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Praxis

Der letzte ärztliche Dienst am Menschen

27.04.2020 Seite 21
RAE Ausgabe 5/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2020

Seite 21

Rund 400 Ärztinnen und Ärzte informierten sich bei einem Symposium zum Thema ärztliche Leichenschau im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft.

von Jürgen Brenn

Alle Ärztinnen und Ärzte sind bereits während des Medizinstudiums mit dem Thema ärztliche Leichenschau in Berührung gekommen. Beinahe alle sind während ihrer ärztlichen Tätigkeit in die Situation gekommen, eine ärztliche Leichenschau durchzuführen und sehr viele Ärztinnen und Ärzte kennen die Situation, auf der Todesbescheinigung „natürlicher Tod“, „nicht-natürlicher Tod“ oder „ungeklärt“ als Todesart ankreuzen zu müssen. Die Leichenschau in Theorie und Praxis stand im Mittelpunkt einer Fortbildungsveranstaltung, zu der die Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) ins Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft geladen hatte. Rund 400 interessierte Ärztinnen und Ärzte folgten Mitte Februar der Einladung nach Düsseldorf.

Mehr Obduktionen wünschenswert

Dr. Hella Körner-Göbel, Moderatorin der Veranstaltung und Mitglied des Ausschusses Rettungsdienst der ÄkNo, wies ebenso wie Kammerpräsident Rudolf Henke auf die Grenzen der Feststellung der Todesursache während der Leichenschau hin. Die Görlitzer Studie aus dem Jahr 1986/87 habe aufgezeigt, dass nur 55 Prozent der klinischen und pathologisch-anatomisch ermittelten Grundleiden übereinstimmen, sagte Körner-Göbel. „Das macht nachdenklich.“ Für die Studie mit einer nahezu 100-prozentigen Obduktionsquote wurden 1.023 Verstorbene obduziert. Die Ergebnisse zur Todesursache wurden mit den Angaben verglichen, die die Ärzte auf den Todesbescheinigungen zu den Grundleiden gemacht hatten. Körner-Göbel forderte aufgrund der hohen Quoten von Diskrepanzen zwischen klinisch und autopisch festgestellten Todesursachen, die Obduktionsrate auf 40 Prozent aller Verstorbenen zu erhöhen. Dies sei auch vor dem Hintergrund angebracht, dass die Angaben zu Todesursachen die Grundlage für statistische Mortalitätsberichte sind, die wiederum als Basis für politische Entscheidungen herangezogen werden.

Eine Todesbescheinigung sei mehr eine juristische als eine medizinische Urkunde, aber dennoch eine Urkunde, deren Verfälschung oder Manipulation strafbar sei, sagte Professor Dr. Markus Rothschild, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Köln. 

Zu den Aufgaben des Arztes, der zur Leichenschau gerufen wird, gehöre vor allem die Feststellung des Todes und die Identifizierung der Leiche zum Beispiel mit Hilfe der Ausweispapiere des Verstorbenen. Sichere Todeszeichen seien unter anderem Totenflecke, Totenstarre, Fäulnis oder auch Verletzungen, „die mit dem Leben unvereinbar sind“, sagte Dr. Peter Kaup, niedergelassener Allgemeinmediziner in Essen und Vorsitzender der ÄkNo-Kreisstelle Oberhausen. „Totenflecke treten bereits nach 15 bis 20 Minuten im Nacken oder hinter den Ohren auf“, so Rothschild. Um diese zu erkennen und insgesamt eine sorgfältige Leichenschau durchzuführen, sei eine ausreichende Beleuchtung hilfreich. Dies sei in Schlafzimmern mit Stromsparlampen nicht immer gegeben, sagte Kaup.
 

