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Spezial

Für globale Gesundheit

25.11.2021 Seite 20
RAE Ausgabe 12/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2021

Seite 20

  • Wenn wir nicht handeln, geht unserer Erde die Luft aus, darin sind sich Expertinnen und Experten einig. Der 125. Deutsche Ärztetag in Berlin widmete sich am 2. November dem Thema „Klimawandel und Gesundheit“. Dabei setzte die Ärzteschaft ein deutliches Zeichen für den Klimaschutz und die globale Gesundheit. © Victor Moussa/stock.adobe.com
  • Melissa Camara-Romero, Vorsitzende des Ausschusses Junge Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammer Nordrhein, schilderte ihre Erlebnisse mit der Flut im Juli dieses Jahres. Der kleine Fluss Inde bei Eschweiler (r.) wurde zum reißenden Strom und zerstörte unter anderem große Teile des Sankt Augustin Hospitals, an dem Camara-Romero tätig ist. © Stadt Eschweiler
Der zweite Tag des 125. Deutschen Ärztetages stand ganz im Zeichen von „Klimawandel und Gesundheit“.  Die 250 Abgeordneten verabschiedeten nahezu 60 Anträge zum Thema und sprachen sich unter anderem für eine nachhaltige Ressourcennutzung im Gesundheitswesen aus.

von Vassiliki Temme

Zeit zu handeln: Bereits 2019 hatte der 122. Deutsche Ärztetag in Münster entschieden, sich des Themas „Klimawandel und Gesundheit“ anzunehmen. „Wir waren uns einig, dass der Klimaschutz ein urärztliches Thema ist und die Berufsordnung uns verpflichtet, den Erhalt unser aller Lebensgrundlage zu sichern“, erklärte Privatdozent Dr. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin und Vorsitzender der Arbeitsgruppe zum Thema, am 2. November  in Berlin.  „Jetzt geht es darum, verpflichtende und ambitionierte Ziele zu formulieren und natürlich deren Umsetzung auch zu kontrollieren. Wir müssen realistische Wege aufzeigen, die uns zu diesen gewünschten Ergebnissen führen“. Ärztinnen und Ärzte seien in dieser Hinsicht Vorbilder. „Wir müssen zeigen, dass wir Veränderung nicht nur predigen, sondern auch praktizieren“, appellierte Bobbert an die Abgeordneten. „Wenn wir ein klimaneutrales und resilientes Gesundheitssystem wollen, dann müssen wir uns eingestehen, dass das Geld kostet. Die nötigen Investitionen müssen wir benennen und einfordern. Wenn wir klimaneutrale Kammern wollen, dann müssen wir auch selbst bereit sein, Geld dafür in die Hand zu nehmen“, sagte der Kammerpräsident. Es sei im Übrigen ein wunderbarer Zufall, dass zeitgleich zum Deutschen Ärztetag die UN-Klimakonferenz in Glasgow stattfinde. Auch dorthin müsse man als Ärzteschaft eine deutliche Botschaft senden.

Zustimmung erhielt Bobbert von Professor Dr. rer. pol. Dirk Messner, der als Leiter des Umweltbundesamtes direkt aus Glasgow zugeschaltet wurde. „Ich finde es großartig, dass die Ärzteschaft den Klimawandel als zentralen Tagesordnungspunkt benannt hat.“ Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland hätten eine enorme Reichweite, die für das Thema von großer Bedeutung sei. Der Leiter des Umweltbundesamtes skizzierte vor dem Ärztetag die wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels auf die Zukunft. „Alle wissenschaftlichen Szenarien sagen fundamentale Veränderungen unserer Lebensbedingungen voraus, sollten wir nicht handeln. Das Eisschild in Grönland könnte bereits bei einer Erwärmung von zwei Grad irreversibel abschmelzen. Wir hätten dann einen globalen Meeresanstieg von sieben Metern.“ Um dies zu verhindern, müsse global bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreicht werden. Dazu müssten weltweit die CO2-Emissionen halbiert werden. Die gute Nachricht sei: „Wir wissen, wie wir Klimaneutralität bewerkstelligen können, wir haben die Kenntnisse, die politischen Rahmenbedingungen, die Unternehmen und die Technologien, die dazu benötigt werden.“ Auch die Gesellschaft sei bereits in weiten Teilen sensibilisiert und sich über die Konsequenzen bewusst, wenn nicht gegengesteuert werde. 

