Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland gibt jährlich rund 477 Millionen Euro für Rehabilitationsleistungen aus. Doch nach Ansicht der dort tätigen Sozialmedizinerinnen und -mediziner wird das Potenzial der Reha für die Patienten noch nicht ausreichend genutzt.
Für den Abbau bürokratischer Hürden bei der Antragstellung soll jetzt ein bundeseinheitlicher Befundbericht sorgen.
von Heike Korzilius
Erwerbsfähigkeit erhalten, Pflegebedürftigkeit vermeiden – das sind die wichtigsten Ziele der medizinischen und beruflichen Rehabilitation, wie sie die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Rheinland für ihre Versicherten, deren Ehepartner und Kinder anbietet. Gut 477 Millionen Euro gibt der Träger im Jahr dafür aus, dass der Dachdecker mit Bandscheibenvorfall, die Abteilungsleiterin mit Brustkrebs oder der neu an Diabetes mellitus erkrankte Lastwagenfahrer ihre Berufe möglichst weiter ausüben können oder Alternativen gefunden werden, die weiterhin ein möglichst eigenständiges Leben ermöglichen.
„Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit ist keine Frage der Wirtschaftlichkeit für die Gesellschaft. Für viele Patientinnen und Patienten geht es um ihre Existenz“, betont Dr. Angelika Sauter-Warflinger gegenüber dem Rheinischen Ärzteblatt. Das werde oft in der akuten Behandlungssituation vergessen, meint die Fachärztin für Anästhesie, Sozialmedizin, spezielle Schmerztherapie und Psychotherapie, die bei der DRV Rheinland in Düsseldorf das Team Sozialmedizin leitet. Vielen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sei nicht bewusst, was Reha hier leisten könne. Die Folge: Reha-Anträge werden gar nicht erst gestellt, Leistungen nicht in Anspruch genommen.
Im Reha-Bericht 2019 der DRV waren bundesweit Erkrankungen von Muskeln, Skelett und Bindegewebe die häufigsten Indikationen für eine Rehabilitation. Auf sie entfielen stationär mehr als ein Drittel der Reha-Leistungen bei Frauen und Männern, im ambulanten Bereich betrafen sie 74 Prozent der Reha-Leistungen bei Frauen und 67 Prozent bei Männern. Beispiel chronische Rückenschmerzen: „Die sind bei manchen Patienten auch ohne strukturelle Schäden am Körper so stark, dass sie sich nicht mehr in der Lage fühlen, ihren Beruf auszuüben, dass sie immer wieder lange krankgeschrieben sind und im Extremfall einen Rentenantrag stellen“, sagt Sozialmedizinerin Sauter-Warflinger. „Aber gerade bei chronischen Rückenschmerzen kann man mit Rehabilitation sehr viel erreichen.“ Innerhalb von drei Wochen lasse sich in einer orthopädischen Rehaklinik Muskulatur so aufbauen, dass es den Menschen spürbar besser gehe. Dadurch werde auch die Motivation gestärkt, das in der Reha Erlernte später in den Alltag zu übernehmen. Dazu dienten im Übrigen auch Angebote zur Nachsorge im Anschluss an die Rehabilitation. Diese hat die DRV nach eigenen Angaben stetig ausgebaut. Denn Evaluationsstudien hätten zwar gezeigt, dass die medizinische Rehabilitation überwiegend gute kurzfristige Erfolge erziele. Deren längerfristige Wirksamkeit sei jedoch weniger gut belegt und deshalb zentraler Gegenstand der Rehabilitationsforschung, heißt es dort.
„Die Rehabilitation ist ein wichtiger Baustein in der Versorgung“, bekräftigt Sozialmedizinerin Sauter-Warflinger. „Während in der Akutmedizin die Diagnostik betrieben und die Therapie eingeleitet wird, kommt in der Rehabilitation ein ganzheitlicher Ansatz zum Tragen. Da steht nicht nur die Erkrankung im Fokus, sondern man schaut sich an, was die Erkrankung für den Menschen in seinem Alltag und in seinem Lebensumfeld bedeutet und wie er damit möglichst konstruktiv umgehen kann.“ Das Ziel von Rehabilitation sei „Empowerment“, sprich, die Menschen zum Umgang mit ihrer Erkrankung zu ermächtigen.
