mitglieder der Kammerversammlung jetzt erstmals auch mit den indirekten Auswirkungen des Krieges in Deutschland und auf die Einrichtungen des hiesigen Gesundheitswesens beschäftigen. „Für viele Menschen hat schon die Coronapandemie Ängste und Sorgen um Angehörige und die eigene Gesundheit ausgelöst, seit Kriegsbeginn addieren sich nun neue Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges, vor wirtschaftlichen Verwerfungen, vor Energiekrise und explodierenden Preisen hinzu“, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, zum Auftakt der Sitzung. Angesichts der drastischen Steigerungen bei den Energiekosten forderte das Ärzteparlament Bund und Länder auf, neben den Krankenhäusern auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte durch eine steuerfinanzierte Energiezulage zu entlasten. Anfang November hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, Krankenhäuser, Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen, die trotz der Strom- und Gaspreisbremse finanzielle Belastungen nicht ausgleichen können, mit bis zu acht Milliarden Euro zu unterstützen.

 

Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte werden in dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder nicht erwähnt. „Konkrete Aussagen, wie vor allem die Hochenergiefächer, wie beispielsweise die ambulante Radiologie und Nuklearmedizin, vor einer existenzbedrohenden Lage zu schützen sind, gibt es leider bis heute nicht“, kritisierte Henke. Weder die Krankenhäuser noch die niedergelassenen Ärzte könnten gestiegene Ausgaben durch Inflation und höhere Energiekosten durch Preisanpassungen kompensieren. Verschärft werde die Lage in den Praxen zusätzlich durch den niedrigen Honorarabschluss für das kommende Jahr. Einem Honorarplus von zwei Prozent stehe eine Inflationsrate von über zehn Prozent gegenüber, so Henke. „Krankenhäuser und ambulante Praxen sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“, mahnte er. Bestehende Versorgungsstrukturen müssten gestärkt werden. Man könne nicht wie die Ampelregierung im Koalitionsvertrag schreiben: „Alle Menschen in Deutschland sollten gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land“ und dann diejenigen im Regen stehen lassen, die für diese Versorgung geradestehen.

 
Händeringend suchen Kollegen Nachfolger für ihre Praxen

In ganz Nordrhein-Westfalen (NRW) sei es nach wie vor schwierig, insbesondere Hausärztinnen und -ärzte für die Niederlassung auf dem Land zu gewinnen. „Händeringend suchen Kolleginnen und Kollegen vor allem in strukturschwachen Regionen Praxisnachfolgerinnen und -nachfolger“, sagte der Kammerpräsident. 20 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gingen in NRW in absehbarer Zukunft in Rente. „Und dann?“, so Henke. Er frage sich, wer den Weg in die Niederlassung wagen wolle, wenn Bundespolitik und Krankenkassen mit ihrer Gesetzgebung und ihren Verlautbarungen nicht die leiseste Wertschätzung gegenüber der ambulanten Versorgung zum Ausdruck brächten.

 

