Als einziges Land der Europäischen Union erlaubt Deutschland Reklame für Tabakprodukte auf Plakaten und in Kinos. Dabei ist längst bewiesen, dass Werbung für Zigaretten und Co. gerade Jugendliche und junge Erwachsene zum Rauchen verführt. Daniela Ludwig, seit September Drogenbeauftragte der Bundesregierung, forderte ein umfassendes Werbeverbot auch für E-Zigaretten. Ein Positionspapier der Fraktion CDU/CSU sieht ein gestaffeltes Werbeverbot für E-Zigaretten ab 2024 vor. Das Rheinische Ärzteblatt sprach mit Daniela Ludwig über einen Gesetzentwurf zum Tabakwerbeverbot, gesellschaftliche Tabus bei Suchtkrankheiten sowie Suchtmedizin in Medizinstudium und Weiterbildung.
RÄ: Frau Ludwig, Sie haben sich in den vergangenen Jahren vor allem dem Thema Verkehr und digitale Infrastruktur gewidmet. Da liegt das Amt der Drogenbeauftragten nicht gerade auf der Hand. Und trotzdem haben Sie sich dafür entschieden, warum?
Ludwig: Ich bin direkt gefragt worden, ob ich das machen möchte. Das Amt verlangte nach jemandem, der sturmerprobt und vorurteilsfrei und gleichzeitig in der Lage ist, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Nach kurzem Überlegen habe ich dann gerne zugesagt. Schließlich ist der Job der Drogenbeauftragten Herausforderung und Ehre zugleich. So eine Chance bietet sich auch nicht jeden Tag.
RÄ: Was versprechen Sie sich von einem Tabakwerbeverbot?
Ludwig: Tabakwerbung wirkt. Und zwar vor allem auf junge Menschen. Sie werden direkt angesprochen, Tabak und E-Produkte zu kaufen und zu konsumieren, das ist beziehungsweise war das Ziel. Durch das jetzt beschlossene Positionspapier sind wir einen großen Schritt weiter in Richtung Gesetz. Das wurde auch Zeit! Wenn die Werbung endlich aus unserem Blickfeld verschwindet, dann wird Kindern und Jugendlichen nicht mehr vorgegaukelt, dass Vapen (aus dem Englischen „to vape“ abgeleitet für „eine E-Zigarette dampfen“, Anm. d. Red.) oder Rauchen cool ist. Im Klartext: Ich verspreche mir langfristig einen rückläufigen Trend bei den Konsumzahlen, sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Jugendlichen.
„Ich verspreche mir langfristig einen rückläufigen Trend bei den Konsumzahlen“
RÄ: Das Positionspapier sieht ein Außenwerbeverbot für Tabakprodukte ab 2022, für Tabakerhitzer ab 2023 und für E-Zigaretten ab 2024 vor – also erst in vier Jahren. Doch gerade Jugendliche greifen laut dieses Positionspapiers immer häufiger zu E-Zigaretten. Es bestehe auch die Gefahr, dass Jugendliche von E-Zigaretten auf andere Tabakprodukte wechseln, so heißt es. Was halten Sie von dieser Staffelung?
Ludwig: Diese Staffelung ist nicht ideal. Ich werde das Thema noch einmal ansprechen und schauen, ob wir im Gesetzentwurf diesbezüglich nachsteuern können. Diese Staffelung ist ein Entgegenkommen sowohl an die Kommunen als auch an die Industrie. Ob das nötig ist, bezweifle ich ehrlich gesagt. Schließlich ist das Thema seit der Unterzeichnung des WHO-Rahmenübereinkommens im Jahr 2003 – also seit nunmehr 16 Jahren – bekannt. Überrascht darf daher eigentlich niemand mehr sein.
RÄ: Gerade die verschiedenen Geschmackssorten wie Vanille oder Erdbeere machen E-Zigaretten für Jugendliche attraktiv. Ein Werbeverbot allein wird diese Entwicklung sicher nicht aufhalten. Welche weiteren Maßnahmen halten Sie für notwendig, um den Konsum von E-Zigaretten bei Jugendlichen einzuschränken?
Ludwig: Es ist nicht akzeptabel, dass süßlich schmeckende, nikotinfreie Liquids auf dem Markt sind, die bisher in keine klare Regulierung fallen. Oft sind es gerade die nikotinfreien Liquids, die in ihrer Zusammensetzung unklar sind. Damit besteht ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko. Daher ist das Werbeverbot auf alle Tabak- und Dampfprodukte, egal, ob mit oder ohne Nikotin auszudehnen. Damit ist es aber nicht erledigt. Wir brauchen weiterhin eine umfangreiche Prävention, die bei den Jugendlichen ankommt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist hier dran und hat auch das Thema Shishas im Blick. Es bleibt also einiges zu tun.
RÄ: Wo müsste Prävention ansetzen, um den Konsum von harten Drogen zu verringern?