Als Todeszeitpunkt gelte in der Regel der letzte Atemzug oder das Ende von Wiederbelebungsversuchen, erläuterte Rothschild. Wird ein Mensch leblos aufgefunden, so könne der Zeitpunkt der Auffindung der Leiche, das Datum auf einer Zeitung oder auch die Aussage des Hausmeisters, wann er die Person zuletzt lebend gesehen habe, einen Hinweis auf den Todeszeitpunkt geben. Rothschild zufolge kann hilfsweise auch ein Zeitraum in der Todesbescheinigung angegeben werden. Kaup ergänzte, dass bei unklarem Todeszeitpunkt auch relativierende Zusätze wie „etwa“ oder „ungefähr“ in der Todesbescheinigung eingetragen werden können. Auf die Feststellung des Todeszeitpunkts sollten Ärztinnen und Ärzte Wert legen, sagte der Rechtsmediziner Rothschild. Dieser könne zum Beispiel versicherungs- oder vertragsrechtliche Relevanz haben.

Todesart und Todesursache

Eine der wichtigsten Angaben auf der Todesbescheinigung sei die Todesart, wobei dies ein juristischer Begriff sei, sagte Rothschild. Wo der Arzt sein Kreuz macht, ob bei „natürlicher Tod“, bei „ungeklärt“ oder bei „nicht natürlicher Tod“, bestimmt den weiteren Verlauf der Leichenschau. 

Die „Todesursache“ hingegen sei eine medizinische Bezeichnung. Dabei müssten die Ärztinnen und Ärzte Kausalketten bilden, bei denen „retrograd“ zu denken sei, so Rothschild. Kaup ergänzte, dass die Ärztin oder der Arzt auch ein Grundleiden angeben müsse, zum Beispiel Arteriosklerose, Koronararteriensklerose oder Myokardinfarkt. Eine Kausalkette sei in vielen Fällen nicht leicht herzustellen, so Rothschild. Ohne Obduktion etwas Gesichertes zu sagen, gehe kaum. „Bei rund 30 Prozent liegen wir falsch“, so der Rechtsmediziner.

Wird eine natürliche Todesart bescheinigt, bleibt der Todesfall eine familiäre Angelegenheit. Hat die Ärztin oder der Arzt allerdings nur den „Hauch eines Verdachts“, dass die Todesart nicht natürlich sein könnte, etwa durch Einwirkungen von außen, dann sollte laut Rotschild als Todesart „ungeklärt“ oder „nicht natürlich“ angekreuzt werden. Ihm sei natürlich bewusst, dass das sich anschließende Verfahren sowohl für die Angehörigen als auch für den Arzt, der die Leichenschau vornimmt, unangenehm sein könne. Denn in diesem Augenblick werde aus der Privatangelegenheit ein öffentliches Todesermittlungsverfahren. Der Arzt unterbricht die Leichenschau und ruft die Polizei.

Partner und nicht Gegner

Der Arzt sei bis zum Eintreffen der Polizei dafür verantwortlich, dass die Leiche und die Umgebung nicht mehr verändert werden, sagte der Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Markus Dreisewerd. In Düsseldorf wurden 2019 in insgesamt 1.744 Fällen die Ermittlungsbehörden eingeschaltet. In 280 Fällen wurde eine Obduktion angeordnet. Die Behörden sind  „Partner und nicht Gegner“ in dem Verfahren, betonte Dreisewerd, auch wenn ihre Arbeit vor Ort besonders für die Angehörigen sehr belastend sein könne. „Wir machen eine objektive sowie subjektive Befunderhebung in sehr ausführlicher Form mit zahlreichen Fotos und einem rund acht- bis neunseitigen Bericht“, erläuterte Dreisewerd. Dazu gehöre neben einer kompletten Leichenschau auch die Befragung der Angehörigen und weiterer Personen auch zur Krankenvorgeschichte sowie die Untersuchung der Wohnung oder des Ortes, an dem die Leiche aufgefunden wurde. „Bei der Befragung der Angehörigen versuchen wir sensibel vorzugehen“, so Dreisewerd. „Allerdings müssen wir Fragen stellen“, zum Beispiel auch zur Erbschaft und den möglichen Erben. Danach werde die Leiche beschlagnahmt und in das Institut für Rechtsmedizin überführt. Auch würden zum Teil Gegenstände mitgenommen, die weitere Hinweise auf die Todesumstände geben könnten, und die Wohnung von allein lebenden Personen wird versiegelt. Bei dem Verfahren gehe es vor allem darum zu prüfen, ob Hinweise auf einen nicht natürlichen Tod festgestellt werden können. Die Staatsanwaltschaft entscheidet laut Dreisewerd darüber, ob eine Straftat vorliegt. Sind keine Anhaltspunkte dafür festzustellen, wird das Verfahren eingestellt, die Leiche freigegeben und die beschlagnahmten Gegenstände und die Wohnung werden an die Angehörigen zurückgegeben. „Auch dabei führen wir nochmals Gespräche mit den Hinterbliebenen“, so Dreisewerd und appellierte an die ärztlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Beim leisesten Verdacht auf eine nicht natürliche oder ungeklärte Todesart sollte die Leichenschau abgebrochen und dies klar in der Todesbescheinigung vermerkt werden.“ Auch sei es hilfreich, wenn der Arzt seine Kontaktdaten für eventuelle Rückfragen auf der Todesbescheinigung vermerkt. Die ärztliche Schweigepflicht sei durch das Bestattungsgesetz NRW ausgehebelt. Es bestehe eine Auskunftspflicht auch des bisher behandelnden Arztes, ergänzte der Rechtsmediziner Rothschild.

