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Der Wert des Wissens in Zeiten der Pandemie

21.01.2021 Seite 28
RAE Ausgabe 2/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 2/2021

Seite 28

Das Duo Röser und Bönsch kam beim 23. Euskirchener Gespräch online zu den Zuschauern. Referent Bernhard Pörksen schaltete sich aus Tübingen zu. © Ulrike Schaeben
Ein winzig kleiner, unsichtbarer Feind in Proteinhülle bedroht die Gesundheit und die wirtschaftliche Existenz von Menschen rund um den Globus. Das neuartige Coronavirus dominiert seit fast einem Jahr den Alltag und die Nachrichtenlage. Epidemiologen und Grundlagenforscher gelangen zu ungekannter Medienpräsenz, Wissenschaftler und Politiker versuchen, Antworten auf Fragen zu geben, für die es noch keine Gewissheit gibt.
 

von Ulrike Schaeben

Das Coronavirus hat auch die Fortbildungslandschaft in Nordrhein verändert: So fand das 23. Euskirchener Gespräch zum hochaktuellen Thema von Meinungsbildung und Wissensgewinn in Zeiten der Pandemie als Online-Symposium statt und fesselte knapp 200 Zuschauer zwei Stunden lang an die Bildschirme. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und bekannt durch seine Arbeiten zur Skandalforschung, nahm in seinem Vortrag unter die Lupe, wie Wissenschaft und Gesellschaft auf eine Gesundheitskrise ungeahnten Ausmaßes reagieren. In einer solchen Situation werde der Wert praktischen Wissens in neuer Weise erlebbar, so die These des Medienwissenschaftlers. Auf Faktenorientierung in Kombination mit konkreter Problemlösung komme es nun an. Gerade erst veröffentlichte Forschungsergebnisse zum Beispiel zu Ansteckungswegen, Therapiemöglichkeiten oder Mortalitätsraten würden öffentlich und häufig kontrovers diskutiert, Handlungskonzepte zur Eindämmung der Pandemie würden daraus abgeleitet. Man frage sich jetzt: „Was funktioniert, was nicht? Wie beschleunigt man die Suche nach einem Impfstoff? Wie steigert man die Testkapazitäten? Wie baut man in Hochgeschwindigkeit ein Krankenhaus? Wie hält man Lieferketten stabil?“ 

Pörksen beobachtet in Zeiten der Pandemie nicht nur eine Neuordnung des Wissens, sondern auch eine Rückkehr zum Realitätsprinzip, das die Vertreter des „postfaktischen Zeitalters“ nach seiner Ansicht schon verloren glaubten. Deutlich werde, dass falsche Theorien über die Gefahren des Virus im Extremfall tödlich enden könnten. Zwar hätten gerade in diesen unsicheren Zeiten Verschwörungstheorien einen hohen Replikationsfaktor, doch das Meinen und Behaupten finde nun unter anderen Überprüfungsbedingungen statt: Es ereigne sich vor dem Horizont gigantischer Forschungsanstrengungen und direkt erlebbarer Erfolge und Misserfolge in der Pandemiebekämpfung.

„Regierungseffizienz und Regierungsversagen, die Qualität des Krisenmanagements und die Effektivität der ergriffenen Maßnahmen lassen sich unter den Bedingungen der Pandemie ganz unmittelbar vergleichen – und zwar auf der Weltbühne der Zivilisation und in globalem Maßstab. Und man erkennt jetzt die Selbstdemontage der Leugner und Fake-News-Produzenten“, führte Pörksen aus.

Die Macht von Stimmungen

Der Medienwissenschaftler schloss seinen Vortrag mit der Prognose, dass die Gesellschaft eine sich verschärfende Polarisierung und eine immer deutlichere Zweiteilung der Medien und Diskurswelten erleben werde – auf der einen Seite ein Denkstil, der sich dem kritischen Rationalismus verpflichtet fühlt, auf der anderen Seite ein populistischer Illusionismus. Um angesichts dieser kommunikativen „Klimakrise“ zu einem funktionierenden Dialog in Gesellschaft und Politik zurückkehren zu können, rät Pörksen zu einem neuen Kommunikationsstil der „respektvollen Konfrontation“, die er und sein Kollege Friedmann Schulz von Thun auch in ihrem Buch „Über die Kunst des Miteinander Redens“ ausführen: „Sich nicht wegducken, sagen, was zu sagen ist, nicht opportunistisch ausweichen, aber auch nicht in die Abwertungsspirale einsteigen.“

Aus neurobiologischer Sicht sprach anschließend Professor Dr. Christian Elger, Ärztlicher Leiter Neurologie und Kompetenzzentrum Epilepsie der Beta Klinik und emeritierter Ordinarius für Epileptologie der Universitätsklinik Bonn. Er beleuchtete die Interaktion von Emotion und Kognition und erklärte anhand von Erkenntnissen der Hirnforschung, wie Stimmungen das Gedächtnis und die Wahrnehmung von Menschen und Situationen beeinflussen. Wissenschaftliche Experimente bewiesen eindrucksvoll die Macht des „Primings“ auf menschliche Entscheidungen: Ein vorgeschalteter, unbewusst wahrgenommener Reiz führe zu einer impliziten Gedächtnisbildung und könne eine nachfolgende Handlung entscheidend bestimmen. Das sei ein völlig unterschätzter Effekt in der zwischenmenschlichen Interaktion und könne leicht zur Manipulation missbraucht werden, sagte Elger. 
Der Hirnforscher schlug einen Bogen zu den Medien in einer global vernetzten Welt, die durch das Coronavirus nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht verwundbarer erscheine denn je: Wenn unbewusste Informationen über die Medien verbreitet würden, ergebe sich weltweit ein enormes Beeinflussungspotenzial. Die Pressefreiheit und die Stärkung seriöser Informationsquellen gerade im Gesundheitsbereich erschienen in Pandemiezeiten umso mehr als kostbares Gut, das es zu schützen und bewahren gelte. 

Dr. phil. Ulrike Schaeben ist Referentin für die Koordination der Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein