Im Jahr 2004 mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt, ist das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) heute eine etablierte Größe in der ambulanten Versorgungslandschaft. Doch so groß der Erfolg, sosehr polarisiert die Kooperationsform mitunter. Für die Integrität der medizinischen Entscheidung soll dabei der ärztliche Leiter garantieren.
von Thomas Petersdorff
Über die letzten Jahre hinweg haben die Medizinischen Versorgungszentren in Deutschland eine rasante Entwicklung hingelegt. Die Zahlen sprechen für sich: Laut Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (Stand 2019) hat sich die Anzahl der MVZ seit 2010 um 114 Prozent erhöht und liegt bundesweit bei insgesamt 3.539; allein in Nordrhein sind derzeit mehr als 400 dieser Zentren zugelassen. Doch ist die Kooperationsform nicht unumstritten. Anders als die vertragsärztliche Praxis traditionellen Formats kann ein MVZ nämlich durch gleich mehrere am GKV-System teilnehmende Leistungserbringer geführt werden – namentlich durch zugelassene Ärztinnen und Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Absatz 3 SGB V, anerkannte Praxisnetze nach § 87b Absatz 2 Satz 3 SGB V, gemeinnützige Träger, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, oder durch Kommunen. Zwar hat der Gesetzgeber den juristischen Rahmen über die Jahre hinweg mehrfach angepasst. Von Beginn an obligatorisch für jedes MVZ ist aber das Erfordernis einer ärztlichen Leitung.
Keine ärztliche Leitung, kein MVZ
Doch was genau hat es damit auf sich? Zunächst ist die Rolle der ärztlichen Leiterin oder des ärztlichen Leiters eine Ermöglichung: Ohne Benennung einer ärztlichen Leitung darf in Deutschland nach geltender Rechtslage kein MVZ gegründet werden. Das hat seinen Ursprung darin, dass bei einem MVZ betriebswirtschaftliche und medizinische Tätigkeit nicht zwingend aus einer Hand erfolgen. Um also die ärztliche Entscheidung vor sachfremden Einflüssen abzuschirmen, gilt für ein jedes MVZ die Pflicht, eine ärztliche Leitung zu bestimmen. Gemäß § 95 Abs. 1 S. 3 SGB V verlangt der Gesetzgeber ferner, dass ärztliche Leiterinnen und Leiter dabei selbst als angestellte Ärzte oder Vertragsärzte innerhalb des MVZ tätig sein müssen. Hintergrund der Entscheidung ist, dass nur eine ärztliche Leitung, die aktiv in die Organisations- und Versorgungsstrukturen integriert ist, tatsächlich ihren Einfluss vor Ort geltend machen und damit sicherstellen kann, dass die ärztliche Entscheidung in einem MVZ frei von nicht-medizinischen Erwägungen getroffen wird. In dieser Funktion ist die ärztliche Leitung in die Leitung des MVZ eingebunden, ohne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung selbst Teil der Geschäftsführung sein zu müssen.
Aus vertragsärztlicher Perspektive haben ärztliche Leiterinnen und Leiter eine Schlüsselposition inne – nicht zuletzt auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Mit der ärztlichen Steuerung der Betriebsabläufe betraut, tragen die ärztlichen Leiter nämlich die Gesamtverantwortung gegenüber der jeweiligen KV, können somit bei vertragsärztlichen Pflichtverletzungen, die ihnen zugeordnet werden können, auch zur Rechenschaft gezogen werden. Obwohl sie für die fachlich-medizinische Koordination zuständig sind, bedeutet dies andererseits jedoch nicht, dass die ärztliche Leitung automatisch für jede in einem MVZ vorgenommene Behandlungsmethode fachlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Sehr wohl bestehen deren Pflichten aber darin, die Richtigkeit der Abrechnung auf der Sammelerklärung zu unterzeichnen, für die Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten der im MVZ tätigen Ärztinnen und Ärzte zu sorgen und die Einhaltung der Qualitätssicherung sowie das Vorliegen der erforderlichen Genehmigungen im Blick zu behalten. Im Rahmen ihrer Tätigkeit sollte sich die ärztliche Leitung dabei stets an der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der ärztlichen Behandlung und der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Sprechstundenbedarf orientieren; schließlich hat sie die Erfüllung der vertragsärztlichen Pflicht zur Durchführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu berücksichtigen.
Vertragsärztliche Pflichten
Wie die Kolleginnen und Kollegen mit eigener Praxis kann die ärztliche Leitung mithin dort, wo sie nachweislich ihren vertragsärztlichen Pflichten nicht nachkommt, mit disziplinarischen Maßnahmen bedacht werden. Das gilt insbesondere dann, wenn sie ihrer medizinisch-organisatorischen Gesamtverantwortung nicht gerecht wird.
Thomas Petersdorff ist Referent im Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein.