Im Oktober habe ich mein zweites Staatsexamen abgelegt. Nach der zähen Lernzeit im Schatten der Pandemie sah ich dem Examen fast ungeduldig entgegen. Als ich schließlich am ersten Prüfungstag am Veranstaltungsort ankam, freute ich mich über die vielen bekannten Gesichter. Viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen hatte ich im letzten gemeinsamen Semester gar nicht mehr gesehen. Mit Maske und unter Wahrung des Abstands wurden wir zu unseren Plätzen gewiesen. Als anschließend die Fragehefte ausgeteilt wurden, fiel mein Blick auf die oberste Abbildung der Bildbeilage. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das Bild zeigte weder ein Echokardiogramm noch eine Hauterscheinung, auch kein Röntgenbild. Stattdessen schaute ich auf ein – wie die Beschreibung verriet – flämisches Krippengemälde aus dem 16. Jahrhundert („Anbetung des Christkindes“ von Jan Joest van Kalkar). Den Mittelpunkt des Bildes stellte das Jesuskind in seiner Krippe dar. Darum herum waren Maria und ein Dutzend Engel gruppiert. Jedoch litt einer dieser Engel seinem Erscheinungsbild nach wohl an einer genetischen Erkrankung. „Um welche häufige chromosomale Erkrankung handelt es sich [...]?“ Meine Augen wanderten prüfend über das Bild. Welchen Engel meinte das IMPP (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen)? Gesund sah für mich kaum eine der abgebildeten Gestalten aus. Doch der Fragetext und die Antwortmöglichkeiten vereinfachten die Suche: Der gemeinte Engel soll wohl an einer Trisomie des Chromosoms 21 gelitten haben. Kunsthistorisch anmutende Fragen wie diese sind im zweiten medizinischen Staatsexamen eher eine Rarität. Wenngleich das IMPP in einem vorangegangen Examen bereits die Xanthelasmen von Leonardo da Vincis weltberühmter Mona Lisa thematisiert hatte. Die meisten der je 320 Fragen sind glücklicherweise anwendungsorientierter. Sie bereiten damit auf die spätere ärztliche Praxis, aber auch auf das Praktische Jahr vor. Letzteres habe ich vor kurzem begonnen und verbringe aktuell mein erstes Tertial in der Inneren Medizin eines Bonner Krankenhauses.
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