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Praxis

Keine „Corona-Pause“ bei Evolution des Notdienstes

25.08.2020 Seite 28
RAE Ausgabe 9/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 9/2020

Seite 28

Gemeinsamer Empfang zur Zuordnung in den richtigen Versorgungsbereich: Die Portalpraxis im Rheinland Klinikum Grevenbroich. © KVNo
Vor „Corona“ war es eines der wichtigsten und meistdiskutierten Themen in der Gesundheitspolitik: die Notfallversorgung und ihre sektorenübergreifende Reform. Die Pandemie hat das Thema und die dynamische Gesetzgebung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf Bundesebene ausgebremst. Doch die Entwicklung des Notdienstes und damit auch der Strukturen an der Schnittstelle von ambulanter und stationärer Versorgung geht weiter. 

von Heiko Schmitz 

Corona hat auch im ambulanten Notdienst Spuren hinterlassen: Die Zahl der Hausbesuche im organisierten Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ist in der Corona-Krise deutlich gestiegen, in den letzten beiden Märzwochen des Jahres 2020 um circa 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig ist die Zahl der ambulanten Notfälle, zum Beispiel in den Bereitschaftsdienstpraxen und in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser, um circa 25 Prozent gesunken. Diese Zahlen legte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) auf Basis vorläufiger Datenanalysen aus der Abrechnung des 1. Quartals 2020 Anfang Juli vor.
Die Veröffentlichung der Daten war eine Reaktion auf Aussagen der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft (DKG), wonach es durch Corona einen Ansturm auf die Notfallambulanzen gegeben habe und die Praxen für die Versorgung ihrer Patienten nicht ausreichend zur Verfügung gestanden hätten. „Das Gegenteil ist der Fall. Im Zuge der Corona-Krise war die Bevölkerung sehr vorsichtig mit Besuchen in den Notfallambulanzen, was zu den erheblichen Fallzahlrückgängen führte. Dieser Rückgang wurde zum Teil durch den fahrenden Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen aufgefangen“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. rer. pol. Dominik von Stillfried. Insbesondere im hausärztlichen und grundversorgenden fachärztlichen Bereich sei die Zahl der abrechnenden Ärzte in den letzten beiden Märzwochen gegenüber dem Vorjahr konstant geblieben. 

Weiterentwicklung bleibt Gebot der Stunde

Dass es auch in den Praxen erhebliche Rückgänge bei Fallzahlen, Leistungsmengen und somit Umsätzen gab, hatte die KV Nordrhein bereits durch eine repräsentative Umfrage belegen können (siehe Bericht zum „Schutzschirm“ in RÄ, Heft 8, 2020). Dass es parallel dazu auch in den Notdienstpraxen weniger Patienten gab, ändert nichts an der Bedeutung und Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Strukturen in der Notfallversorgung. Die KV Nordrhein hat daher die gesamte Planung zu neuen Portalpraxen, neuen und/oder aufgewerteten Standorten sowie neuen fachärztlichen Notdiensten weiterverfolgt – wenngleich die enormen Anstrengungen etwa für die Logistik zur Versorgung der Praxen mit Schutzmaterial die Zeitpläne beeinflussten und das Programm etwas verschlankt haben.

Gleichwohl ist in den letzten Wochen und Monaten einiges auf den Weg gebracht worden. So befinden sich inzwischen alle Notdienstpraxen in Nordrhein in oder zumindest an einer Klinik. 41 davon sind bereits sogenannte „Portalpraxen“ – wo möglich, werden durch Umbaumaßnahmen gemeinsame Ein- und Zugänge sowie gemeinsame Tresen zur Aufnahme der Patientinnen und Patienten und zur zügigen Zuteilung in den ambulanten oder stationären Bereich etabliert. Im Rhein-Erft-Kreis ist am 1. April eine neue Notdienstpraxis hinzugekommen, die eine geografische Lücke schließt. In Duisburg hingegen sind aus vier Standorten zwei geworden, die bisher schon besonders stark frequentiert werden, besonders gut zu erreichen sind und dank deutlich verlängerter, einheitlicher Öffnungszeiten zu zentralen Anlaufstellen im Stadtgebiet werden. 

