Nach § 630 e Absatz 1 Satz 3 BGB ist im Rahmen der Aufklärung über eine beabsichtigte medizinische Maßnahme auch auf Alternativen hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen. Im Gegenschluss bedeutet dies, dass bei gleich erfolgversprechenden und üblichen Behandlungsmöglichkeiten ohne nennenswert unterschiedliches Risiko über das Für und Wider einzelner Vorgehensweisen nicht aufgeklärt werden muss (BGH NJW 1982, 2121; 1988, 763). Ergeben sich Unterschiede hinsichtlich Belastungen, Risiken und Chancen, sodass den Patientinnen und Patienten eine echte Wahlmöglichkeit eröffnet ist, bedarf es der näheren Aufklärung (BGH NJW 2005, 1718; 2014, 1529).
von Thomas May und Johannes Riedel
Sachverhalt
Der antragstellende Patient hatte sich in der belasteten Klinik einer perkutanen transluminalen Angioplastie (PTA) zur Behandlung einer Nierenarterienstenose bei therapierefraktärer antihypertensiver Therapie unterzogen. Entsprechende Eingriffe hatte er in der Vergangenheit wiederholt vornehmen lassen. Dabei war nach seiner Darstellung stets ein Zugang über die Leiste gewählt worden.
Im Aufklärungsbogen hieß es im vorgedruckten Text zum Zugangsweg: „wird eine dünne Hohlnadel in eine Schlagader (Arterie) oder Vene in der Leiste, Ellenbeuge oder Achsel eingeführt“.
Beim fraglichen Eingriff wurde der Zugang über die linke Achsel gewählt. In der Folge entwickelte sich ein Aneurysma spurium im Bereich der linken Axilla. Zugleich wurde eine Sensibilitätsstörung in der linken Hand im Bereich des Nervus medianus festgestellt. Der Patient wurde zunächst nach gefäßchirurgischem Konsil konservativ behandelt und schließlich in die chirurgische Abteilung verlegt, wo das Hämatom ausgeräumt wurde.
Der Patient hat beanstandet, dass er über den gewählten Zugangsweg nicht aufgeklärt worden sei. Die im Verfahren belasteten Angiologen haben die Aufklärung als ausreichend angesehen.
Bewertung
Der mit der Sache befasste Erstgutachter hat die Auffassung vertreten, obgleich es keine Standardempfehlung über den bevorzugten Zugangsweg gebe, werde der gewählte transaxilläre Zugang in der Literatur als signifikant komplikationsträchtiger beschrieben. Die Gründe für die Wahl des Zugangs und deren Erörterung mit dem Patienten seien nicht belegt.
Die Gutachterkommission ist in der Folge mit einem Antrag auf ein sogenanntes abschließendes Gutachten befasst worden. Sie hat ergänzend die Behandlungsdokumentationen über die früheren Interventionen beigezogen. Hieraus ergab sich, dass bei diesen Eingriffen jeweils ein Zugang über die Arteria femoralis communis gewählt worden war.
Hinsichtlich der Wahl des axillären anstelle eines femoralen Zugangs gelangte die Gutachterkommission zu der Auffassung, dass die dokumentierte Aufklärung nicht ausreichend war. Zwar finde sich im vorgedruckten Text des Aufklärungsbogens mit dem dort enthaltenen Hinweis auf die verschiedenen Zugangswege eine im Grundsatz ausreichende Aufklärung. Auch stelle die Wahl des Zugangsgefäßes eine weitgehend den Ärztinnen und Ärzten überlassene Entscheidung dar. Möglicherweise hätten morphologische Gründe der rechten Nierenarterie (nach kaudal ausgerichtete Nierenarterie und mit einem leicht in das Aortenlumen ragenden Stent) dafür gesprochen, einen Zugang über den Arm zu wählen, um eine einfachere Sondierungsmöglichkeit der rechten Nierenarterie zu schaffen. Dabei werde der Zugang in aller Regel über die Ellenbeuge (Arteria brachialis) gewählt, weil er komplikationsärmer (Blutung, Nervenschaden) im Vergleich zum axillären Zugang ist. Aufgrund der relevanten unterschiedlichen Risiken bestehe indessen eine spezifische Aufklärungspflicht, die entsprechend gegenüber dem Patienten erfüllt und im Aufklärungsbogen dokumentiert werden sollte.
