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Mehr Licht und Farbe

25.01.2021 Seite 16
RAE Ausgabe 2/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2021

Seite 16

Für die Patientenzimmer der neuen Privatstation des Städtischen Klinikums in Mönchengladbach setzte das international tätige Architekturbüro HDR, das auch mit einem Team in Düsseldorf vertreten ist, auf Tageslicht und Holz. © HDR/Photo: Joachim Grothus
Gelbe Wände, graue Linoleumböden und ein leicht penetranter chemischer Geruch – das erwartet Patientinnen und Patienten in vielen Krankenhäusern in Deutschland, nicht unbedingt Orte zum Wohlfühlen. Dabei zeigen Studien, dass Einrichtung, Farben und Licht sich positiv auf die Genesung und Erholung von Patientinnen und Patienten auswirken können. Auch das Personal profitiert von einem harmonischen Architekturkonzept. 

von Vassiliki Latrovali


In den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten Krankenhäuser in Nordrhein neue, moderne Gebäude erhalten oder die vorhandenen saniert und renoviert. Dabei ging es größtenteils und vorrangig um mehr Effizienz. Das Helios Universitätsklinikum in Wuppertal schlug einen eigenen Weg ein. Im Rahmen von Renovierungsarbeiten legte man dort gemeinsam mit dem Lehrstuhl der Fakultät Design und Kunst der Bergischen Universität mehrere Studien zum Zusammenhang von Farbe und Gesundheit auf. Im Blick hatte man dabei insbesondere die Intensivmedizin. Die Ergebnisse zeigten, dass auch „weiche“ Umweltfaktoren wie Licht und Farbe eine positive Wirkung auf das Befinden und den Gesundheitszustand von Intensivpatienten haben. Zudem werden das Vertrauen und die Zufriedenheit von Angehörigen sowie die Arbeitsmotivation und Identifikation des Personals gestärkt. In der Folge gestaltete Professor Dr.-Ing. Axel Buether, Farbforscher und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Design und Kunst der Bergischen Universität in Wuppertal, zwischen 2017 und 2018 die Räume der Klinik für Intensivmedizin gemeinsam mit seinem Team und Chefärztin Dr. Gabriele Wöbker, Fachärztin für Anästhesie, Neurologie und Neurochirurgie, um. 

Zusammenspiel von Licht und Farbe

„Eine Veränderung muss nicht teuer sein. Für bessere Lichtverhältnisse haben wir zum Beispiel lediglich die alten Neonleuchten gegen LED-Leuchtmittel ausgetauscht“, erklärt Buether gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. Dadurch habe sich der Farbwiedergabeindex deutlich verbessert. „Dieser zeigt uns, wie realitätsgetreu Farben in bestimmten Lichtverhältnissen erscheinen“, erläutert der Farbforscher. Moderne LED-Leuchten haben einen Index von 90 Prozent und darüber – die Umgebung erscheint viel natürlicher und die Leuchten sparen sogar Energie. Doch nicht nur das Leuchtmittel sei entscheidend, auch auf die sogenannte Farbtemperatur komme es an. Denn die wirke sich direkt auf den Hormonhaushalt aus. Das kühler wirkende Licht rund um die Mittagszeit, auch Tageslichtweiß genannt, lasse den Serotoninspiegel ansteigen. „Es hält uns wach, gibt uns Kraft. Das brauchen Patienten auf der Intensivstation natürlich nicht als Dauerbelastung“, sagt Buether. Letztlich wählten die Farbforscher zwei Farbtemperaturen: wärmer für die Patientenzimmer und die Aufenthaltsräume der Ärzte, Schwestern und Pfleger und kühleres Licht für Flure und andere öffentliche Bereiche.

Im nächsten Schritt widmeten sich die Forscher der Farbgebung an Wänden, Decken und Türen. „In sehr vielen Kliniken sind Decken und Wände in einem – nennen wir ihn mal freundlicherweise sanften – Gelbton gestrichen. Das wird von Patienten und Mitarbeitern jedoch oft als verblichen und vergilbt empfunden. Wir haben uns für einen weicheren Sandton entschieden, der auf den ersten Blick weiß wirkt, aber mehr Haptik und Lebhaftigkeit hat“, erklärt Buether. Die Wände auf den Stationen wurden in unterschiedlichen Farben gestrichen. Hier kam ein Farborientierungssystem zum Einsatz, das es Patienten, Mitarbeitern und Besuchern erleichtern soll, sich zurechtzufinden. Das bis heute futuristisch anmutende Architekturkonzept der Universitätsklinik in Aachen bediente sich bereits Ende der 1970er-Jahre solch einer übersichtlichen Farbkodierung. „Aufgewühlte Angehörige verlieren den Blick für Beschilderungen. Ein Farbcode ist zur Orientierung sehr hilfreich, zumal Gänge verschiedener Stationen und Etagen in Kliniken meist sehr ähnlich aussehen“, erläutert Buether das Konzept. 

