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Die Weichen für mehr Organspenden sind gestellt

25.01.2021 Seite 12
RAE Ausgabe 2/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2021

Seite 12

© DSO/Andreas Steeger
Bei den Organspenden gehört Deutschland seit Jahren zu den Schlusslichtern in Europa. Während hierzulande 11,2 Spender auf eine Million Einwohner kommen, sind es beim Spitzenreiter Spanien 48,9. Verbesserte Abläufe in den Entnahmekrankenhäusern und die regelmäßige Aufforderung an die Bevölkerung, sich mit dem Thema zu befassen, sollen die Wende bringen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür wurden 2019 und 2020 geschaffen. Transplantationsexperten zeigen sich nach knapp zwei Jahren optimistisch. Der Rahmen sei gesetzt, jetzt müsse man etwas daraus machen. 

von Heike Korzilius

Es ist noch dunkel, als Franziska an einem Januarmorgen im Süden von Berlin das Haus verlässt. Die 14-Jährige ist auf dem Weg zur Schule, als sie von einem Auto erfasst wird. „Wir waren noch zu Hause, als die Polizei kam“, erinnert sich Franziskas Vater, Roland Ilzhöfer, an den 17. Januar vor acht Jahren. Er und seine Frau Dorit, eine Kinderärztin, machen sich sofort auf den Weg ins Klinikum Neukölln, wo Franziska zu diesem Zeitpunkt noch operiert wird. Doch schnell ist klar, die Kopfverletzungen, die die Schülerin bei dem Unfall davongetragen hat, sind so schwer, dass man sie nicht retten kann. Die Ilzhöfers entscheiden sich dafür, die Organe des gesunden, sportlichen Mädchens zu spenden.

Organspende: ja oder nein? Angesichts des Todes eines geliebten Menschen ist diese Frage eine Herausforderung, vielleicht sogar eine Zumutung für Angehörige, aber auch für Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte in den sogenannten Entnahmekrankenhäusern. Doch sie muss gestellt werden. Denn, von Kindern ganz absehen, haben Studien zufolge auch nur etwa zehn Prozent der erwachsenen Patientinnen und Patienten, die aufgrund eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls für eine Organspende infrage kommen, ihre Einwilligung dazu schriftlich dokumentiert. In den meisten Fällen müssen deshalb die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen nach dessen mündlichem oder mutmaßlichem Willen entscheiden.

„Die Verantwortlichen in der Klinik haben das Thema Organspende sehr sachlich und angemessen angesprochen“, erinnert sich Roland Ilzhöfer. „Wobei man dazu sagen muss, dass meine Frau und ich uns schon vorher mit dem Thema beschäftigt hatten – allerdings immer mit Blick auf uns beide, nicht bezogen auf eines unserer Kinder.“ Er selbst besitze schon seit Anfang der 1990er-Jahre einen Organspendeausweis. Dazu kommt eine gewisse Nähe zu medizin-ethischen und gesundheitspolitischen Themen. Ilzhöfer ist Abteilungsleiter bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin. 
 

„Die Verantwortlichen in der Klinik haben das Thema Organspende sehr sachlich und angemessen angesprochen“, erinnert sich Roland Ilzhöfer. „Wobei man dazu sagen muss, dass meine Frau und ich uns schon vorher mit dem Thema beschäftigt hatten – allerdings immer mit Blick auf uns beide, nicht bezogen auf eines unserer Kinder.“ Er selbst besitze schon seit Anfang der 1990er-Jahre einen Organspendeausweis. Dazu kommt eine gewisse Nähe zu medizin-ethischen und gesundheitspolitischen Themen. Ilzhöfer ist Abteilungsleiter bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin.

Den Umgang mit den Angehörigen im Krankenhaus in Neukölln habe er als durchweg positiv empfunden, sagt Ilzhöfer. Das lag vor allem am Engagement zweier Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Klinik hinzugezogen habe, als klar war, dass Franziska als Organspenderin infrage kommt. Ein Arzt der DSO sei in die Hirntoddiagnostik und die Vorbereitungen für die Organentnahme eingebunden gewesen. Denn Franziska wird von Donnerstag, dem Tag des Unfalls, noch bis zum Sonntag, dem Tag der Organentnahme, auf der Intensivstation beatmet und organerhaltend versorgt. „Die Angehörigenbetreuerin der DSO hat sich in dieser Zeit um meine Frau und mich gekümmert. Wichtig war vor allem, dass sie unermüdlich auf sämtliche unserer Fragen eingegangen ist“, erinnert sich Ilzhöfer. Was genau passiert vor der Organentnahme? Was passiert im OP? Wie geht es nach der Organentnahme weiter? „Die Betreuerin der DSO war gefühlt Tag und Nacht für uns da.“ Tage und Nächte, in denen die Eltern entgegen aller Vernunft und Gewissheit immer noch hoffen, dass Franziska wieder aufwacht, obwohl das EEG eine Nulllinie zeichnet.

Die Ilzhöfers haben an der Entscheidung für die Organspende nie gezweifelt. „Zumindest einige Organe von Franziska leben weiter. Das ist schon ein tröstlicher Gedanke“, sagt der Vater. Einmal habe die Familie einen Dankesbrief von einem Patienten erhalten, dem ein Organ der Tochter transplantiert wurde – anonym über die DSO. „Es war schön zu hören, dass die Spende tatsächlich etwas bewirkt hat“, meint Ilzhöfer. 
Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge, haben über 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine positive Haltung zur Organspende. Dennoch gehört die Bundesrepublik mit 11,2 Spendern je eine Million Einwohner zu den Schlusslichtern in Europa (siehe Kasten „Fakten zur Organspende“ auf Seite 15). Spitzenreiter Spanien kommt auf 48,9 Spender je eine Million Einwohner. Warum das so ist und wie man in Deutschland die Spenderzahlen steigern kann, ist auch unter Experten umstritten. 
 

Es bleibt bei der Zustimmungslösung

Viele Ärzte, Transplantationsexperten und Politiker quer durch die Parteien haben sich in der Vergangenheit für eine sogenannte Widerspruchslösung ausgesprochen, wie sie beispielsweise in Spanien gilt. Das heißt, dass jeder, der nicht zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat, automatisch als Spender gilt. Durchsetzen konnten sich die Befürworter nicht. Im Januar 2020 hat sich der Deutsche Bundestag gegen die Widerspruchslösung und für eine erweiterte Zustimmungsregelung entschieden. Es bleibt in Deutschland dabei, dass Menschen einer Organentnahme ausdrücklich zustimmen müssen. Das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft, das 2022 in Kraft tritt, sieht jedoch vor, die Öffentlichkeit verstärkt über Organspende aufzuklären und die Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern. Künftig soll jeder Bürger, wenn er alle zehn Jahre einen Reisepass oder einen Personalausweis beantragt, auf das Thema angesprochen werden und seinen Willen niedrigschwellig in einem zentralen Online-Register hinterlegen können.

Nach Einschätzung der DSO hätte die Einführung der Widerspruchslösung die Entscheidungsbereitschaft für oder gegen eine Organspende in der Bevölkerung sehr viel stärker fördern können. „Diesen Perspektivwechsel hätten wir uns im Sinne der Patienten auf den Wartelisten sehr gewünscht“, sagt deren Medizinischer Vorstand Dr. Axel Rahmel gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. 2020 standen den rund 10.000 Patientinnen und Patienten, die dringend auf ein Spenderorgan warteten, 913 Spender gegenüber.

Entscheidender als die Einführung der Widerspruchslösung zur Steigerung der Spenderzahlen ist es aus Sicht der Experten jedoch, die Abläufe zur Spendererkennung, die Betreuung der Angehörigen und den finanziellen Rahmen für die Organentnahmen zu optimieren. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Strukturen bei der Organspende (GZSO) hat der Gesetzgeber dafür im April 2019 die Weichen gestellt. Es bildet aus Sicht der DSO die „zunächst wichtigste Voraussetzung für mehr Transplantationen in Deutschland“.

Erstmals gibt das Gesetz der Angehörigenbetreuung durch die DSO, die für das Elternpaar Ilzhöfer so entscheidend war, einen verbindlichen Rahmen. Von besonderer Bedeutung für die Förderung der Organspende sei auch die gesetzlich festgelegte Freistellung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken, sagt DSO-Vorstand Rahmel. Deren Aufgabe ist es, mögliche Organspender zu erkennen, klinikinterne Richtlinien für den Ablauf einer Organspende zu erarbeiten und die Kolleginnen und Kollegen im eigenen Haus fortzubilden. „Eine Umfrage unter 400 Transplantationsbeauftragten auf dem DSO-Jahreskongress im vergangenen November ergab jedoch Hinweise darauf, dass hier in der Praxis noch Verbesserungsbedarf besteht“, räumt Rahmel ein. Denn diese stichprobenartige Umfrage habe gezeigt, dass die Freistellung bisher wohl nur in wenigen Kliniken im vollen Umfang umgesetzt wurde. Ob die Klinikleitungen hierbei stärker in die Pflicht genommen werden sollten oder ob zunächst das Problem des Pflege- und Ärztemangels zu lösen wäre, um die Entlastung überhaupt erst zu ermöglichen, sei eine Frage, die die DSO in den kommenden Monaten noch beschäftigen werde. 

