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Praxis

„Stell dich doch nicht so an“

25.03.2021 Seite 25
RAE Ausgabe 4/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2021

Seite 25

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann Betroffene stark traumatisieren. © fizkes/ stock.adobe.com
Von den berufstätigen Männern und Frauen in Deutschland wurde zwischen 2016 und 2019 jeder elfte im Job sexuell belästigt. Das belegt eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. 

von Vassiliki Latrovali

Sexuell motivierte Übergriffe machen auch vor Ärztinnen und Ärzten nicht halt. Dabei können bedrängende Worte oder Handlungen sowohl von Patientinnen und Patienten als auch von Kolleginnen und Kollegen ausgehen. Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster stellte 2019 fest, dass es entschiedener Maßnahmen bedarf, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen, aber auch die Patientinnen und Patienten, vor sexueller Belästigung zu schützen. 

„Betroffene fühlen sich komplett ausgeliefert, wenn es zu Übergriffen kommt. Und meist steht Aussage gegen Aussage, weil es in der Regel nur zwei Beteiligte und keine Beobachter gibt“, sagt Dr. Christiane Groß, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie und Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. „Über sexuelle Übergriffe reden wollen die Wenigsten.“ Dabei sei es wichtig, das Erlebte mitzuteilen, auch wenn es sich „nur“ um verbale Belästigungen handle: „Die Übergänge von verbaler zu körperlicher sexueller Belästigung sind häufig fließend. Es beginnt immer mit einem unguten Gefühl. Das sollte man ernst nehmen und sich Hilfe holen“, betont Groß.

Betroffene schützen

Auf Initiative des von den Vorstandsmitgliedern Dr. Christiane Groß und Christa Bartels geführten Ausschusses „Ärztegesundheit“ hat die Ärztekammer Nordrhein vergangenes Jahr eine Beratungsstelle für Betroffene sexueller Übergriffe eingerichtet. Diese können sich unmittelbar, auch anonym, an die Ansprechpartnerinnen der Beratungsstelle wenden. Die Beratung kann telefonisch, per E-Mail oder nach Terminvereinbarung auch persönlich geführt werden. Gespräche und Korrespondenz werden streng vertraulich behandelt. „Die Rechte der Betroffenen ergeben sich insbesondere aus den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)“, erklärt Kristina Hessenkämper, Rechtsanwältin und Mitarbeiterin der Beratungsstelle der Kammer. § 13 des AGG regele das sogenannte Beschwerderecht. Danach können sich betroffene angestellte Ärztinnen und Ärzte im Fall von sexuellen Übergriffen an ihren Arbeitgeber wenden. „Dieser hat die Beschwerde zu prüfen und der beschwerdeführenden Ärztin oder dem beschwerdeführenden Arzt das Ergebnis mitzuteilen“, ergänzt Rechtsanwältin Katharina Eibl, die ebenfalls bei der Beratungsstelle tätig ist. Betroffene, die das Gefühl hätten, man nehme ihr Anliegen nicht ernst, könnten sich auf § 14 des AGG berufen. „Dieser Paragraf regelt das Leistungsverweigerungsrecht. Das heißt, ergreift der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, sind die betroffenen Ärztinnen und Ärzte berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist“, stellt Eibl klar. Auch Entschädigungsansprüche und Schadensersatz sind durch das AGG geregelt. „Der Arbeitgeber ist danach unter Umständen verpflichtet, den betroffenen Beschäftigten den durch einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot entstandenen Schaden zu ersetzen“, fügt Hessenkämper hinzu.

Immer noch ein Tabu 

Die juristische Seite ist das eine. Das andere sind die psychischen Folgen einer sexuellen Belästigung. „Unmittelbar nach einem Übergriff sind die Betroffenen meist wütend oder auch hilflos. Einige Menschen kann das Erlebte auch stark traumatisieren, es können Angststörungen entstehen“, gibt Psychotherapeutin Groß zu bedenken. Sie hofft vor diesem Hintergrund, mehr Menschen für das Thema zu sensibilisieren. „Die MeToo-Debatte von 2017 hat die Tabuisierung der sexuellen Belästigung ein ganzes Stück weit aufgebrochen und für die Betroffenen Möglichkeiten geschaffen, sich zu wehren“, sagt Groß. Viel zu oft habe man in der Vergangenheit gerade das Erleben von Frauen nicht ernst genommen: „Man hat sexuelle Belästigung gerne als Lappalie abgetan. Frauen, die sich beklagten, galten schnell als Zicken – nach dem Motto ‚Stell dich doch nicht so an, das ist halt so‘“, meint die Ärztin.

Informationen zur Beratungsstelle und weitere Hilfsangebote: 

https://www.aekno.de/aerzte/beratung/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz

Die Beratung ist für ratsuchende Personen kostenlos.

Auch Beobachter von verbalen oder tätlichen Übergriffen trauten sich oftmals nicht, die betroffene Person anzusprechen – aus Angst, sie eventuell bloßzustellen. Ärztinnen und Ärzte, die Belästigungen beobachteten oder an ihrem Arbeitsplatz erahnten, sollten aber in jedem Fall das Gespräch suchen und die betroffene Person motivieren, den Übergriff zu melden. „Das gilt auch, wenn die Belästigung von Patienten ausgeht“, sagt Groß. Das Arzt-Patienten-Verhältnis sei natürlicherweise von einer gewissen Nähe geprägt. Zu einer Grenzüberschreitung könne es deshalb von beiden Seiten kommen.