Mehr Wohlbefinden, weniger Medikamente

„Die Bewertungen von Patienten und Personal wurden vor und nach der Renovierung sowohl quantitativ mittels Fragebögen als auch qualitativ über Interviews erfasst. Für uns sind die Studienergebnisse ein klares Zeichen dafür, dass mit verhältnismäßig kleinen Maßnahmen eine große Wirkung erzielt werden kann“, erklärt Chefärztin Wöbker. „Diese Veränderungen lassen sich leicht adaptieren.“ Bisher gebe es weltweit nur wenige Studien, die den Einfluss des architektonischen Raums auf das Wohlbefinden und den Gesundheitszustand des Menschen belegten, ergänzt Farbforscher Buether: „Die Forschungslücke gilt für den gesamten Bereich der Gesundheitsbauten.“ Besonders in der Intensivmedizin könne eine unangemessene klinische Umgebung negative Gefühle wie Angst, Panik, Desorientierung, Einsamkeit und Depression verstärken. 
Im Rahmen ihrer Begleitstudie untersuchten Wöbker und ihr Team, ob sich die Licht- und Raumgestaltung auch auf den Medikamentenverbrauch auswirkte. Ihr Fazit: „Der Verbrauch an Medikamenten konnte deutlich gesenkt werden. Besonders bei den Akut-Neuroleptika kam es zu deutlichen Veränderungen. Im Vergleichszeitraum sank der Verbrauch um durchschnittlich 30 Prozent“, sagt die Chefärztin. Die Ergebnisse aus den Befragungen der Patentinnen und Patienten zeigten, dass sich durch das neue Farb- und Lichtkonzept die Raumatmosphäre in den Patientenzimmern signifikant verändert habe – der Gesamteindruck sei freundlicher und wärmer. Die Wahrnehmung der Gestaltungsfaktoren stieg um durchschnittlich 32 Prozent. Die größte Steigerung zeigte sich bei der Bewertung der Farbgestaltung (63 Prozent), dicht gefolgt vom Gefühl der Privatsphäre, dass sich um 55 Prozent verbesserte.

In einem weiteren Schwerpunkt untersuchte die Begleitstudie zur Renovierung die Auswirkungen von Farbe und Licht auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit des medizinischen und pflegerischen Fachpersonals. Dabei betrachteten die Forscher nicht nur die Intensivmedizin, sondern das gesamte Gebäude. Beim Personal fand die geänderte Farbgestaltung den größten Anklang. Hier stiegen die Zufriedenheitswerte um knapp 76 Prozent, gefolgt von der spürbaren Verbesserung der Kunstlichtqualität um 54 Prozent. Auch die allgemeine Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhte sich um zwölf Prozent. Auffällig ist nach Ansicht von Buether vor allem, dass die Farbgestaltung den Krankenstand beim Pflegepersonal um rund 35 Prozent senken konnte. Zudem identifizierten sich die Mitarbeiter deutlich stärker mit ihrem Arbeitsplatz – hier wurde eine Steigerung von fast 30 Prozent erreicht. „Wenn wir die Zufriedenheit des Personals in Schulnoten ausdrücken, hat sich die anfängliche Note vier zu einer zwei gewandelt. Diese Veränderung ist ein enormer Erfolg. Die bessere Arbeitsatmosphäre führt eben auch dazu, dass sich Mitarbeiter mehr wertgeschätzt fühlen“, sagt Buether.

Warum sehen wir alles bunt?

„Farben sind immer dort zu finden, wo viele Lebewesen aufeinandertreffen. In der Natur dienen sie in erster Linie der Orientierung. Sie zeigen beispielsweise, welche Nahrung genießbar ist und welche nicht“, sagt Farbforscher Professor Dr.-Ing. Axel Buether. Auch das Attribut der Tarnung könne aus der Natur auf Krankenhäuser und Kliniken übertragen werden. „Man kann Türen, die für Patienten wichtig sind, hervorheben, und solche, die nur das Personal betreffen, durch Farbe hintergründig wirken lassen.“ Die Macht der Farben zeigt sich laut Buether an den Reaktionen von Mensch und Tier: „Lebewesen werden von leuchtenden Farben angezogen, das wird bei Insekten und Blumen sehr deutlich. Deshalb ist es auch entscheidend, wie ein Krankenhaus bereits von außen wirkt. Zu viele kalte Weiß- und Grautöne lösen schnell Unbehagen aus.“

Neue Wege wagen

Professor Dr. rer. nat. Tanja C. Vollmer, Architekturpsychologin und Forscherin an der Technischen Universität München, und die Architektin Gemma Kappen arbeiten bereits seit vielen Jahren daran, eine holistische und an die Bedürfnisse der Patienten und Mitarbeiter angepasste Architektur im Gesundheitswesen zu etablieren. Dass dies in Deutschland langsamer anläuft als in anderen Ländern, liegt nach Ansicht der beiden an drei Faktoren: Zum einen gebe es eine berechtigte Forschungsskepsis. Auch das Konzept der „heilenden Architektur“ basiere auf wissenschaftlicher Designforschung, die bislang jedoch nur sehr marginal ausgeprägt sei.  Da sei es schwierig, Entwurfsentscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Befunde zu treffen, räumt Vollmer ein. Beim zweiten Faktor, so die Gründerinnen des Architekturbüros Kopvol, handle es sich um eine unberechtigte Innovationsbremse, die besonders von Krankenhaus- und Klinikbetreibern ausgehe. „Wenn keiner mutig genug ist, etwas zu wagen und neue Wege zu gehen, kann auch nicht evaluiert und geforscht werden“, sagt Vollmer. Der dritte Faktor sei, dass hierzulande die Architekturpsychologie noch in den Kinderschuhen stecke.