Gesetzlich vorgesehen ist eine Freistellung von 0,1 Stellen je zehn Intensivbetten. Die Kliniken erhalten dafür 13.000 Euro je 0,1 Stellen erstattet. Auch die Aufwandserstattung für die Organentnahme hat sich deutlich erhöht. Wurden für die Mehrorganentnahme im Jahr 2019 noch pauschal 5.310 Euro gezahlt, können die Krankenhäuser der DSO zufolge von 2020 an je nach Aufwand im Maximalfall mit einer Vergütung in Höhe von 20.376 Euro rechnen. 

Ein wichtiges Instrument zur Spendererkennung und damit zur Steigerung der Organspendezahlen ist nach Ansicht von DSO-Vorstand Rahmel die im Gesetz vorgeschriebene Todesfallanalyse. Demnach sind alle Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, sämtliche Todesfälle mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung zu erfassen und die Gründe zu ermitteln, die eine Organspende verhindert haben. „Eine erste Auswertung der bisher erstmals bundesweit eingegangenen pseudonymisierten Daten an die DSO zeigt, dass bei einer ganzen Reihe dieser Todesfälle vor einer Therapielimitierung nicht die Möglichkeit einer Organspende mit den Angehörigen besprochen wurde und bei anderen die Diagnostik zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nicht durchgeführt wurde, obwohl sie angezeigt gewesen wäre“, sagt Rahmel. „Das heißt, wir bekommen durch diese Daten eine genauere Erkenntnis darüber, in wie vielen Fällen der Möglichkeit einer Organspende hätte nachgegangen werden sollen und der Gründe, warum dies nicht geschehen ist.“ Sören Melsa, DSO-Koordinator für die Region Mitte, hatte beim DSO-Kongress im November ausgeführt, eine Analyse der Daten lege nahe, dass man die Zahl der Organspenden potenziell hätte verdoppeln können.
Inwieweit sich die vor zwei Jahren auf den Weg gebrachten strukturellen Veränderungen bereits positiv auf die Entwicklung der Organspenderzahlen auswirken, lässt sich für das Pandemie-Jahr 2020 kaum verlässlich sagen. Der DSO zufolge nahm vor allem im Januar und Februar im Vergleich zu den Vorjahresmonaten die Zahl der Organspenden deutlich zu. Bis in den Herbst hinein lagen die Zahlen dann in etwa auf dem Niveau von 2019. Dabei stand Deutschland deutlich besser da als einige andere europäische Länder. Dort führte die Corona-Krise der DSO zufolge zeitweise zu eklatanten zweistelligen Einbrüchen bei der Organspende. 

 „In Deutschland war dies nicht der Fall – vor allem dank der großen Bereitschaft der Ärzte und Pflegenden in den Kliniken, auch weiterhin an die Organspende zu denken und den vielfältigen politischen Maßnahmen, um die Kliniken in dieser Zeit zu unterstützen und zu entlasten“, meint DSO-Vorstand Rahmel. Zum Ende des Jahres 2020 habe man das Spendenniveau der Vormonate allerdings nicht mehr halten können. „Wir vermuten, dass die vergleichsweise niedrigen Ergebnisse im November und Dezember vor allem mit der verschärften Situation in den Kliniken zusammenhängen“, sagt der Arzt. Hohe Infektionszahlen mit COVID-19 hätten nun auch hier ihre Auswirkungen. Insgesamt seien 2020 bundesweit 913 Organspenden durchgeführt worden, 19 weniger als 2019. 