Hintergrund und Folgerungen
Der juristische Hintergrund ist eingangs bereits skizziert worden. Die Problematik der sogenannten Alternativaufklärung steht im Spannungsfeld zwischen Wahlfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Patienten einerseits und der Therapiefreiheit von Ärztinnen und Ärzten andererseits [1]. Sind mit der Wahl einer Behandlung oder, wie es im Gesetz heißt, einer medizinischen „Maßnahme“ unterschiedliche Chancen und Risiken verbunden, liegt die Wahlfreiheit bei den Patienten, die im Rahmen ihrer Selbstbestimmung entscheiden müssen, auf welchen Weg sie sich einlassen wollen. Dazu bedarf es ausreichender ärztlicher Aufklärung.
Diese Konfliktlagen der Alternativaufklärung sind augenfällig etwa bei der Wahl zwischen Zuwarten (watchful waiting) oder Behandeln in der Krebstherapie, bei der Wahl der Behandlungsart (Operation, Radiotherapie, Chemotherapie), bei der Wahl zwischen konservativer und interventioneller Behandlung von Gefäßerkrankungen, aber auch bei der Wahl einer grundlegenden Operationstechnik (Laparoskopie, Laparotomie). Ganz besondere Anforderungen bestehen, wenn Ärzte anstelle einer Standardmethode ein noch nicht etabliertes Verfahren vorschlagen (vgl. BGH NJW 2006, 2477 – „Robodoc“).
Der vorliegende Fall führt in die Feinheiten der Therapiefreiheit, in den Bereich der Wahl von Operationstechniken. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Wahl der Operationsmethode, das intraoperative Vorgehen, Ärztinnen und Ärzten überlassen ist. Sie müssen und dürfen nach ihren Fähigkeiten entscheiden, wie sie vorgehen möchten, solange sich dieses Vorgehen im Rahmen der lege artis bestehenden Standards bewegt. Einzelheiten verschiedener und im Grundsatz gleichwertiger Operationsmethoden müssen mit den Patienten nicht vorab erörtert werden, zumal die Unterschiede, Vor- und Nachteile im Detail vielfach nur bei entsprechender Fachkunde nachvollzogen und gewürdigt werden können. Dies gilt indessen dann nicht, wenn wiederum unterschiedliche Methoden relevant unterschiedliche Risiken und Chancen mit sich bringen. So wird zum Beispiel im Rahmen der Aufklärung zum intraoperativen „Vorgehen nach Befund“ vielfach über solche Risiken und Chancen zu informieren sein. Gleiches gilt etwa, wenn bei einer Prostatektomie die Schonung der Gefäßnervenstränge sichergestellt oder unterlassen werden soll, mit dem Risiko erektiler Dysfunktion.
Nach diesen Kriterien erscheint die Wahl des Zugangs für eine perkutane transluminale Angioplastie auf den ersten Blick als technisches Detail des Eingriffs. Danach würde der oben wiedergegebene Hinweis im Aufklärungsbogen völlig ausreichend erscheinen. Der zweite Blick ergibt indessen, dass erhebliche Unterschiede bei den mit den verschiedenen Zugangswegen verbundenen Risiken bestehen.
Ein perkutaner transfemoraler Zugang stellt sicherlich den Standardzugang bei der interventionellen Therapie von okklusiven und aneurysmantischen Erkrankungen der Aorta, Becken- und Viszeralarterien dar. Trotzdem bietet ein Zugang über die obere Extremität insbesondere bei schwierigen anatomischen Verhältnissen der Zielgefäße Vorteile. So ist durch den günstigeren Zugangswinkel die Sondierung von Viszeralgefäßen einfacher. Weitere Gründe für einen Zugang über die obere Extremität sind Gefäßrekonstruktionen der Femoralgabel, Hautinfektionen im Leistenbereich sowie Occlusionen der Beckenachse.