Mitten in der Krise

„Heute ist der Tag, auf den wir in vielen Jahren zurückblicken werden, denn heute hat die Ärzteschaft entschieden: Wir machen das, wir tragen unseren Teil zum Klimaschutz bei!“ Die Berliner Ärztin Sylvia Hartmann, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG), bezeichnete die Tatsache, dass sich der Deutsche Ärztetag in einem Schwerpunkt des Themas angenommen hat, als historischen Moment. „Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise. Darum müssen wir entschieden handeln und Klimaschutz zur obersten Priorität machen“, sagte sie. Aktuell gebe es noch zu viele Worte und zu wenige Taten. Die Ziele des Pariser Klimaabkommens lägen zum Teil noch in weiter Ferne. Steuere man jetzt nicht gegen, bedrohe das auch die gesundheitlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte massiv. Dies habe sich deutlich bei der Flutkatastrophe im Juli dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gezeigt. „Es wurde unmissverständlich klar, dass auch wir in Deutschland nicht immun gegen die Konsequenzen des Klimawandels sind“, stellte Hartmann fest. 

Die Vorsitzende des Ausschusses Junge Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammer Nordrhein, Melissa Camara-Romero, berichtete sichtlich ergriffen über ihre Erfahrungen während der Flut am Sankt Antonius Hospital in Eschweiler. „Die Kraft des Wassers war unglaublich. Im Keller des Krankenhauses sind Fenster, Türen, die Operationssäle der Urologie, die Strahlentherapie und die plastische Chirurgie komplett zerstört worden. Von der Stromversorgung bis zur IT konnte zwar alles wiederhergestellt werden. Wir waren aber für eine sehr lange Zeit nicht erreichbar.“ Die Herausforderungen seien enorm gewesen. Aber auch die Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen sowie die Unterstützung durch die Politik seien beeindruckend gewesen, meinte die Internistin. Eschweiler liegt am Flüsschen Inde. Camara-Romero berichtet, es habe dort bereits ein Gutachten über Wasserschutzmaßnahmen gegeben. Die darin geforderten Schutzmauern seien sogar einen Meter höher gebaut worden als empfohlen. „Trotzdem konnten sie uns nicht schützen“, so Camara-Romero. „Die Klimakatastrophe ist da und wir sind nicht darauf vorbereitet. Wir müssen das Thema angehen, egal, was es kostet.“ Auch die stellvertretende KLUG-Vorsitzende Hartmann appellierte an den Ärztetag: „Wir kennen die Folgen und wir kennen die Ursache. Warum tun wir nichts? Gerade wir Ärztinnen und Ärzte wissen doch, dass wir nicht die Symptome behandeln, wenn wir die Ursache beheben können und die Menschen dadurch ein noch gesünderes Leben erhalten.“ 

Zustimmung erhielt Hartmann von Dr. Sabine Gabrysch, Epidemiologin und Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Vor 150 Jahren grassierte hierzulande die Cholera. Verbesserte Hygiene und Abwasserkanäle schafften Abhilfe. Sie sind direkte Erfolge von Public Health“, sagte Gabrysch. Die Globalisierung verdeutliche, dass viele gesundheitliche Probleme und deren Ursachen Ländergrenzen überschreiten und nur global koordiniert angegangen werden können. Das neue Konzept der Planetary Health nehme hier die größtmögliche Makroperspektive ein. Wie in einem Organismus hänge auf dem Planeten Erde alles miteinander zusammen. „Auch die Coronapandemie ist ein Symptom der planetaren Krise. Sie hat direkt mit unserem Umgang mit Naturräumen und Tierwelt zu tun“, so Gabrysch. Was die Bewältigung der Klimakrise erschwere, sei vor allem die zeitliche Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung. „Wenn man die ersten Anzeichen einer Bedrohung sieht, muss man rasch handeln, um Schlimmeres zu vermeiden. Wir Ärztinnen und Ärzte kennen das aus der Krebsvorsorge.“ Es sei eine urärztliche Fähigkeit, zu erkennen ob und wann Gefahr in Verzug sei und einzugreifen. „Als Menschen sind wir Teil dieses Planeten, daraus hervorgegangen und untrennbar damit verbunden. Trotz aller Technologien sind wir daher auch Teil der Natur. Und die Erde ist der einzige Ort, an dem wir leben können.“