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Klimawandel macht krank

24.11.2022 Seite 22
RAE Ausgabe 12/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2022

Seite 22

  • Gefährliche Reisemitbringsel Insekten wie die Aedes-Mücke übertragen Krankheiten und gelangten ursprünglich im Reisegepäck oder in Containern auf den Handelsrouten nach Deutschland. Durch den Klimawandel begünstigt drängen diese Neozoen nun weiter nach Norden. © frank 600/istockphoto.com
  • Multiresistente Populationen von Erregern wie Acinetobacter baumannii verbreiten sich durch die Globalisierung weltweit. Acinetobacter hat sich inzwischen vom harmlosen Umweltbakterium zum gefürchteten Krankenhauskeim entwickelt. Insekten wie die Aedes-Mücke übertragen Krankheiten wie das Dengue-Fieber. Sie gelangten ursprünglich im Reisegepäck oder in Containern auf den Handelsrouten nach Deutschland. Durch den Klimawandel begünstigt drängen diese Neozoen nun weiter nach Norden. © Dr._Microbe/istockphoto.com

Klimawandel und Globalisierung bereiten den Boden dafür, dass sich tropische Infektionskrankheiten wie das West-Nil- oder das Dengue-Fieber künftig vermehrt auch in Deutschland ausbreiten können. Auch multiresistente Erreger werden global zu einem zunehmenden Problem. Infektionskrankheiten standen deshalb beim 10. Kammersymposium der Ärztekammer Nordrhein im Mittelpunkt der Diskussion.

von Marc Strohm

Hitzeassoziierte Erkrankungen und Todesfälle, eine steigende Morbidität durch Allergien und Asthma, Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit durch klimabedingte Flucht oder Extremwetterereignisse, aber auch die Zunahme zoonotischer Infektionen wie Borreliose, FSME und Dengue-Fieber — die Liste der möglichen Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit ist lang. Grund genug für die Landesgesundheitskonferenz (LGK) in Nordrhein-Westfalen herauszustellen, dass der Klimaschutz auch Aufgabe des Gesundheitswesens ist (siehe Kasten oben). Auch bei der Ärztekammer Nordrhein, die der LGK angehört, steht das Thema „Klimawandel und Gesundheit“ ganz oben auf der Agenda. Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte sei es in diesem Zusammenhang zum Beispiel, die Bevölkerung über Schutzmaßnahmen gegen Vektoren, die Ausbreitung von Tropenkrankheiten und andere Infektionskrankheiten aufzuklären, sagte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, auf dem 10. Kammersymposium der Ärztekammer Nordrhein am 5. November. Knapp 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hatten sich für die Online-Veranstaltung unter dem Titel „Aktuelle Infektionserkrankungen“ registriert. Bereits heute sind Henke zufolge die Auswirkungen des Klimawandels spürbar. So litten in den heißen Sommern zunehmend Ältere und Kinder an den häufiger werdenden Hitzewellen. Die steigenden Temperaturen könnten auch die Verbreitung von bisher auf die Tropen beschränkten Erkrankungen begünstigen. Bisher gehörten Malaria und Dengue-Fieber zu den reiseassoziierten Erkrankungen, erklärte Professor Dr. Michael Koldehoff, Vorsitzender des Ad hoc-Ausschusses Infektionskrankheiten und -risiken der Ärztekammer Nordrhein. Bekannt sei unter anderem die sogenannte Flughafenmalaria, bei der Mücken aus Endemie- Gebieten im Passagierraum des Flugzeugs mitreisten und im Zielland die Erkrankung übertragen könnten. Laut Koldehoff bestehe aktuell jedoch nicht die Gefahr eines Malaria-Ausbruchs, da einzelne Infektionen in Deutschland in der Regel umgehend entdeckt und therapiert würden. Koldehoff wies zugleich darauf hin, dass die Malaria bis in die 1950er-Jahre auch in Deutschland endemisch auftrat und im Laufe der Zeit insbesondere durch die Trockenlegung von Feuchtgebieten und die Begradigung von Flüssen ausgerottet wurde. Sie gelte deshalb hierzulande als „alte“ Infektionskrankheit. Eine endemische Rückkehr infolge des Klimawandels sei künftig jedoch denkbar, so Koldehoff.