Vollmer und Koppen wenden für ihre Projekte die sogenannten Qualitativen Raumkonzepte an. Dabei beginnt die Bauentwicklung für ein Krankenhaus gemeinsam mit medizinischem, pflegerischem und geschäftsführendem Personal. „Den meisten Menschen ist nicht bewusst, welchen Einfluss Räume auf das Wohlbefinden haben können. Das lässt sich ganz gut mit dem Fisch im Wasser vergleichen. Der schwimmt tagtäglich einfach darin herum, ohne Wasser würde er nicht überleben. Gesunde Menschen akzeptieren ihre Umgebung einfach, sind blinder gegenüber Makeln und Mängeln“, sagt Koppen. Für die Architektin ist es deshalb wichtig, auch die Perspektive von Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen und bei der Planung mit zu integrieren. „Es geht hierbei nicht um Menschen, die ein oder zwei Tage im Krankenhaus bleiben, sondern um die, die unter chronischen und unheilbaren Krankheiten leiden.“ Die gleiche Zuwendung, die sich die Erkrankten von den Menschen wünschten, wünschten sie sich auch vom Gebäude, so Koppen. Dabei spiele Identifikation eine große Rolle: „Architektur kann es schaffen, dass Patienten sich gehört und gesehen fühlen.“

Insbesondere schwerstkranke Patienten hätten eine veränderte Wahrnehmung, erklärt Architekturpsychologin Vollmer. „Man spricht auch von Raumathropodysmorphie. Das bedeutet, dass sich mit der Veränderung des Körpers auch das Erleben der Umgebung verändert. Unsere Untersuchungen zeigen, dass besonders Krebserkrankte Räume als dunkler, enger und überfüllter erleben als ihre gesunden Partner“, so Vollmer. Bei der Raumgestaltung werde dann auf eine „Entstressung“ geachtet – mehr Platz, mehr Helligkeit. „In den vergangenen zehn Jahren stellen wir in unserer Forschung immer wieder fest, dass nicht nur andere Menschen unglaublich wichtige Beziehungspartner sind, sondern auch die Räume, in denen wir uns bewegen und agieren“, so die Kopvol-Gründerinnen. Wichtig sei, dass es ein Gesamtkonzept gebe, welches alle Faktoren berücksichtige.

Dazu gehöre, dass man neben den Patientinnen und Patienten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern in den Blick nehme. „Ärztinnen, Ärzte und Pflegende geben ihr Menschsein nicht an der Krankenhaustür ab. Sie haben dieselben Bedürfnisse wie jeder andere auch. Auch sie wollen sich mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren, einen Rückzugsort haben. Die Architektur heute vermittelt vielen von ihnen: Hier geht es nur um die Bekämpfung von Krankheiten“, sagt Vollmer. Die Architekturpsychologie wolle erreichen, dass medizinisches Fachpersonal sich als gesundheitsstärkend und -erhaltend wahrnimmt. „Auch die Räume des Personals sollen positive Gefühle vermitteln. In einer Klinik in Freiburg, in der wir die Architekturkonzepte entworfen haben, grenzen die Arztzimmer an die Aufenthaltsräume der Pfleger und Schwestern, es gibt einen Außenbereich für alle. Das Feedback zeigt uns, dass dadurch die Kommunikation und Interaktion der unterschiedlichen Berufsgruppen gestärkt werden.“

Überholt sind den Architektinnen zufolge auch Besprechungszimmer ohne Fenster. „Das beeinträchtigt die Arzt-Patienten-Bindung, wirkt auf beide beklemmend und einengend“, sagt Vollmer. „Ähnlich verhält es sich auch bei Zwei- oder Mehrbettzimmern. Das ist eigentlich ein absoluter Verstoß gegen das zentrale Lebensbedürfnis, das wir als Menschen haben, nämlich unseren privaten Raum zu kreieren. Man liegt quasi mit nackter Seele neben fremden Menschen.“

Für die Kliniken der Zukunft ist es nach Ansicht von Vollmer und Koppen unabdingbar, bereits in sehr frühen Planungsphasen das medizinische Fachpersonal mit ins Boot zu holen: „Ohne Kommunikation zwischen Architekten und Nutzern kann nicht der richtige Raum geschaffen werden.“