Streiten Eltern über die Durchführung einer Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen impfbereiten Kind, ist die Entscheidung auf den Elternteil zu übertragen, der der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) vertraut. Dies gelte insbesondere, wenn damit dem Willen des Kindes entsprochen werde, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
von Katharina Eibl und Dr. Dirk Schulenburg
Bereits in der Vergangenheit stellte die Impfung von Kindern und Jugendlichen ein Problem dar, wenn sich die sorgeberechtigten Eltern nicht einig waren. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat nun entschieden, dass bei einer Impfung gegen SARS-CoV-2 nichts anderes gilt als bei jeder anderen Impfung auch.
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
Wie jeder ärztliche Heileingriff ist auch eine Impfung nur nach Einwilligung der vollumfänglich aufgeklärten Patientinnen und Patienten zulässig und stellt ohne diese einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar.
Wer muss einwilligen?
Stellen sich Kinder und Jugendliche bei einem Arzt oder einer Ärztin vor, kann sich die Frage stellen, wer über eine Behandlung aufzuklären ist und auf wessen Einwilligung es im konkreten Fall ankommt. Die Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen hängt davon ab, ob sie „nach ihrer geistigen und sittlichen Reife“ die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und dessen Gestaltung zu ermessen vermögen.
Nach herrschender Meinung ist davon auszugehen, dass Minderjährige unter 14 Jahren nur in Ausnahmefällen einwilligungsfähig sind. Zwischen 14 und 16 Jahren kommt es auf die Einwilligungsfähigkeit der Jugendlichen an, die im Gespräch mit dem Arzt unter Beweis gestellt werden muss. Ein 15-jähriger Patient kann für Routinemaßnahmen und geringfügige Eingriffe, wie zum Beispiel eine Blutabnahme, bereits über die nötige Urteilskraft verfügen. Deutlich höher liegt die Messlatte bei nicht ganz ungefährlichen Behandlungsmaßnahmen. Ab 16 Jahren können Jugendliche in der Regel selbst entscheiden, ob sie geimpft werden wollen oder nicht.
Einwilligung und Sorgerecht
Für die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes ist eine elterliche Einwilligung erforderlich. Die Entscheidung über eine Impfung muss von beiden Sorgeberechtigten getroffen werden. Bereits mit Beschluss vom 3. Mai 2017 (Az: VII ZB 157/16) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass eine Schutzimpfung eines Kindes auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind ist, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt, da einerseits die Gefahr von Impfschäden bestehe, andererseits aber auch die Gefahr, aufgrund mangelnden Impfschutzes an einer Infektion zu erkranken.
Bei Uneinigkeit entscheidet das Gericht
Können sich die Sorgerechtsinhaber nicht einigen, muss nach § 1628 S. 1 BGB das Familiengericht die Entscheidung dem Elternteil übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes entspricht. Dem BGH zufolge ist das der Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut befürwortet – jedenfalls wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei in solchen Fällen nicht erforderlich, so der BGH. Es könne vielmehr von den Empfehlungen der STIKO ausgegangen werden.
Impfung gegen SARS-CoV 2
Diesen Grundsätzen hat sich nunmehr im Falle einer Corona-Schutzimpfung auch das OLG Frankfurt im Beschluss vom 17. August 2021 (Az: 6 UF 120/21) angeschlossen. Die Entscheidung über die Durchführung einer Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff sei bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die STIKO bei einem die Impfung befürwortenden Kind auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.
Hintergrund der Entscheidung war ein Streit voneinander geschiedener Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren 2005 geborenen Sohn ausübten, darüber, ob dieser gegen das Coronavirus SARS-CoV 2 geimpft werden solle. Auch das OLG Frankfurt ging im vorliegenden Fall davon aus, dass die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ist. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung müsse sich am Kindeswohl orientieren.
Einverständnis des anderen Elternteils
Liegt kein schriftliches Einverständnis des anderen sorgeberechtigten Elternteils vor, besteht für Ärztinnen und Ärzte das Risiko, dass nicht ordnungsgemäß in den ärztlichen Eingriff eingewilligt wurde. Zu beachten ist mithin bei der Impfung von unter 16-Jährigen in jedem Fall, dass die Einwilligung beider sorgeberechtigter Eltern vorliegen muss. Man kann nicht davon ausgehen, dass der Elternteil, der sich mit dem Kind für eine Impfung entscheidet, vom anderen Elternteil mit dieser Entscheidung bevollmächtigt wurde, wie dies bei geringfügigen ärztlichen Eingriffen der Fall ist.
Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.