Es sei eine Fehleinschätzung, wenn Politik und Kassen glaubten, die drohende Versorgungslücke mithilfe von Gesundheitskiosken, Gemeindeschwestern oder telemedizinischen Angeboten schließen zu können. Klug eingesetzt könnten solche neuen Strukturen sicher stellenweise für Entlastung sorgen. Ein Großteil der Menschen, vor allem Ältere und chronisch Kranke, wolle aber auch in Zukunft vor Ort von Ärztinnen und Ärzten ihres Vertrauens behandelt werden, zeigte sich Henke überzeugt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte im Sommer angekündigt, langfristig bundesweit 1.000 Gesundheitskioske aufzubauen mit dem Ziel, insbesondere sozialen Randgruppen den Zugang zum Gesundheitssystem zu erleichtern. Ärztinnen und Ärzte seien in diesem Modell nicht vorgesehen, kritisierte Dr. Christiane Friedländer, Neuss. „Welches Arztbild hat eigentlich diese Regierung?“, fragte sie auch mit Blick darauf, dass Gesundheitsämter zunehmend von nicht Ärzten geleitet werden. „Das ist eine Infragestellung der ärztlichen Kompetenz“, so Friedländer. Dr. Lothar Rütz, Köln, wies darauf hin, dass nach § 64 d SGB V ab Januar 2023 in jedem Bundesland mindestens ein Modellversuch durchgeführt werden muss, bei dem heilkundliche Aufgaben auf nicht ärztliche Gesundheitsberufe übertragen werden. Für ihn werfe das die Frage auf, wie hier Delegation und Substitution voneinander abgegrenzt werden sollen, so Rütz. Angesichts dieser Entwicklungen müsse die Ärzteschaft dringend ihre Kernkompetenzen definieren. Diagnostik, Indikationsstellung, die Feststellung des individuellen Behandlungsbedarfs sowie die Überwachung des Heilerfolgs, gehörten in ärztliche Hand, heißt es in einem entsprechenden Beschluss der Kammerversammlung. Mit Blick auf die Kooperation der Gesundheitsberufe sagte Henke: „Wir brauchen Lösungen für eine Gesellschaft des langen Lebens.“ Das gehe nicht ohne Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte, die Pflege am Bett leisteten und dafür anständig bezahlt würden, sowie qualifizierte Medizinische Fachangestellte. Vor allem benötige man für die Versorgung von immer mehr älteren und multimorbiden Menschen eine starke wohnortnahe ambulante Versorgung. „Wir müssen deshalb alle zusammen viel dafür tun, die Niederlassung für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiv zu halten“, mahnte Henke. Hier sei auch die Ärzteschaft selbst gefordert. „Kein Schönreden, aber auch kein Kaputtreden unsererseits gehören auch dazu“, so der Kammerpräsident.

 

Henke wies erneut darauf hin, dass die zunehmende Bürokratie in Praxen und Krankenhäusern ein ernsthaftes Problem darstellt. So belege der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung herausgegebene Bürokratie-Index 2020 einen neuerlichen Anstieg der Bürokratiebelastung für Vertragsärzte und -psychotherapeuten gegenüber 2019 um 1,3 Prozent. Mit insgesamt 55,8 Millionen Arbeitsstunden schlugen die Informationspflichten der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2020 zu Buche. Aktuell müssten etwa 61 Arbeitstage pro Jahr und Praxis für die Erfüllung von Informationspflichten aufgewendet werden. Ähnlich sei die Situation im Krankenhaus. Klinikärzte und Pflegekräfte verbrächten derzeit im Schnitt drei Stunden am Tag mit bürokratischen Pflichten, so Henke. „Was wäre es für unsere Patientinnen und Patienten für ein Gewinn, wenn ihnen diese Zeit zugutekäme?“, fragte er. „Das würde nichts kosten und hätte einen riesigen Effekt auf die Patientenversorgung und unsere eigene Berufszufriedenheit.“

 
GOÄ-Novelle zeitnah einführen

Wenn man wolle, dass Ärztinnen und Ärzte auch in Zukunft den Schritt in die Niederlassung wagten, müsse man jedoch auch für eine angemessene Vergütung sowohl im EBM als auch in der GOÄ sorgen. Sobald die GOÄ-Novelle zwischen Privater Krankenversicherung und Bundesärztekammer Anfang nächsten Jahres konsentiert sei, müsse diese umgehend eingeführt werden, forderte der Kammerpräsident. Doch Hindernisse für die Niederlassung in eigener Praxis drohen Henke zufolge auch aus ganz anderer Richtung. Zunehmend drängten private Finanzinvestoren in den ambulanten Markt, die freiwerdende Arztsitze zu Höchstpreisen aufkauften und in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) eingliederten. „Wenn Niederlassung für die meisten Ärztinnen und Ärzte nicht mehr bezahlbar ist, dann bedeutet das langfristig, dass die ambulante Versorgung komplett dem freien Markt und Wettbewerb überantwortet wird“, warnte Henke. Er sehe eine Gefahr für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung, wenn sich Investoren mit Monopolstellung plötzlich aus der Versorgung zurückzögen, weil anderswo mehr Geld zu verdienen sei. Dieselben Monopole engten auch die freie Arztwahl und das Einholen von Zweitmeinungen ein. Denn am Ende sei es egal, an welche Tür ein Patient klopfe, weil immer derselbe Konzern hinter der Praxis oder dem MVZ stehe. „Ein Wahlrecht setzt Pluralität voraus“, sagte der Kammerpräsident und forderte Politik, Krankenkassen und Patientenschützer auf, dem Thema endlich die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. „Hier muss die Ampelkoalition im Sinne der Transparenz und zum Erhalt der freien Arztwahl gesetzgeberisch nachbessern“, so Henke.