Dennoch sei das Engagement in den Kliniken groß. Einen zuverlässigen Hinweis darauf lieferten die Zahlen der organspendebezogenen Kontakte zur DSO.  Die Zahl der Fälle, in denen Kliniken sich an die DSO gewendet hätten, um über eine mögliche Organspende zu sprechen, habe sich im Jahr 2020 mit 3.099 erneut erhöht. 2019 habe es 3.023 Kontakte gegeben. „Das ist gerade auch vor dem Hintergrund der Pandemie eine sehr erfreuliche Entwicklung“, meint Rahmel. Die DSO hoffe jetzt auf eine baldige Entspannung der Lage auf den Intensivstationen. „Und wir appellieren an die Ärzte und Pflegenden, die sich als Transplantationsbeauftragte für die Organspende einsetzen, dass sie trotz der angespannten Situation die Patienten auf den Wartelisten für ein Spenderorgan nicht aus dem Blick verlieren“, sagt Rahmel. 

Einer dieser Transplantationsbeauftragten ist Dr. Gero Frings, Chefarzt der Anästhesiologischen Klinik am St. Bernhard Hospital in Kamp-Lintfort. Das Krankenhaus am Niederrhein verfügt über 356 Betten, davon 14 auf der Intensivstation. Es ist ein sogenanntes C-Krankenhaus ohne Neurologie oder Neurochirurgie und eines von insgesamt 304 Entnahmekrankenhäusern in Nordrhein-Westfalen (NRW). Mit zehn Organspendern je eine Million Einwohner liegt das Land noch unter dem Bundesdurchschnitt. 179 postmortale Organspender zählte man hier im Jahr 2019.
 

Einmal im Jahr kommt es zur Spende

Es sind vor allem Patientinnen und Patienten mit sekundären Hirnschädigungen zum Beispiel nach Hirnblutungen oder Schlaganfällen, die am St. Bernhard Hospital als potenzielle Organspender infrage kommen, berichtet Frings, der zugleich Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer ist. „Meine Hauptaufgabe als Transplantationsbeauftragter ist, dafür zu sorgen, dass die Spendererkennung möglichst reibungslos abläuft“, erklärt der Intensivmediziner. Das sei gerade an einem Krankenhaus wie dem St. Bernhard Hospital wichtig. In einem Haus dieser Größenordnung komme es im Durchschnitt einmal alle ein bis eineinhalb Jahre vor, dass es zu einer Mehrfachorganentnahme komme. Für derart seltene Ereignisse könne man kein eigenständiges System zur Spendererkennung etablieren. „Bei uns sind die strukturellen Anforderungen der Spendererkennung deshalb in das tägliche Visitenwesen eingebunden“, sagt Frings. Jeweils morgens und abends werde der Zustand der Patienten auf der Intensivstation gemeinsam mit der Pflege gründlich besprochen. Dabei gehe es natürlich zuallererst darum, für die Patienten das Möglichste zu tun. Zugleich müsse gewährleistet sein, dass neue neurologische Auffälligkeiten erkannt würden, die möglicherweise in Richtung Organspende weisen. „Wenn wir die traurige Gewissheit haben, dass wir für einen Patienten nichts mehr tun können, greifen die Rädchen“, erklärt Frings. 

Das Thema im Haus wach halten

Damit dies im Ernstfall funktioniert, hält der Transplantationsbeauftragte das Thema am Haus wach. Er gibt regelmäßig schriftliche Informationen heraus, bildet die ärztlichen und pflegenden Kolleginnen und Kollegen fort und sucht den Kontakt zu den anderen Abteilungen wie zum Beispiel zur Kardiologie. „Die Kollegen dürfen kein Problem damit haben, mich anzusprechen“, schildert er sein Selbstverständnis. „Ich muss Vertrauen schaffen und dafür im Team werben – und zwar ganzjährig in der alltäglichen Zusammenarbeit.“ Frings ist auch für die frühzeitige Kontaktaufnahme zur DSO verantwortlich, wenn es darum geht abzuklären, ob ein Patient als Spender infrage kommt oder die Abläufe der Hirntoddiagnostik und der Organentnahme zu koordinieren.

Der Intensivmediziner war lange Jahre als Oberarzt an der Klinik für Anästhesie des Klinikums Duisburg-Wedau tätig, einem Maximalversorger. Seine klinische Erfahrung in der Neuroanästhesie dort qualifiziert ihn zur Durchführung der Hirntoddiagnostik. Da der irreversible Hirnfunktionsausfall jedoch unabhängig von zwei qualifizierten Ärzten bestätigt werden muss, muss man zur Diagnostik auch in Kamp-Lintfort neurologische Kompetenz von außen hinzuziehen. Vor diesem Hintergrund verspricht sich Frings viel von der gesetzlich vorgesehenen Einführung eines neurologischen Rufbereitschaftsdienstes, der voraussichtlich ab 2022 zur Verfügung stehen wird. „Der Konsiliardienst hat eine zentrale Bedeutung für die Organspende in ganz Deutschland, weil wir dann zum ersten Mal zeitnah eine zuverlässige Diagnostik von höchstem Wert gewährleisten können“, sagt er. „Dann haben auch die Angehörigen zum frühestmöglichen Zeitpunkt Gewissheit über die Prognose des Patienten und wir haben eine verlässliche Basis für weitere Gespräche.“