In der Regel wird dabei die Arteria brachialis im Bereich der Ellenbeuge punktiert. Grundsätzlich sollte der Zugang über den linken Arm aufgrund der geringeren intrakraniellen Embolisationsgefahr gewählt werden. Dabei weist die Arteria brachialis zumeist eine ausreichende Größe für eine Vielzahl der Interventionen auf, wo mit Schleusengrößen von fünf bis sieben French gearbeitet wird. Sind größere Arbeitskanäle (Schleusengröße von acht French und größer) notwendig, zum Beispiel zur endovaskulären Behandlung von komplexen Aortenaneurysmen, wird ein axillärer Zugang mit Punktion der Arteria axillaris in der Achsel gewählt. Insgesamt ergeben sich somit je nach patientenindividuellen Gegebenheiten begründete Kriterien für den optimalen Zugang für eine perkutane transluminale Angioplastie und Stentimplantation.
Des Weiteren unterscheiden sich die verschiedenen Zugänge durch unterschiedliche Risikoprofile [2, 3, 4]. Für die obere Extremität liegt nach aktueller Studienlage die Komplikationsrate für einen axillären Zugang signifikant höher. Darauf muss im Aufklärungsgespräch hingewiesen werden. Insbesondere dann, wenn wie in diesem Fall der Ellenbeugenzugang die gleiche Chance geboten hätte, die perkutane transluminale Angioplastie erfolgreich durchzuführen.
Nach alledem war es geboten, über die Chancen und Risiken des durch die behandelnden Ärzte gewählten axillären Zugangsweges aufzuklären. Ob dies geschehen ist, ging aus der Dokumentation nicht hervor; der eingangs wiedergegebene Inhalt des Vordruckes genügte jedenfalls nicht. Eine ausreichende mündliche Risikoaufklärung vermochte die Gutachterkommission nicht festzustellen, eine solche wurde im Übrigen auch nicht behauptet.
Dass in der Vergangenheit jeweils ein Zugang über die Arteria femoralis communis gewählt worden war, ist für die besondere Aufklärungspflicht über den Zugangsweg hiernach letztlich nicht entscheidend. Allerdings musste der Patient angesichts der bisherigen Übung erst recht nicht damit rechnen, dass nunmehr anders vorgegangen würde, sodass die an sich schon bestehende Informationspflicht unter diesen Umständen in verstärktem Maße bestand.
Der Gesundheitsschaden liegt im Aneurysma spurium im Bereich der Achsel mit der nötigen Folgebehandlung. Dass das Aneurysma auch bei einem anderen Zugangsweg hätte auftreten können, spielt keine Rolle, wenn der Eingriff selbst in dieser Form mangels einer auf ausreichende Aufklärung gestützten Einwilligung rechtswidrig ist. Die Frage, ob der Patient bei sachgerechter Aufklärung in den gewählten Zugang eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung), muss im schriftlich geführten Verfahren vor der Gutachterkommission offen bleiben. Im Falle eines Rechtsstreits müsste die Behandlerseite eine solche Auffassung in einer mündlichen Verhandlung darlegen und begründen.
Dr. med. Thomas May ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied und Präsident des Oberlandesgerichts a. D., Johannes Riedel ist Vorsitzender der Gutachterkommission Nordrhein.
Literatur
[1] hierzu allgemein Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 4. Aufl. 2020, Kapitel 4, Rdnrn. 111 ff.
[2] Madden NJ et al.; Ann Vasc Surg 2019 April; 56:81-86, Outcomes of brachial access for endovascular interventions
[3] Treitl KM et al.; J Endovasc Ther 2015 Feb; 22(1):63-70, Complications of transbrachial arterial access for peripheral endovascular interventions
[4] Harris E et al.; J Vasc Surg 2018 Aug; 68(2): 555-559, Percutaneous axillary artery access for endovascular interventions