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Praxis - Folge 128 der Reihe "Arzt und Recht"

Betreuungsrechtliche Fragen der Coronaimpfungen

18.03.2022 Seite 27
RAE Ausgabe 4/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2022

Seite 27

Wie bei jeder ärztlichen Behandlung ist es auch bei der COVID-19-Impfung notwendig, die Patientinnen und Patienten vor der Impfung aufzuklären und deren Einwilligung einzuholen (§ 630 e Abs. 1 BGB). Eine Impfung ohne wirksame Einwilligung stellt einen unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Zu rechtlichen Schwierigkeiten kann dies führen, wenn Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit der Patienten bestehen.

von Katharina Eibl und Dirk Schulenburg

Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag hin oder von Amts wegen einen rechtlichen Betreuer. Der Betreuer kann je nach Notwendigkeit für einzelne Bereiche, etwa für Vermögens-, Renten- oder Wohnungsangelegenheiten, den Aufenthalt, aber auch für Fragen der Gesundheitsvorsorge bestellt werden (§ 1896 BGB).

Vertretungsbefugnis in Gesundheitsfragen

Die mit der Betreuung einhergehende Vertretungsbefugnis bezieht sich nur auf den zugewiesenen Aufgabenbereich. Der Aufgabenbereich der Gesundheitssorge umfasst alle Bereiche der Medizin. Das heißt, innerhalb dieses Aufgabenkreises hat sich der Betreuer in jeder Hinsicht um die gesundheitlichen Belange des Betreuten zu kümmern. Zu diesen Aufgaben gehört beispielsweise auch die Einwilligung in eine Operation, die Einwilligung in verschiedene Heilbehandlungen oder das Veranlassen medizinischer Maßnahmen, wie zum Beispiel das Anlegen von Verbänden und die Verabreichung von Medikamenten. 

Einwilligung in ärztliche Maßnahmen

Patientinnen und Patienten sollen frei entscheiden können, ob sie eine Behandlung ablehnen oder nicht. Damit die Einwilligung überhaupt wirksam abgegeben werden kann, müssen die Patienten aber einwilligungsfähig sein. Einwilligungsfähig ist, wer in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung zu erkennen, entsprechend zu beurteilen und danach zu handeln.
Ist die betreute Person dauerhaft einwilligungsunfähig, so ist stellvertretend die Einwilligung des gesetzlichen Betreuers einzuholen.
Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.

Gefahr eines schweren gesundheitlichen Schadens

Die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung bedarf dann der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der medizinischen Maßnahmen sterben oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleiden könnte (§ 1904 Abs. 1 BGB).

COVID-19-Impfung

Bei allen Impfungen besteht die Aufgabe des Betreuers zunächst darin, die betreute Person bei ihrer Entscheidung, ob sie sich impfen lassen will, zu unterstützen. Dabei kommt es wie stets nach den §§ 1901, 1901 a BGB, auf die Wünsche und gegebenenfalls den mutmaßlichen Willen der betreuten Person an.

Bei einer behördlich empfohlenen Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff bedeutet das letztlich im praktischen Ergebnis, dass der Betreuer zu fragen hat, ob die von ihm betreute Person eine Impfung generell oder jedenfalls in diesem Fall abgelehnt oder verweigert hätte. Je nach Ergebnis darf dann stellvertretend für die betreute Person in eine Impfung eingewilligt werden.

Genehmigung durch das Gericht

Bei einer von der STIKO empfohlenen Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff wird die betreute Person durch die Impfung als solche in der Regel keinen Gefahren i.S.d. § 1904 Abs. 1 BGB ausgesetzt, sodass diese Einwilligung des Betreuers nicht vom Gericht genehmigt werden muss. Ausnahmen sind denkbar, wenn zum Beispiel eine Impfung im konkreten Fall bei dieser betreuten Person wegen ihres gegenwärtigen Gesundheitszustands gefährlich wäre.
Bei der Ablehnung einer empfohlenen Impfung kann diese Entscheidung nach § 1904 Abs. 2 genehmigungsbedürftig sein, wenn die betreute Person durch die Nichtimpfung erheblich gefährdet wird. 

Stufenweise Prüfung

Es bleibt festzuhalten: 

  • Solange Patientinnen und Patienten einwilligungsfähig sind, können nur sie selbst einwilligen.
  • Sind Patienten nicht einwilligungsfähig, müssen sie dennoch gefragt werden. Im Regelfall ist dann ihren Wünschen zu folgen. Eine Impfung gegen den natürlichen Willen eines Betroffenen wäre als Zwangsmaßnahme auch mit Einwilligung des Betreuers nicht zulässig.
  • Können Patienten nichts sagen, muss ihr mutmaßlicher Wille erforscht werden, der dann Maßstab für die stellvertretende Entscheidung sein muss. Die COVID-19-Impfung erfordert in der Regel keine betreuungsgerichtliche Genehmigung.

Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.