Mehr Transparenz bei Investoren-MVZ

Die Kammerversammlung sprach sich in zwei Beschlüssen für mehr Transparenz bei den Eigentümerstrukturen von MVZ aus und forderte die Politik auf, die Ausbreitung von MVZ in Investorenhand zu stoppen. Den Investoren gehe es nicht in erster Linie um die Versorgung, sondern um Rendite, kritisierte Dr. Thorsten Hornung, Bonn. „Wir brauchen ein Fremdbesitzverbot. Versorgung gehört in ärztliche Hand und in ärztliche Verantwortung.“ Selbstkritische Töne schlug Dr. Christiane Groß, Wuppertal, an. Sie forderte die Kolleginnen und Kollegen auf, mehr für die Selbstständigkeit in eigener Praxis zu werben, gerade auch bei jungen Ärztinnen und mahnte diejenigen, die ihre Praxen abgeben wollen: „Warum müssen Sie immer so optimiert verkaufen?“

Das DRG-System hat zu einem ruinösen Wettbewerb geführt

Doch nicht nur im ambulanten Bereich gibt es Fehlentwicklungen zu beklagen. Auch im stationären Sektor sind die Baustellen zahlreich. „Viele Kliniken sind nicht nur aufgrund von Coronapandemie, Inflation und Energiekrise geschwächt, sondern auch, weil die Bundesländer seit Jahren ihrer Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung nicht ausreichend nachkommen und das DRG-System zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den Kliniken geführt hat“, beschrieb Kammerpräsident Henke die Lage. Die Mitglieder der Kammerversammlung bekräftigten mithin ihre Forderung an die Bundesregierung, die Vergütung nach Fallpauschalen in ihrer jetzigen Form abzuschaffen. Das System schaffe für die Kliniken Anreize, vermehrt insbesondere gut bezahlte Leistungen zu erbringen und bilde deren Vorhaltekosten für die medizinische Personal- und Infrastruktur nur unzureichend ab, heißt es in einem Beschluss des Ärzteparlaments. Die Folgen seien Wettbewerbsverzerrungen, Personalabbau, ein hoher bürokratischer Aufwand und Qualitätsverluste bei der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten. „Das bisherige erlösorientierte DRG-System muss schnellstens durch ein kombiniertes Vergütungssystem aus krankenhausindividuellen Personalausgaben und Vorhaltekosten sowie der Abrechnung landeseinheitlicher pauschalierter Sach- und Betriebskosten abgelöst werden“, forderte Henke. Das dürfe sich nicht nur auf die Kinderheilkunde und Geburtshilfe beschränken, wie jetzt im Entwurf zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz vorgesehen. „Ein neues Vergütungssystem sollte es fördern, dass Ärztinnen und Ärzte dem einzelnen Patienten wieder gerecht werden können“, so Henke. Patientinnen und Patienten seien keine pauschalierten Fälle mit Abrechnungscode. Der Kammerpräsident lobte erneut die neue Krankenhausplanung in NRW und dass das Land bei der Reform auf die Kooperation mit allen Beteiligten gesetzt habe, unter anderem auch mit den beiden Ärztekammern. Die ersten Planungsgespräche zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern in den Regionen seien im November angelaufen. „Aber klar ist auch, dass die Transformation als solche gerade am Anfang nicht ohne finanzielle Mittel möglich sein wird“, erklärte Henke und begrüßte in diesem Zusammenhang die Zusage der Landesregierung, die Umsetzung des neuen Krankenhausplans mit 2,5 Milliarden Euro über die nächsten fünf Jahre zu fördern. In dieser Summe enthalten sind der Landesregierung zufolge auch Mittel für sogenannte Klimaanpassungsmaßnahmen in den Krankenhäusern.

