Neben dem hippokratischen Eid schwören Sanitätsoffizierinnen und -offiziere der Bundeswehr mit ihrem Diensteid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Wie wirkt sich dies auf das Selbstverständnis der „Ärzte in Uniform“ aus? Wie unterscheidet sich ihr ärztlicher Alltag von dem ihrer Kolleginnen und Kollegen in zivilen Praxen und Krankenhäusern? Und wie ist der „Dienst an der Waffe“ mit dem ärztlichen Ethos vereinbar? Diese Fragen stellte das Rheinische Ärzteblatt Oberstabsarzt Hendrik Meendermann vom Sanitätsversorgungszentrum Köln-Wahn.
RÄ: In Ihrem Dienstgrad stecken zwei Titel: Stabsoffizier und Arzt. Mit welchem der beiden identifizieren Sie sich mehr?
Meendermann: Ich bin Offizier und Arzt und das lässt sich nur schwer trennen. Ich versuche, beides miteinander in Einklang zu bringen. Mein Patient ist mein Patient mit seinen Sorgen, Ängsten, Nöten und Krankheiten – ob er Gefreiter oder General ist, spielt dabei keine Rolle. In meiner täglichen Arbeit als Truppenarzt bin ich vor allem Arzt. Neben der Fürsorge für meine Patientinnen und Patienten habe ich auch dienstliche Verpflichtungen als Vorgesetzter.
RÄ: Wieso haben Sie sich für ein Medizinstudium bei der Bundeswehr entschieden?
Meendermann: Als mir klar war, dass ich Medizin studieren will, habe ich mich umgesehen, wo das mit meinem Notendurchschnitt möglich ist. Da ich ursprünglich Unfallchirurg werden wollte, lag die Bundeswehr für mich nahe. In einem dreitägigen Assessment Center prüft die Bundeswehr zunächst die Tauglichkeit zum Offizier. Danach folgt ein Auswahlgespräch. Neben dem NC spielen hier zum Beispiel auch charakterliche Eignung, Motivation und Erfahrungen des Bewerbers eine Rolle. Meiner Meinung nach ist der Ansporn der angehenden Soldatinnen und Soldaten, Medizin zu studieren, sehr hoch. Sie haben sich schon intensiv mit dem Beruf beschäftigt. Sie wollen Ärzte sein.
„Jeder Sanitätsoffizier wird im allgemeinmedizinischen Bereich eingesetzt.“
RÄ: Wie gestalten sich das Medizinstudium und die Facharztweiterbildung bei der Bundeswehr?
Meendermann: Wir studieren Medizin an einer zivilen Universität. Vorher haben wir eine dreimonatige Grundausbildung. Ein Vorteil beim Studium bei der Bundeswehr ist, dass wir schon als Offiziersanwärter ein Ausbildungsgeld bekommen. Wir haben Betreuungsoffiziere, die darauf achten, dass alles nach Plan läuft. Sie sind bei Problemen unsere Ansprechpartner und die Verbindungsstelle zwischen Studium und Dienststelle.
Die ersten zwei Jahre der Weiterbildung absolvieren wir im Bundeswehrkrankenhaus. Im Anschluss wird jeder Sanitätsoffizier unabhängig von seiner Facharztweiterbildung im allgemeinmedizinischen Bereich eingesetzt, so wie ich jetzt als Truppenarzt in der Kompanie. Danach geht es zurück ins Krankenhaus. Ich werde meine Weiterbildung zum Facharzt für Anästhesie voraussichtlich im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus Koblenz fortsetzten. Für einige Stationen werde ich auch an ein ziviles Krankenhaus gehen.
RÄ: Sie sind Truppenarzt. Übersetzt bedeutet das, Sie sind der Hausarzt der Soldatinnen und Soldaten. Inwiefern unterscheidet sich Ihre ärztliche Tätigkeit von der eines niedergelassenen Arztes?
Meendermann: Zwischen sieben und neun Uhr ist bei uns die sogenannte „Neukrankenmeldezeit“. Das heißt, hier melden sich alle Soldatinnen und Soldaten bei uns, die sich akut krank und nicht dienstfähig fühlen. Danach beginnt die Terminsprechstunde. Hier unterscheiden wir uns wenig von einem zivilen Hausarzt. Vieles heißt einfach nur anders: Wir stellen keine AU aus, sondern die Kameraden sind „kzH“, sprich krank zu Hause. Wir sind hier in Köln-Wahn sieben Truppenärzte. Unterstützt werden wir von Medizinischen Fachangestellten und Auszubildenden.