Reha ist nicht „in der Sonne liegen“
„Es gibt noch immer zu viele Ärztinnen und Ärzte, die bei Reha an ,Kur‘ denken, an ,in der Sonne liegen‘ und abends mit dem Kurschatten tanzen gehen“, bedauert Sauter-Warflinger. „Das gibt es aber schon lange nicht mehr.“ Sie wirbt deshalb bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen für mehr Offenheit gegenüber der Rehabilitation und dem, was sie leisten kann.
Unter anderem um mehr Akzeptanz zu schaffen und Bürokratie abzubauen, hat eine Gruppe von Sozialmedizinern um Sauter-Warflinger sich die Antragsvielfalt im Rehabilitationswesen vorgenommen. Rund 40 verschiedene Befundberichte existierten bundesweit bei den unterschiedlichen Reha-Trägern, um ein und dieselbe Leistung zu beantragen. Seit 1. Januar dieses Jahres gibt es nur noch einen – „eine Reform von Ärzten für Ärzte“, sagt Sauter-Warflinger.
Ein Formular statt 40
Das neue Formular S0051 gilt sowohl für Anträge auf Rehabilitation als auch für Anträge auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Da die Reha-Bereiche neben der medizinischen und beruflichen Reha auch die soziale Reha, unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen sowie Leistungen zur Teilhabe an Bildung umfassen, werden in dem neuen Befundbericht sämtliche dieser Aspekte abgefragt. Neben den zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen und den Diagnosen samt ICD-10-Code müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auch die krankheitsbedingten Körperschädigungen und Funktionseinschränkungen sowie die nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigungen der Aktivitäten und Teilhabe angeben. Letztere zielen auf die neun Kategorien der Internationalen Klassifikation von Funktionsstörungen: Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Aktivitäten, Arbeit und Beschäftigungen sowie Erziehung und Bildung. Ebenfalls darlegen müssen die Ärzte Diagnostik und Therapie, Arbeitsunfähigkeit, wesentliche Untersuchungsbefunde, Risikofaktoren, Krankheitsentwicklung und -prognose, Reise- und Reha-Fähigkeit sowie Sprachverständnis und die Beschreibung der Lebensfaktoren der Patienten. Das klinge aufwendiger als es sei, erklärt Sozialmedizinerin Sauter-Warflinger. Schätzungsweise zehn bis 15 Minuten benötige man, um den Befundbericht auszufüllen.
„Ärztinnen und Ärzte sind diejenigen, die mit dem Patienten in engem Kontakt stehen. Sie schaffen durch sorgfältiges Ausfüllen des Formulars die erforderliche Grundlage dafür, dass die Ärzte der DRV eine sachgerechte Entscheidung für oder gegen eine Reha treffen können“, sagt Sauter-Warflinger. „Die niedergelassenen Ärzte stellen damit entscheidende Weichen für ihre Patienten.“
Reha-Informationen für Ärzte
Auf der Webseite rehainfo-aerzte.de informiert die Deutsche Rentenversicherung (DRV) umfassend über ihr medizinisches und berufliches Rehabilitationsangebot sowie über die Erwerbsminderungsrente. Die Informationen richten sich in erster Linie an niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Neben Antworten auf die Frage, ob eine Rehabilitation das Richtige für den Patienten ist, können die Ärzte auf Broschüren rund um die Reha sowie Kontaktadressen zugreifen.
Für besondere Fragen steht das Team des Sozialmedizinischen Dienstes der DRV Rheinland telefonisch unter Angelika.Sauter-Warflinger(at)drv-rheinland.de zur Verfügung.
oder per E-Mail unterDie Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (https://www.bar-frankfurt.de/) informiert in zahlreichen Leitfäden umfassend über Strategien zur Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mithilfe von Rehabilitations- und Nachsorgemöglichkeiten.