Bei Hitzeaktionsplänen muss das Land Tempo machen

Dass sich die Einrichtungen des Gesundheitswesens besser auf die Folgen des Klimawandels einstellen müssen, forderte jetzt auch die Kammerversammlung. Sie verlangte unter anderem von der Landesregierung, bei der Förderung von kommunalen Hitzeaktionsplänen in NRW Tempo zu machen. Alarmpläne müssten für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen, aber auch für Kindergärten und Schulen erstellt werden. Außerdem sollten in den Innenstädten Trinkbrunnen und kühle Aufenthaltsmöglichkeiten für gefährdete Menschen geschaffen werden. „Nach einer Schätzung des Robert Koch-Instituts sind in diesem Sommer etwa 4.500 Menschen in Deutschland infolge von Hitze gestorben“, sagte Kammerpräsident Henke. „Wir müssen von den Kommunen einfordern, dass sie Klimaschutz und Klimafolgeanpassung als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge begreifen“, sagte er. Es dürfe nicht ein weiterer Winter verstreichen, ohne dass etwas geschehe. Mit rund fünf Prozent trägt aber auch der Gesundheitssektor selbst zum CO2-Fußabdruck in Deutschland bei. Das Gesundheitswesen müsse daher engagiert seinen Betrag zum Klimaschutz leisten, betonte der Geschäftsführende Arzt der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Christian Köhne. „Denn Maßnahmen zum Klimaschutz dienen dem Gesundheitsschutz einzelner Menschen wie auch der Bevölkerung als Ganzes.“ Ärztinnen und Ärzte fühlten sich diesem Schutz besonders verpflichtet.
 

 
Kammer soll klimaneutral werden

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Kammerversammlung beschlossen, dass die Ärztekammer Nordrhein bis 2030 klimaneutral werden soll. Köhne berichtete jetzt über den Fortgang dieses ehrgeizigen Projekts. Man habe inzwischen verschiedene Handlungsfelder identifiziert, darunter Gebäude, Verkehr, Beschaffung, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Veranstaltungen. Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kammer zwei Tage im Homeoffice arbeiten könnten und viele Gremiensitzungen und Fortbildungsveranstaltungen online stattfänden, trage dazu bei, Emissionen zu reduzieren. „Das war zunächst Corona geschuldet. Jetzt ist es ein Erfolgsmodell“, sagte Köhne. Ziel sei es auch, bei der Arbeit in den Gremien und in den Büros Papier einzusparen und mit einer Reform der Entschädigungsordnung bei Dienstreisen klimafreundliche Anreize zu setzen, die die Mitarbeiter und das Ehrenamt motivierten, die Bahn zu nutzen statt ins Flugzeug oder ins eigene Auto zu steigen. Ihr Engagement gegen den Klimawandel leiteten die Ärztinnen und Ärzte auch aus ihrem beruflichen Selbstverständnis ab, betonte Kammerpräsident Henke. „Es ist unsere ärztliche Aufgabe, nicht nur dem Einzelnen zu dienen, sondern der Gesundheit des gesamten Volkes.“ So stehe es in der Bundesärzteordnung. Aus diesem Auftrag leite man auch die Stellungnahmen zu Gesetzen ab, die aus Sicht der Ärzteschaft der Gesundheit der Bevölkerung eher schadeten als nützten. So habe der Deutsche Bundestag am 10. November mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes die sogenannte Ex-Post-Triage verboten, wenn überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten nicht mehr für alle ausreichen. Der Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung zugunsten eines anderen Patienten mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit sei damit untersagt, kritisierte Henke. Wenn ein starres „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ an die Stelle der ärztlichen Indikation im Einzelfall trete und allenfalls noch der Patientenwille zähle, dann seien für den Fall einer notwendigen Behandlungspriorisierung mehr erfolglose Behandlungen und mehr Todesfälle als nötig zu befürchten, sagte er. „Für uns Ärztinnen und Ärzte lässt das Gesetz viele Fragen offen und es löst das Dilemma zwischen der in diesem Bereich nie möglichen absoluten Verteilungsgerechtigkeit und unserem ärztlichen Auftrag, möglichst viele Leben zu retten, nicht.“ Der Ausschluss der Ex-Post-Triage opfere Leben, die gerettet werden könnten einem starren Zuteilungsprinzip. Er konzentriere knappe Ressourcen auf einmal begonnene Behandlungen, auch wenn diese nach und nach ihren Sinn verlören. „Hier wird gesetzlich entschieden, was eigentlich Ärztinnen und Ärzte entscheiden müssten“, sagte Henke.


