Vorlesen
Gesundheits- und Sozialpolitik

Haus- und Facharztpraxen als Schutzwall in der Corona-Krise

26.08.2020 Seite 20
RAE Ausgabe 9/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 9/2020

Seite 20

Deutschland hat die Corona-Pandemie bislang verhältnismäßig gut bewältigt. Das liegt nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unter anderem daran, dass sechs von sieben Patienten ambulant behandelt werden konnten. Bei einer möglichen zweiten Erkrankungswelle sieht er das Land gut gerüstet – auch mit Atemmasken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln.

von Heike Korzilius

Für Patientinnen und Patienten weltweit ist häufig das Krankenhaus die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsbeschwerden. So auch bei COVID-19. Deshalb hätten in anderen Ländern viele Menschen auch bei nur milden Krankheitssymptomen die Kliniken aufgesucht und auf diese Weise dazu beigetragen, dass sich das SARS-CoV-2 Virus insbesondere in vulnerablen Patientengruppen ausbreiten konnte. Das sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang Juli bei einer Online-Diskussionsrunde mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zum Umgang mit der Corona-Krise. In Deutschland habe dagegen das dichte Netz an Haus- und Facharztpraxen wie ein Schutzwall gewirkt und mit dafür gesorgt, dass die Krankenhäuser sich auf die schwer Erkrankten konzentrieren konnten, erklärte der Minister.

Versäumnisse habe es allerdings beim Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) gegeben – und zwar bereits lange vor der Pandemie. „Dort fehlt es schon in normalen Zeiten an Kapazitäten“, räumte Spahn ein. Dabei spielten die Gesundheitsämter in der Pandemiebekämpfung eine Schlüsselrolle, nicht zuletzt bei der Überwachung von Quarantänemaßnahmen oder der Nachverfolgung von Kontaktpersonen Infizierter. Spahn bekräftigte erneut, dass deshalb noch vor dem Herbst gemeinsam mit den Ländern ein Pakt für den ÖGD geschmiedet werden solle. Die Gesundheitsämter müssten als Arbeitgeber attraktiver und auch digital besser ausgestattet werden.

Im Online-Dialog mit dem Minister warnten einige niedergelassene Ärzte, dass sich bei einer möglichen zweiten Erkrankungswelle ein Mangel an Atemmasken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln nicht wiederholen dürfe. „Die Schutzausrüstung war unsere Achillesferse“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Insbesondere bei Atemschutzmasken sei Deutschland zu sehr abhängig von Produzenten in Asien, erklärte auch Spahn und kündigte an, die Vorräte an Schutzausrüstung aufzustocken und einen Teil der Atemschutzmasken in Deutschland produzieren zu lassen. Als Anreiz habe die Bundesregierung mit Herstellern feste Abnahmepreise vereinbart, sagte der Minister: „Dass Schutzmasken fehlen, werden wir nicht noch einmal erleben.“

Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes, betonte, dass es bei einer möglichen zweiten Corona-Welle besser gelingen müsse, Routine- und Corona-Behandlungen gleichermaßen aufrechtzuerhalten. „Da ist einiges unterblieben“, sagte Heinrich mit Blick auf die vergangenen Monate. Weil Routinetermine abgesagt wurden oder Patienten aus Angst vor Corona fernblieben, verzeichneten viele Praxen erhebliche Umsatzeinbußen. Über Einbrüche von zehn bis 20 Prozent berichtete Dr. Tim Knoop, Hausarzt aus Köln. Dabei hätten die Praxen trotz sinkender Patientenzahlen einen hohen Aufwand treiben müssen, um potenziell Corona-Infizierte von normalen Patienten zu trennen. „Ich mache mir Sorgen um meine wirtschaftliche Zukunft“, sagte Knoop an Spahn gewandt. Der Minister verwies auf den Schutzschirm, den die Bundesregierung über die Praxen gespannt habe, räumte aber zugleich ein, dass dieser nicht zu 100 Prozent greife. Er nehme die Sorgen der Niedergelassenen ernst, bekräftigte Spahn. Denn es gelte, das flächendeckende Facharztangebot aufrechtzuerhalten.

Verunsichert zeigten sich zahlreiche niedergelassene Ärzte angesichts der Vorgaben zur Kostenübernahme für Corona-Tests (siehe Kasten). Hier stellte Spahn klar, dass jeweils der Arzt über die Notwendigkeit eines Tests entscheide. „Im Zweifel gilt, lieber ein Test zu viel als zu wenig“, so der Minister.
 

Tests ausgeweitet

Alle aus dem Ausland nach Deutschland Einreisenden haben seit dem 1. August Anspruch auf einen Corona-Test. Dieser wird von den Krankenkassen bezahlt, vorausgesetzt er erfolgt innerhalb von 72 Stunden nach der Einreise. Grundlage dafür ist eine geänderte Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums vom 8. Juni, die den Kreis der Personen bereits erweitert hatte, die sich zulasten der Kassen auf SARS-CoV-2 testen lassen können. Dazu gehören zum Beispiel Personen, die eine Warnung über die Corona-Warn-App erhalten haben oder Personen ohne Symptome, deren Test das Gesundheitsamt angeordnet hat.

Für Reiserückkehrer aus Corona-Risikogebieten im Ausland gilt seit dem 8. August eine Testpflicht.

In Nordrhein-Westfalen können sich bis zum 9. Oktober Mitarbeiter von Kitas und Schulen alle 14 Tage auf SARS-CoV-2 testen lassen. Die Kosten trägt das Land.