Anders als ein ziviler Hausarzt sehen wir als Truppenärzte die Kameradinnen und Kameraden immer vor einer Facharztkonsultation. In den allermeisten Fällen überweisen wir dann an Fachärzte bei der Bundeswehr. Nur wenn dies nicht möglich ist, weil es zum Beispiel keine Fachärzte für Gynäkologie in der Nähe gibt, greifen wir auf zivile Ärztinnen und Ärzte zurück.
RÄ: Welche Vorteile oder auch Nachteile hat es für Sie, als Arzt bei der Bundeswehr zu arbeiten?
Meendermann: Neben der normalen ärztlichen Tätigkeit bekomme ich als Arzt bei der Bundeswehr Einblicke in Bereiche, die zivilen Kolleginnen und Kollegen verschlossen bleiben. Ich kann zum Beispiel als Schießarzt auf dem Truppenübungsplatz oder als Arzt beim Absetzplatz der Fallschirmjäger eingesetzt werden. Die Bundeswehr ist meines Erachtens auch sehr großzügig mit Aus-, Fort- und Weiterbildung. So wird der Großteil der Sanitätsoffiziere zum Notarzt ausgebildet.
Gleichzeitig ist man als Arzt bei der Bundeswehr auch Befehlsempfänger. Ich werde dort eingesetzt, wo Bedarf ist. Das verlangt viel Flexibilität. Das Ausmaß dessen, was diese Flexibilität bedeutet, lernt man sicher erst mit der Zeit verstehen.
„Ein Sicherheitsanker für die Kameraden“
RÄ: Wie sehen Sie Ihre Rolle als Arzt in Auslandseinsätzen?
Meendermann: Als Arzt kann ich in verschiedenen Funktionen in den Auslandseinsatz gehen. Ich kann die Soldatinnen und Soldaten zum Beispiel als Hausarzt in den Einsatz begleiten. Auch dort haben die Kameraden Husten, Schnupfen oder Rückenschmerzen. Meine Aufgabe ist wie im Inland die Versorgung der Patienten. Sanitätsoffiziere berichten, dass sie im Auslandseinsatz noch stärker eine Art Sicherheitsanker für die Kameraden sind. Es ist schön für sie, dass jemand da ist, an den sie sich wenden können.
RÄ: Obwohl die Bundeswehr den Sanitätsdienst als einen „waffenlosen Dienst“ beschreibt, tragen auch Soldaten im Sanitätsdienst Waffen und können diese laut Berufsbeschreibung der Bundeswehr auch einsetzen. Die Berufsordnung der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte sagt: „Ärztliche Aufgabe ist es, das Leben zu erhalten.“ Wie bringen Sie diese beiden Berufsprofile übereinander?
Meendermann: Das internationale Völkerrecht sagt, wir sind sogenannte „non combatant“. Das heißt, wir greifen nicht an, sondern verteidigen. Ich trage meine Waffe im Auslandseinsatz aus zwei Gründen: um mein oder das Leben meiner Patienten zu schützen. Im Auslandseinsatz habe ich gegenüber meinen Patientinnen und Patienten eine besondere Fürsorgepflicht. Als Arzt, dessen Aufgabe es ist, Leben zu erhalten, habe ich also wenig ethisch-moralische Bedenken, eine Waffe zu tragen. Ich rette das Leben meines Kameraden und mein eigenes. Muss ich dazu Waffengewalt anwenden, weil man mir mit Waffengewalt begegnet, finde ich das schlecht. Ich kann es aber nicht ändern.
Was es bedeutet, gleichzeitig Arzt und Soldat zu sein, ist mir erst mit der Zeit klar geworden. Wir diskutieren solche ethischen Fragestellungen zum Beispiel auch auf Lehrgängen und können uns hier mit Kameradinnen und Kameraden über unsere Bedenken austauschen.
RÄ: Unterscheidet sich Ihrer Meinung nach das Arzt-Patienten-Verhältnis im militärischen Bereich von einer Arzt-Patienten-Beziehung im zivilen Leben?
Meendermann: Wir haben als Arzt bei der Bundeswehr zwei Hüte auf: Wir sind Behandler und Begutachter. Ich habe ein dienstliches Interesse, dass die Kameraden schnell wieder gesund werden. Wenn ich jemanden krankschreibe, befinde ich mich in einem Zwiespalt. Ich muss mich auf der einen Seite fragen, ob der Kamerad dienstfähig ist und den Kameraden Arbeit abnehmen könnte. Auf der anderen Seite muss ich meinen Patienten schützen.
Das Vertrauen in uns als Sanitätsdienst ist enorm hoch. Ich habe das Gefühl, wir sind im Leben der Patienten Vertrauenspersonen bei medizinischen und bei nicht medizinischen Fragen. Der Vorteil für unsere Patienten ist natürlich, dass wir die Truppe kennen. Der Kamerad muss nicht erst erklären, was zum Beispiel ein Oberst ist.
Das Interview führte Jocelyne Naujoks.