Auch Frings hat die Erfahrung gemacht, dass bei Entscheidungen für oder gegen eine Organspende der Wille des Verstorbenen meist über die Angehörigen ermittelt werden muss. „Grundsätzlich ist der Zeitpunkt für ein Gespräch dann gekommen, wenn wir die Gewissheit haben, dass wir nichts mehr für den Patienten tun können“, sagt der Arzt. In eindeutigen Fällen könne man das Thema auch schon einmal vor der eigentlichen Hirntoddiagnostik ansprechen. Außerdem biete man immer frühzeitig an, Mitarbeiter der DSO zu den Gesprächen hinzuzuziehen. Diese seien nicht in die Arbeitsabläufe der Klinik eingebunden und könnten sich entsprechend Zeit für die Angehörigen nehmen.

Manche Familien sprächen die Möglichkeit einer Organspende selbst an. „Es gibt aber auch Angehörige, die das nicht gut verkraften“, sagt Frings. Die müsse man ganz sanft in diese Richtung führen. Er selbst steige in das Thema häufig über die Frage nach einer Patientenverfügung ein. „Ich frage zum Beispiel, ob der Patient einen Willen über seinen Tod hinaus geäußert hat“, meint der erfahrene Intensivmediziner. In diesem Zusammenhang ist ihm eines wichtig: Wer zu Lebzeiten eine Organspende befürworte, solle in seiner Patientenverfügung einen „Zaubersatz“ einfügen: „Für den Fall, dass ich Organspender sein könnte, erlaube ich zu diesem Zweck organerhaltende intensivmedizinische Maßnahmen.“ Denn die meisten Patientenverfügungen richteten sich gegen ein Zuviel an Intensivmedizin.

Was die weitere Entwicklung der Organspende in Deutschland betrifft, ist Frings angesichts der jüngsten Gesetzgebung vorsichtig optimistisch. „Die hat tatsächlich so etwas wie frischen Wind gebracht. Jetzt müssen wir etwas draus machen“, sagt er. 

Eine gute Werbung für die Organspende ist, wenn Angehörige sich in dem Prozess gut aufgehoben fühlen und darüber, wie Familie Ilzhöfer, auch berichten. „Wir haben uns unter anderem wegen eines konkreten Falles entschieden, unsere Geschichte zu erzählen“, sagt Roland Ilzhöfer. Vor Jahren sei der Sohn eines Bekannten bei einem Urlaub im Ausland ums Leben gekommen. Da der junge Mann seine Einstellung zur Organspende nirgendwo dokumentiert hatte, galt er dort automatisch als Spender, seine Organe wurden ohne Zustimmung der Familie explantiert. „Von diesem Trauma hat sich der Vater des jungen Mannes nie erholt und er wird nicht müde, das zu beklagen.“

Fakten zur Organspende

Nach einem historischen Tiefstand 2017 mit 797 Organspendern verzeichnete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) im Pandemie-Jahr 2020 bundesweit 913 Spender. Das waren knapp zwei Prozent weniger als 2019 mit 932 Spendern. In Nordrhein-Westfalen (NRW) gab es im selben Jahr 179 Spender. Im Durchschnitt werden bei den Spendern 3,2 Organe explantiert. 8.995 Patientinnen und Patienten warteten 2019 in Deutschland auf ein passendes Spenderorgan. 
Bundesweit stehen rund 1.238 Krankenhäuser für eine Organentnahme zur Verfügung, in NRW sind es 304. 46 Kliniken sind als Transplantationszentren zugelassen, 9 davon in NRW. 
Mit dem Ziel, die Zahlen der Organspender zu steigern, verabschiedete der Deutsche Bundestag im April 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende. Zu den wichtigsten Inhalten gehört die Analyse der Todesfälle in den Entnahmekrankenhäusern, um die Spendererkennung zu verbessern, die Stärkung der Transplantationsbeauftragten durch Freistellung sowie die gesetzliche Verankerung der Angehörigenbetreuung bei der der DSO.