Klimaschutz als Aufgabe des Gesundheitswesens

Das Gesundheitswesen muss sich nicht nur mit den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit beschäftigen. Es trägt auch selbst zum Klimawandel bei. Rund fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemission stammen aus medizinischen Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund verabschiedete die Landesgesundheitskonferenz im Haus der Ärzteschaft am 31. Oktober eine Erklärung, in der sich die Akteure des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens auf gemeinsame Maßnahmen zum Klimaschutz und Klimaanpassungen verpflichteten. Diese sollen in den kommenden Jahren umgesetzt werden. Unter anderem sollen in medizinischen Einrichtungen künftig verstärkt Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien genutzt werden. Um über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels aufzuklären, soll das Thema künftig in der Aus- und Fortbildung der Gesundheitsberufe fest verankert werden.


Auch die Bundesärztekammer setzt sich verstärkt für Klimaschutzmaßnahmen ein. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und Vertretern aus der Klimaforschung erklärte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, Anfang November in Berlin, dass sich das Gesundheitswesen besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten wolle. Der klimafreundliche Aus- und Umbau von Gesundheitseinrichtungen solle ebenfalls beschleunigt werden. Auch die Ärztekammer Nordrhein hat sich verpflichtet, bis 2030 klimaneutral zu werden.

Krankheiten aus den Tropen

Klimaveränderungen begünstigten aber auch die Ausbreitung von „fremden“ Insekten wie der Aedes-Mücke in Deutschland. Diese Mückenart gelte als Überträgerin von Erkrankungen und habe sich ursprünglich durch internationale Reisen und als Containerbrüter auf den Handelsrouten in Europa verbreitet, erklärte Koldehoff. Durch Klimaerwärmung könne diese thermophile Spezies jetzt auch im Norden Europas heimisch werden und sich an die kälteren Winter anpassen. Dadurch seien künftig Infektionen von Gelbfieber, Zika-Virus, Dengue-Fieber und Chikungunyafieber zu erwarten, so der Internist.

 

Eine weitere ehemals tropische Infektionskrankheit, die erstmals 2018 in Deutschland nachgewiesen wurde, ist das West-Nil-Fieber. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts, das zu der Erkrankung eine eigene Webseite betreibt, gelangte das West-Nil-Virus durch Zugvögel nach Europa, wo es in Südeuropa saisonal zu Übertragungen kommt. Nachdem 2018 erstmals in Deutschland eine Zirkulation des Virus unter Vögeln und Pferden nachgewiesen wurde, registrierte man 2019 erstmals auch Erkrankungen bei Menschen. Als Vektor diene dabei die deutschlandweit verbreitete Culex-Mücke. Diese infiziere sich an Vögeln mit dem Virus und übertrage es dann auf den Menschen. Laut Robert Koch-Institut kann das West-Nil-Fieber auch durch Organtransplantationen und Bluttransfusionen
übertragen werden. 


Neben eingewanderten Exoten wie der Aedes-Mücke begünstigt der Klimawandel auch die Ausbreitung von Zecken. Durch mildere Winter würden sie die kalte Jahreszeit überstehen und seien folglich ganzjährig aktiv, so das RKI. Die höhere Durchschnittstemperatur führe dazu, dass sich die Zecken dann auch höher gelegene Berggebiete erschließen und sich dort verbreiten könnten. Die Folge seien eine Ausbreitung von Borreliose und der FSME. FSME-Risikogebiete dehnten sich dabei weiter nach Norden aus und die ersten Krankheitsfälle träten immer früher im Jahr auf. 


Derzeit noch selten, aber durch den Klimawandel ebenfalls auf dem Vormarsch sind Internist Koldehoff zufolge die Nicht-Cholera-Vibrionen. Sie vermehren sich vor allem im warmen Salzwasser bei Temperaturen über 20 Grad stark, sind aber auch dort anzutreffen, wo Salzwasser auf Süßwasser trifft, wie an Flussmündungen. Ein Großteil der 120 zwischen 2003 und 2020 gemeldeten mit Vibrionen infizierten Patientinnen und Patienten litt dabei an Wundinfektionen, ferner traten Ohrinfektionen, primäre Septikämie und Gastroenteritis auf. Koldehoff prognostizierte, dass die Infektionsgefahr durch Nicht-Cholera-Vibrionen vor allem an Nord- und Ostsee zunehmen werde.