Kooperation mit Fachkliniken

Ein weiteres Thema sind die fachärztlichen Notdienste in enger Kooperation mit den Fachkliniken vor Ort. Was beispielsweise in Aachen und Bonn beim augenärztlichen Notdienst schon sehr gut funtioniert, wird seit 1. Juli auch in Essen praktiziert. Dort befindet sich an der Uniklinik die augenärztliche Anlaufstelle des Notfalldienstbezirks Essen, Duisburg, Mülheim und Oberhausen. Ab Herbst wird dort auch der HNO-Notdienst für die Region folgen. „Diese Kooperationen sind der richtige Weg, nicht nur aus Sicht der bestmöglichen Versorgung, sondern auch aus Perspektive der beteiligten Ärztinnen und Ärzte“, sagt Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein. 

Dr. Heiko Schmitz leitet den Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein.

 

„Hausbesuche im Notdienst haben zugenommen“

Für den Chef der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann, bleibt die Notfallversorgung ein Top-Thema – auch und gerade in Corona-Zeiten.  

RÄ: Herr Dr. Bergmann, um die Weiterentwicklung des Notdienstes ist es vergleichsweise ruhig geworden. Liegen die Planungen coronabedingt weitgehend auf Eis? 
Bergmann: Nein. Wir entwickeln die Strukturen in Nordrhein wie geplant und konsequent weiter. Richtig ist, dass wir den zeitlichen Horizont beim ein oder anderen Projekt, etwa bei neuen Portalpraxen, etwas angepasst haben, weil wir enorme personelle und finanzielle Kapazitäten für die Corona-Krise aufwenden mussten. Ein gutes Beispiel dafür bilden die Gesundheitsmanagementgesellschaft (GMG) und die Abteilung Notdienst, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter quasi über Nacht die Logistik zur Verteilung von Schutzmaterial auf die Beine gestellt haben. Grundsätzlich aber verfolgen wir den eingeschlagenen Weg weiter. Es gibt ja auch Vorgaben und Vereinbarungen, etwa zum flächendeckenden Angebot von Portalpraxen in Nordrhein-Westfalen, die weiterhin gelten und an die wir uns halten.  

RÄ: Welche Weichenstellungen erfolgen zurzeit?
Bergmann: Ein wichtiger Punkt in enger Abstimmung mit den Berufsverbänden und den beteiligten Krankenhäusern ist die Etablierung weiterer zentraler fachärztlicher Notdienste. Jüngste Beispiele sind der augenärztliche Notdienst am Uniklinikum Essen, der am 1. Juli gestartet, ist und dem der HNO-Notdienst am Alfried-Krupp-Krankenhaus zum 1. Oktober folgen wird. Dazu haben wir geografische Lücken im Praxisnetz geschlossen. Eine neue Praxis in Brühl im Rhein-Erft-Kreis ist seit dem 1. April am Netz, weitere Praxen im Kreis Kleve sind in Planung. Und wir konsolidieren das Angebot dort, wo bisher relativ kleinräumig mehrere Einrichtungen bestehen, die zum Teil wenig frequentiert wurden. In Duisburg haben wir daher zum 1. Juli aus vier Praxen zwei zentrale Standorte mit stark erweiterten Öffnungszeiten gemacht, die gut erreichbar sind.

RÄ: Wie wichtig waren und sind die Notdienstpraxen und der Hausbesuchsdienst in der Pandemie?
Bergmann: Natürlich ist auch in den Notdienstpraxen während der Kontaktbeschränkungen viel weniger los gewesen. Das Bollwerk für die Kliniken bildete die Regelversorgung in den Praxen, die ja fortlaufend weiterging. Dennoch blieben die Notdienstpraxen eine wichtige Anlaufstelle, weswegen wir sie auch von Anfang an mit selbst beschafftem Schutzmaterial ausgestattet haben. Die Hausbesuche hatten in Zeiten der Kontaktbeschränkung einen besonderen Wert und haben deutlich zugenommen. Dass unser Notdienstangebot nicht nur aus den Notdienstpraxen besteht, wird gern vergessen. 

KV Nordrhein