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Corona-Pandemie bewirkt Boom der Videosprechstunde in Praxen

25.08.2020 Seite 30
RAE Ausgabe 9/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 9/2020

Seite 30

Kaffeeklatsch per Gruppen-Chat, Geschäftsmeetings per Konferenzschaltung und Sprechstunden per Telefon oder Video. Das ist die neue Normalität in Zeiten von COVID-19. Das Ende März von der Landesregierung NRW verhängte Kontaktverbot machte erfinderisch und trotz der schrittweisen Lockerungen bevorzugen noch immer viele den digitalen Weg, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Auch Ärztinnen und Ärzte haben mit der Videosprechstunde einen Weg gefunden, ihre Patienten weiter zu betreuen und gleichzeitig sich, ihre Mitarbeiter und Patienten zu schützen. Dabei hat die Videosprechstunde auch ihre Grenzen. 

von Jocelyne Naujoks

Knapp zwei Drittel der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland bieten eine Videosprechstunde an oder planen, zukünftig eine einzurichten. Das ist das Ergebnis der bundesweiten Umfrage „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2020“ der Studie Stiftung Gesundheit zusammen mit dem health innovation hub des Bundesministeriums für Gesundheit. Rund 94 Prozent der niedergelassenen Ärzte, die eine Videosprechstunde anbieten, richteten diese erst im Laufe dieses Jahres ein. In Nordrhein zeigt sich ein ähnliches Bild: Waren es Ende 2019 noch rund 50 Praxen, die regelmäßig Videosprechstunden anboten, so stieg deren Zahl laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) Nordrhein seit Beginn der Corona-Pandemie bis Mitte Juni auf 4.000 Praxen – und täglich kommen der KV zufolge neue hinzu.  

Videosprechstunde ermöglicht Abstand und Schutz

Seit April 2017 können Ärztinnen und Ärzte Videosprechstunden anbieten und abrechnen. Damals nutzten 1,8 Prozent der Niedergelassenen Videosprechstunden, wie eine Umfrage der Stiftung Gesundheit aus demselben Jahr zeigte. Knapp 58 Prozent der Befragten sprachen sich damals strikt gegen die Sprechstunde am Bildschirm aus. COVID-19 habe wie „eine Initialzündung für die Nutzung von Videosprechstunden“ gewirkt, lautet das Resümee der Autoren der aktuellen Studie. In der Anfang Juni dieses Jahres veröffentlichten Umfrage gab rund die Hälfte der Hausärzte an, die Videosprechstunde zu nutzen beziehungsweise zu planen, sie zu nutzen. „Die Videosprechstunde wurde in den Corona-Zeiten deshalb getriggert, weil sie es ermöglichte, Abstand und damit Schutz zwischen Praxen und potentiell infektiöse beziehungsweise vulnerable Personengruppen zu bringen“, sagt Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein. Sie bedeute aber gegenüber einem Präsenztermin immer eine Reduktion der Kommunikationsinformationen, so Funken, der auch Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein ist. Bei Patienten mit Multimorbidität oder Handicap könne dies eine Verschlechterung der Versorgung ergeben, gibt Funken zu bedenken.  

„Die Videosprechstunde kann kein dauerhafter Ersatz für das direkte Patientengespräch sein.“

Von den befragten nicht-operativ tätigen Fachärzten sagten 48,5 Prozent, dass sie Videosprechstunden nutzen oder dies zukünftig tun wollen. Rund 86 Prozent der psychologisch, psychotherapeutisch und psychiatrisch tätigen Ärztinnen und Ärzte gaben an, ihre Patienten per Video zu betreuen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hält den Einsatz der Videosprechstunde für ein hilfreiches Instrument in der Corona-Pandemie. So könnten psychisch erkrankte Menschen weiterhin mit ihrem Arzt oder Psychotherapeuten in Kontakt bleiben: „Gegenüber der Therapie via Telefon hat das Video den Vorteil, dass sich Therapeut und Patient face to face begegnen und sichtbar miteinander kommunizieren. Mimik und Gestik sind für die therapeutische Beziehung sehr förderlich“, so die DGPPN. Dennoch könne die Videosprechstunde im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich lediglich eine Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten darstellen und kein dauerhafter Ersatz für das direkte Patientengespräch sein. Ein Problem ist laut DGPPN unter anderem, dass nicht alle Patientinnen und Patienten über die technischen Möglichkeiten verfügen, eine Videosprechstunde einzurichten. Schwer kranke oder wenig technikaffine Patienten seien häufig auch nicht in der Lage, sich eine Videosprechstunde zu organisieren. 

Praxis als Schutzraum fehlt

Auch sei im Sinne der ganzheitlichen Diagnostik und Behandlung im psychiatrischen Bereich insbesondere bei neuen Patienten eine somatische Abklärung notwendig. Dies sei über Video nicht möglich, so die DGPPN. Für viele Patienten biete die Praxis einen Schutzraum und eine Privatsphäre, die wichtig für die Behandlung seien und die manch einem Patienten zu Hause fehlten. Es gebe zudem auch Patienten, die ein direktes Gespräch bevorzugen, die mit der Technik fremdeln und sich darüber nicht öffnen wollen, gibt die Fachgesellschaft zu Bedenken.

Knapp 74 Prozent der befragten Haus- und Fachärzte können sich vorstellen, auch nach Ende der COVID-19-Pandemie bei bis zu einem Fünftel ihrer Patientenkontakte die Videosprechstunde zu nutzen. Der Einsatz der Videosprechstunde könne für Patienten mit eingeschränkter Mobilität oder Patienten, die aus anderen Gründen lieber von zu Hause oder aus der Ferne behandelt werden möchten, auch nach Ende der Pandemie von Vorteil sein, kommentiert die DGPPN.

Dauerhaft werde die Videosprechstunde in der hausärztlichen Routine wahrscheinlich eine Ergänzung sein, um die Notwendigkeiten von Präsenzterminen für Therapiekontrollen zu reduzieren, sagt Oliver Funken. Patienten mit unklaren Symptomen würden aber weiterhin primär persönlich in die Praxen kommen müssen. „In der Zukunft wird sich zeigen müssen, ob multimorbide und betagte Menschen in der Lage sein werden, sich über ein solches Medium ausreichend mit ihrem Hausarztteam auszutauschen“, meint Funken.