Keine Freigabe von Cannabis zum Genuss

Erneut sprach sich die Kammerversammlung auch gegen die kontrollierte Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken aus, wie sie die Ampelkoalition plant. Gesundheitliche Beeinträchtigungen wie das vermehrte Auftreten von psychischen Erkrankungen und kognitiven Einschränkungen seien erwiesenermaßen mit intensivem Cannabiskonsum assoziiert, heißt es in einem Beschluss. Sollte eine Legalisierung dennoch umgesetzt werden, müssten präventive Maßnahmen ergriffen werden, um den Konsum bei Erwachsenen zu verringern und bei Jugendlichen zu verhindern. Außerdem müssten ambulante und stationäre therapeutische Angebote geschaffen werden, um gesundheitliche und soziale Folgeschäden durch den Drogenkonsum zu mindern.

Satzungsänderungen und Bericht der Gutachterkommission

Die Kammerversammlung beschloss am 12. November mehrere Änderungen der Satzung der Nordrheinischen Ärzteversorgung. Sie betreffen die Sicherstellung der Körperschaftssteuerbefreiung, die Begrenzung der pflichtgemäß zu entrichtenden Versorgungsabgaben auf die „Pflichtabgabe“ und die Verhinderung des Absinkens der durchschnittlichen Versorgungsabgabe. Die Änderungen werden in einer der nächsten Ausgaben des Rheinischen Ärzteblatts veröffentlicht. Die Kammerversammlung nahm zudem den Geschäftsbericht der Nordrheinischen Ärzteversorgung für das Jahr 2021 entgegen und entlastete deren Organe für das Geschäftsjahr 2021. Der Geschäftsbericht ist unter www.naev.de abrufbar. Der Bericht der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. September 2022 erscheint in der Februar-Ausgabe des Rheinischen Ärzteblatts.

Kammerhaushalt 2023

Gegenüber dem vorangegangenen Haushaltsjahr bleibt das veranschlagte Haushaltsvolumen der Ärztekammer Nordrhein nahezu unverändert bei knapp 40 Millionen Euro. Allerdings sei noch nicht absehbar, wie sich die Coronapandemie und die hohe Inflationsrate auf die Ausgaben der Kammer auswirken werden, erklärte der Verbindungsmann des Vorstandes zum Finanzausschuss der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Joachim Wichmann. Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ärztekammer und der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein für das vergangene Jahr führte dem Vorsitzenden des Finanzausschusses, Dr. Wilhelm Rehorn, zufolge zu keinerlei Beanstandungen.

 

Akademie ist digital neu aufgestellt

Die Ärztliche Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein hat ihre digitale Transformation so gut wie abgeschlossen. Das berichtete der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses Professor Dr. Gisbert Knichwitz bei der Kammerversammlung am 12. November. Die Homepage sei neu gestaltet und ein Seminarverwaltungsprogramm installiert, das sämtliche Prozesse von der Seminarsuche über die Buchung bis zur Ausstellung von Bescheinigungen digital abbilde. Nach den positiven Erfahrungen mit Online-Fortbildungen während der Coronapandemie seien reine Präsenzformate nicht mehr zu halten, so Knichwitz. Es komme auf eine gute Mischung an. Vor Ort in Bonn soll vom 9. bis 14. Oktober 2023 ein großer Fortbildungskongress stattfinden. Am finalen Programm werde derzeit gearbeitet: www.akademie-nordrhein.de

 

Die Entschließungen der Kammerversammlung am 12. November 2022 im Wortlaut finden Sie unter: www.aekno.de/aerztekammer/kammerversammlung