Neue GOÄ-Nummern seit Anfang 2020

„Die Abrechnung der ärztlichen Leichenschau ist seit dem 1. Januar 2020 in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) mit einer erheblich besseren Vergütung für den die Leistung erbringenden Arzt neu geregelt“, sagte Dr. Stefan Gorlas von der GOÄ-Abteilung der Ärztekammer Nordrhein auf dem Symposium zur Leichenschau. Die wesentlichen abrechnungsfähigen Gebührennummern sind 100, 101 und die Zuschläge 102 sowie F bis H. Die GOÄ unterscheidet zwischen einer „vorläufigen Leichenschau“ (Nummer 100; Betrag: 110,52 Euro) und der „eingehenden Leichenschau“ (Nummer 101; Betrag: 165,77 Euro). Der Zuschlag nach Ziffer 102 von 27,62 Euro kann dann angesetzt werden, wenn dem Arzt ein zusätzlicher Zeitaufwand von mindestens zehn Minuten dadurch entsteht, dass ihm die Leiche nicht bekannt war oder „besondere Todesumstände“ vorliegen. Die Zuschläge F bis H beziehen sich auf Leistungen, die zwischen 20 und 22 oder 6 und 8 Uhr (Zuschlag F), zwischen 22 und 6 Uhr (Zuschlag G) oder an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen erbracht wurden, erläuterte Gorlas. Zu diesen Gebührennummern und Zuschlägen hinzu kommt das Wegegeld nach § 8 GOÄ oder, falls der Arzt oder die Ärztin eine Entfernung von mehr als 25 Kilometern (einfache Strecke) zurücklegen musste, eine Reiseentschädigung nach § 9 GOÄ. 

Die vorläufige Leichenschau nach GOÄ-Nummer 100 von mindestens 20 Minuten Dauer ohne die Anfahrtszeit schließt auch das Ausstellen einer vorläufigen Todesbescheinigung mit ein. Dauert diese Leistung zwischen zehn und 20 Minuten, können lediglich 60 Prozent (66,31 Euro) abgerechnet werden.

Die eingehende Leichenschau nach GOÄ-Nummer 101 dauert mindestens 40 Minuten ohne die Anfahrtszeit und beinhaltet neben der eingehenden Untersuchung des Leichnams das Ausfüllen der Todesbescheinigung mit Angaben zu Todesart und -ursache. Lediglich 60 Prozent (99,46 Euro) können angesetzt werden, wenn die eingehende Leichenschau zwischen 20 und 40 Minuten dauert.

Zu beachten ist bei der Neuregelung, dass die Nummern 100-102 GOÄ nur mit dem einfachen Gebührensatz berechnungsfähig sind und die in diesen Gebührennummern aufgeführte Mindestdauer gemäß § 12 GOÄ in der Rechnung angegeben werden muss.

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