Mehr multiresistente Erreger

Bei den Infektionserkrankungen stellen vor allem multiresistente Erreger Ärztinnen und Ärzte vor große Herausforderungen. In einigen exotischen Reiseländern existierten zum Beispiel bereits große Populationen an multiresistenten Bakterien. Durch Fernreisen könnten diese dann verbreitet werden, sagte Professorin Dr. Pia Hartmann, Departmentleitung der Klinischen Infektiologie des St. Vinzenzhospitals in Köln. Nach ihren Angaben verursachen die Erreger Escherichia coli, Klebsiella, Enterobacter, Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter weltweit den Großteil der geschätzten Todesfälle, die auf multiresistente Erreger zurückzuführen sind. In südeuropäischen Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland, aber auch außerhalb Europas wie in Israel, Mexiko und Indien seien multiresistente Populationen von Acinetobacter baumannii aktuell noch stärker verbreitet als in Deutschland. Während hierzulande nur knapp fünf bis zehn Prozent der Isolate Multiresistenzen aufwiesen, seien es in Teilen von Süd- und Osteuropa bis zu 80 Prozent. Dieser Erreger habe eine hohe Umweltresistenz und sei nur sehr schwierig ambulant zu behandeln, weshalb Ausbrüche eine große Herausforderung darstellten. Wenn ein Patient sich mit neuartigen Symptomen vorstelle und nicht auf eine Standardantibiotika-Therapie anspreche, empfiehlt Hartmann, in jedem Fall eine Reiseanamnese durchzuführen. Auch bei der Behandlung von ausländischen Patienten in Deutschland sollte dies berücksichtigt werden. So zeigten Daten des Robert-Koch-Instituts, dass Geflüchtete aus der Ukraine einen relativ hohen Anteil an antimikrobieller Resistenz bei invasiven Isolaten zeigten.


Insbesondere bei vorbehandelten Patienten mit Verletzungen und Wunden sei es möglich, dass Infektionen durch Erreger wie Acinetobacter baumannii vorkämen. Das Robert-Koch-Institut empfehle daher bei Verlegungen zwischen Krankenhäusern und Übernahmen aus stationären Einrichtungen ein entsprechendes Screening. Als Folge der Ausbreitung von multiresistenten Erregern stehen Hartmann zufolge weniger Antibiotika zur Verfügung und diese hätten eine geringere Wirksamkeit. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe sei mit hohen Kosten verbunden und lohne sich aus Sicht vieler Pharmaunternehmen kaum, weil die neuen Präparate in der Regel als Reserveantibiotika vorgesehen würden. Da neben Fernreisen auch der Kontakt zu Nutztieren ein möglicher Risikofaktor für eine Kolonisation durch multiresistente Erreger ist, forderte Hartmann eine massive Reduktion des Einsatzes von Antibiotika in der Tierzucht. Aber auch Ärztinnen und Ärzte hätten Präventionsmöglichkeiten. So sollten Antibiotika so wenig wie möglich, in einer adäquaten Therapiedauer und in der richtigen Dosierung angewendet werden.
 

Multiresistente Erreger in den Praxen

Die gängigen Hygienemaßnahmen in den Praxen sind in der Regel ausreichend, um Patienten und Mitarbeiter vor multiresistenten Erregern zu schützen, betonte Professorin Dr. Pia Hartmann, Departmentleitung der Klinischen Infektiologie des St. Vinzenz-Hospitals in Köln. Nach Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) aus dem Jahr 2014 sollten Ärztinnen und Ärzte beim Kontakt mit MRSA-Patienten sowohl einen Schutzkittel, als auch einen Mund-Nasen-Schutz anlegen und unmittelbar nach der Behandlung die Hand- und Hautkontaktflächen mit schnell wirkenden Desinfektionsmitteln desinfizieren.
Die persönliche Schutzausrüstung sollte nach der Behandlung entsorgt werden. Würden Patienten aus dem Krankenhaus entlassen und ambulant weiterbehandelt, sei es wichtig, dass beide Sektoren bei der anschließenden Behandlung eng zusammenarbeiten.