Nicht selten fühlen sich Ärztinnen und Ärzte von beruflichen Anforderungen und dem hohen Erwartungs- und Leistungsdruck, der auf ihnen lastet, überwältigt. Mögliche Folgen: Burn-out, Depressionen oder Suizidgedanken. Aber sind Gesundheit und berufliche Zufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten nicht zentral für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung? Dr. Dieter Olbrich, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie über gesellschaftliche Stigmatisierung, Ärzte als Patienten und notwendigen kollegialen Austausch.
RhÄ: Warum gelten Themen wie Depressionen und Burn-out immer noch als gesellschaftliche Tabus?
Olbrich: Psychische Krankheiten oder besser gesagt, seelische Befindlichkeiten sind nicht greifbar. Leistung wiederum ist sehr wohl messbar. Sie ist für viele Unternehmen wichtiger als die sogenannten Soft Skills. Diese gesellschaftliche Einstellung fördert psychische Erkrankungen und Burnout. Diese Stigmatisierung führt dazu, dass dieses Themenspektrum ungern besprochen wird, weder mit dem Haus- noch mit dem Betriebsarzt. Unsere Gesellschaft tut sich ja generell schwer damit, innezuhalten und Ruhe einkehren zu lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass man zum Beispiel zahlreiche Versicherungen nicht abschließen kann, wenn man angibt, dass man beispielsweise Depressionen hat.
RhÄ: Wie sieht es mit Suizidgedanken oder Substanzmittelmissbrauch bei Ärzten aus? Nehmen diese Hilfsangebote an oder hindert sie die Angst vor einem eventuellen Approbationsentzug, sich Unterstützung zu suchen?
Olbrich: Ärzte haben höchste Ansprüche an sich selbst. Dazu kommt der Druck von außen, immer bereit zu sein, Menschen zu helfen. Wer dann das Gefühl hat, diesem Ideal nicht zu genügen, schämt sich. Wenn ich an diesem Punkt angekommen bin, müsste ich mich eigentlich jemandem anvertrauen, sei es dem Partner, einer Kollegin oder einem Kollegen. Das fällt vielen natürlich schwer. Ärztinnen und Ärzte haben eine drei Mal höhere Suizidrate als die Durchschnittsbevölkerung. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass diese Berufsgruppe hochgradig gefährdet ist für Alkohol- und Substanzmittelmissbrauch.
RhÄ: Wie schwierig ist es für Ärztinnen und Ärzte, selber Patient zu sein?
Olbrich: Sehr schwierig (lacht). Man benötigt dazu ja die Fähigkeit, sich selbst infrage stellen zu können. Man muss außerdem eingestehen, dass es gut ist, wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege die eigenen Symptome einmal anschaut. Es ist auch deshalb schwierig, weil die meisten Ärztinnen und Ärzte gar keinen Hausarzt haben. Dieser Rollenwechsel, diese andere Perspektive ist schwer anzunehmen. Das gilt übrigens auch für andere medizinische Berufe. Einige Kliniken machen dazu tolle Mitarbeiter-Fortbildungen – dann legt sich das Personal in die Betten. Man kann das Loslassen und den Rollenwechsel nämlich durchaus erlernen.
RhÄ: Wie könnte man den Belastungen des ärztlichen Berufsalltags entgegenwirken?
Olbrich: Es gibt verschiedene Methoden und Wege, um seine psychische Gesundheit zu schützen. Das können etwa Balintgruppen oder Workshops zur Förderung des persönlichen Selbstmanagements sein, in denen eine bessere Selbstregulation vermittelt wird. Diese Angebote wären auch an Universitäten und Kliniken leicht zu etablieren. Für viele ist der Weg im Selbstmanagement einfacher und effektiver. Selbstregulation meint die Fähigkeit, auch ungeliebte Tätigkeiten wie zum Beispiel bürokratische Anforderungen in einer gelassenen, zu mir passenden inneren Haltung durchzuführen. Bei Aktivitäten, die ich mag, gelingt das sowieso schon leicht, sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext. Die zweite Form des Selbstmanagements ist die Selbstkontrolle: Ich beiße die Zähne zusammen und zwinge mich, bestimmte Dinge zu tun. Wir brauchen beides in unserem Alltag, aber auf das gesunde Mischungsverhältnis kommt es an: zu viel Selbstkontrolle demotiviert und macht auf Dauer krank. Ein Drittel Selbstkontrolle, und zwei Drittel Selbstregulation wären das Ziel.
RhÄ: Was kann und sollte man tun, wenn man sich um überlastete Kolleginnen und Kollegen sorgt?
Olbrich: Man sollte betroffene Kolleginnen und Kollegen immer offen ansprechen, natürlich sofern die Beziehung dies hergibt. In solch einer Situation kommt auch bei Ärzten, zumindest in der Klinik, der Vorgesetzte ins Spiel. Er trägt Verantwortung für die psychische Gesundheit seiner Belegschaft. Man sollte seine Besorgnis nicht als Vorwurf formulieren, damit ist niemandem geholfen. Es geht darum, dass der oder die Betroffene sich helfen lässt, um wieder gesund zu werden. Schweigen ist das Schlimmste.
In diesem Zusammenhang hat mich mein Workshop vom vergangenen Beratungstag bei der Ärztekammer Nordrhein sehr beeindruckt. Damals kamen knapp 18 Leute in einem geschützten Raum zusammen und äußerten sich zu den psychischen Belastungen ihres Berufsalltags. Das ist ein wunderbares Konzept. Oftmals will ich nicht direkt in eine Klinik, um mich beraten zu lassen. Ich benötige einfach einen kollegialen Austausch.
RhÄ: Ärztegesundheit ist für eine effektive Patientenversorgung also essentiell?
Olbrich: Absolut, und auch dazu gibt es Befunde. Ärzte, die depressiv sind, machen mehr Fehler, denn ein häufig auftretendes Symptom sind Konzentrationsstörungen.
Das Interview führte Vassiliki Latrovali.
Dr. Dieter Olbrich, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Neurologie und Psychiatrie, war lange Direktor des Reha-Zentrums in Bad Salzuflen und ist heute Ärztlicher Leiter der GUSI-Akademie für Prävention, Stressmedizin und Rehabilitation in Blomberg.