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Praxis

„Das Virus ist ein Eichhörnchen“

23.09.2020 Seite 21
RAE Ausgabe 10/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2020

Seite 21

Die kalt-nasse Jahreszeit naht und mit ihr womöglich die sogenannte zweite Welle der Corona-Pandemie. Es stellt sich die Frage: Was haben wir aus der ersten Welle gelernt und wie können sich Ärzte und deren Mitarbeiter in den nordrheinischen Arztpraxen auf den Herbst vorbereiten? Bei einem Live-Online-Seminar des Instituts für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN) gemeinsam mit dem Verband für medizinische Fachberufe diskutierten Experten Anfang September praktikable Lösungen und Wege der Zusammenarbeit.  

von Jocelyne Naujoks

Letztendlich werde der Arzt immer wieder vor dieselbe problematische Entscheidung gestellt, ob von einem Patienten eine hohe oder niedrige Infektionsgefahr ausgehe, sagte Dr. Oscar Pfeifer, Facharzt für Allgemeinmedizin in Essen. In den kommenden Wochen rechneten die Hausärztinnen und -ärzte mit vielen Patienten, die mit Erkältungssymptomen in die Praxen kommen. Wann ein Patient ein höheres Risiko habe, mit dem Coronavirus infiziert zu sein, müsse der Arzt individuell entscheiden, erklärte Pfeifer Anfang September bei einem Live-Online-Seminar zum Thema „Infektionsschutz in der Arztpraxis“, das vom Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein in Kooperation mit dem Verband für medizinische Fachberufe organisiert wurde. 

„Der Schlüssel zum Erfolg ist das Telefon.“

„Das Virus ist ein Eichhörnchen. Es gibt Corona-Patienten mit symptomlosen Verläufen und dann gibt es die eigenartigsten Symptome. Dazu kommt, dass sich das Virus anscheinend verändert und sich in seinen Unterentwicklungen möglicherweise auch nur als Schnupfen zeigt“, gab Pfeifer zu Bedenken. Ärztinnen und Ärzte benötigten Kriterien, anhand derer sie entscheiden könnten, wann sie beispielsweise auf das Coronavirus testen sollten, sagte der Hausarzt. 

„Der Schlüssel zum Erfolg ist das Telefon. Jeden Patienten, den man steuern kann, kann man im Risiko sehr viel besser kontrollieren“, sagte Pfeifer. Ob sich Patienten vor dem Praxisbesuch telefonisch anmeldeten, liege in der Hand des Arztes und des Praxispersonals. Pfeifer rät daher, den Patientenfluss anhand bestimmter Kriterien zu steuern und vorab zu klären, ob ein Patient zum Beispiel Symptome zeige, Kontakt zu einem Infizierten hatte oder die Corona-Warn-App einen Risikokontakt gemeldet hat. „So können Sie das Risiko, dass Sie – uninformiert – mit einem Corona-Infizierten in Kontakt kommen, niedrig halten“, meinte Pfeifer. Bei Unklarheiten im Zusammenhang mit möglichen Gefahren durch COVID-19 oder in den Fällen, in denen Patienten Kontakt zu infizierten Personen hatten, helfe das Gesundheitsamt weiter. 

Das Anlegen von persönlicher Schutzausrüstung als „gelegentliche Leistung“ ist Pfeifer zufolge schwierig. Der Zeitaufwand sei hoch, Ärzte und Praxispersonal hätten wenig Übung darin, die Handlung sei insgesamt wenig effizient, so Pfeifer. Für wesentlich sinnvoller halte er es, wenn Patienten mit Corona-Verdacht spezielle Ambulanzen aufsuchten, da die Kolleginnen und Kollegen vor Ort routiniert im Umgang mit den Abstrichen seien. Während in vielen Arztpraxen die Trennung von potenziell Infizierten und nicht-infizierten Patienten häufig schwierig sei, seien die Ambulanzen so gebaut, dass der Patientenfluss gut gesteuert werden könne.   

Mund-Nasen-Schutz ist ein Kompromiss

„Es ist ein Kompromiss, dass Praxispersonal und Patienten einen Mund-Nasen-Schutz tragen“, sagte Dr. Stefan Witten vom Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) Köln. Nach den Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 250 falle das Coronavirus in die Risikogruppe drei und verlange in Praxen und Kliniken eine entsprechende Schutzstufe. Das bedeute zum Beispiel die Abtrennung von Arbeitsbereichen durch Schleusen oder Ähnliches, die Beschränkung der Mitarbeiterzahl auf ein Minimum sowie das Tragen von FFP2-Masken. Bereits in Schutzstufe zwei, die grundsätzlich für Arztpraxen gelte, seien FFP2-Masken vorgeschrieben, wenn sich Patienten mit Verdacht auf eine Erkrankung vorstellten, die durch luftübertragbare Erreger verursacht werde. 

Grundsätzlich sei die Schutzstufe drei in den Praxen schwierig umzusetzen, so Witten. Insbesondere die räumliche Abtrennung sei in einigen Praxisräumen kaum möglich. Eine FFP2-Maske ohne Ausatemventil und eine Schutzbrille sind nach den Branchenstandards der BGW immer dann verpflichtend, wenn der Patient keinen Mund-Nasen-Schutz trägt. 

„Die TRBA 250 ist explizit in allen Details auf COVID-19 vorbereitet“, fügte Allgemeinmediziner Pfeifer hinzu. „Jedes vernünftige Hygienehandbuch in einer Praxis sollte die Mitarbeiter auf den Umgang mit aerogenen Infektionen strategisch vorbereiten“, sagte er. Er empfiehlt auch, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen im Tragen von Schutzmasken zu schulen. Ob eine Maske wirke, hänge davon ab, ob sie richtig benutzt werde.

Überlastete Gesundheitsämter 

Das Gesundheitsamt Düsseldorf hat das Pandemie-Management angesichts der personellen Unterbesetzung und der mangelhaften technischen Ausstattung vor eine große Herausforderung gestellt, resümierte Dr. Hannah Höglund-Braun aus der Abteilung Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz des Gesundheitsamts Düsseldorf. „Die Aufgaben, die wir als Öffentlicher Gesundheitsdienst in der Pandemie übernommen haben, konnten wir nur zulasten anderer Aufgaben bewältigen.“ Schuleingangsuntersuchungen, amtsärztliche Begutachtungen oder Beratungsangebote konnten nur zum Teil wahrgenommen werden, so Höglund-Braun.  

„Die Einrichtung einer Drive-In-Teststation ergänzend zu einer Diagnosepraxis in der Mitsubishi Electric Halle ermöglichte es, eine große Zahl von Patienten zu testen. Das war nötig, weil im Frühjahr die Testkapazitäten in den Arztpraxen unter anderem mangels Schutzausrüstung nicht ausreichten“, sagte Höglund-Braun. Anfang August wurde die Zahl der Abstriche auf 2.800 pro Tag erhöht. Grund dafür seien die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten, das kostenlose Testangebot für andere Reiserückkehrer sowie die regelmäßigen Testmöglichkeiten für Lehrer und Erzieher zum Schulstart gewesen. Inzwischen habe man diese Kapazitäten wieder reduzieren können. „Mittlerweile nehmen wenigstens 100 Praxen in Düsseldorf Abstriche ab“, betonte Höglund-Braun.