Ludwig: Bei der Prävention gilt: Je früher, je besser! Im Schnitt dauert es knapp zehn Jahre, bis Menschen sich in eine Suchthilfe, Beratung oder Ambulanz begeben. Das ist zu spät! Menschen die suchtkrank sind, müssen früher erreicht werden. Das bedeutet auch, dass wir die gesellschaftlichen Hemmungen überwinden, überhaupt über Abhängigkeit und Drogenkonsum zu sprechen. Das ist das Eine. Darüber hinaus müssen wir im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit die Länder, aus denen die Drogen stammen, dazu bewegen, sich vehementer gegen Kartelle und Drogenkriminalität zu stellen. Nicht durch pure Repression, sondern mit gesamtheitlichen Konzepten wie Unterstützung bei alternativer Entwicklung für die Landwirtschaft. Hier fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bereits einige Projekte in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
RÄ: Sie haben das fehlende Engagement der Ärzteschaft in der Substitution für Suchtkranke beklagt. Woran machen Sie dieses fest?
Ludwig: Wenn wir uns anschauen, wie viele Substitutionspatienten auf wie viele Ärzte kommen, sehen wir hier schnell eine Schieflage. Seit 2012 haben wir in Deutschland einen Rückgang von substituierenden Ärztinnen und Ärzten, aber einen stetig wachsenden Bedarf der Patienten. In Zahlen: 2.585 Ärzte müssen knapp 80.000 Patientinnen und Patienten betreuen. Während die erste Zahl stetig abnimmt, steigt die zweite Zahl seit Jahren. Außerdem haben wir keine flächendeckende Versorgung, keine ausgewogene Verteilung in Deutschland. Wir haben also neben insgesamt zu wenigen Ärzten auch in einigen ländlichen Regionen gar keine Versorgung. Hinzu kommt, dass die Substitutionsärzte im Schnitt 60 Jahre alt sind. Was passiert, wenn diese in Ruhestand gehen? Hier müssen zügig Antworten her – die Lage insgesamt muss dringend verbessert werden.
RÄ: Wie möchten Sie mehr Ärztinnen und Ärzte für die Substitution gewinnen?
Ludwig:Wir müssen zunächst das Thema „Sucht“ im Medizinstudium als festes Modul verankern. Suchtmedizin sollte auch in der Weiterbildung ihren Platz finden. Hier müssen die richtigen Anreize geschaffen werden. Wenn wir in Deutschland über Entstigmatisierung und Enttabuisierung des Themas Sucht und Abhängigkeit sprechen, dann schließt dies natürlich auch die angehenden und bereits praktizierenden Ärztinnen und Ärzte mit ein. Ich werde mich mit dem Präsident der Bundesärztekammer dazu austauschen und auch im kommenden Jahr mit den wichtigen Akteuren dazu beraten. Ohne die Unterstützung der Ärzteschaft wird es uns nicht gelingen, die Situation zu verbessern und den suchtkranken Menschen die Hilfe zu geben, die sie so dringend benötigen.
RÄ: Während Rauchen zunehmend „out“ ist, wird Cannabis insbesondere unter Jugendlichen zur neuen „In-Droge“. Was ist notwendig, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Ludwig: Ich halte es für überfällig, dass wir bei der Prävention mehr Gas geben! Dazu gehört nicht nur der Ausbau der bereits vorhandenen, guten Materialien, sondern auch der Schritt, mehr auf die Jugendlichen zuzugehen. Wir müssen ihnen klar machen, in ihrer Sprache und nicht von oben herab, dass Kiffen langfristige gesundheitliche Schäden verursachen kann, die nie mehr heilen. Ich spreche von Depressionen, Schizophrenie und Abhängigkeit. Das ist bei vielen leider noch nicht angekommen, hier müssen wir nachlegen.
Das Interview führte Jocelyne Naujoks
E-Zigaretten werden beliebter
Deutschland verpflichtete sich bereits im Jahr 2003 in einem Rahmenabkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC), den Konsum von Tabakprodukten durch ein umfassendes Tabakwerbeverbot zu reduzieren. Laut Drogen- und Suchtbericht 2019 erreichten die Ausgaben für Tabakwerbung im Jahr 2017 rund 247 Millionen Euro. Im Vergleich lagen die Kosten 2008 noch bei 193 Millionen Euro. Die Zahl der 12- bis 17-jährigen Raucher nimmt derweil stetig ab. Das zeigt eine Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) 2018. Rauchten 2001 noch 27,5 Prozent der Jugendlichen, waren es 2018 noch 6,6 Prozent. Von den 18- bis 25-Jährigen rauchten 2001 44,5 Prozent, im Jahr 2018 noch 24,8 Prozent. Anders sieht es bei E-Zigaretten aus. Gerade bei jungen Heranwachsenden steigt das Interesse an der elektronischen Variante: Rund 27 Prozent der 18- bis 25-Jährigen haben bereits einmal eine E-Zigarette ausprobiert, im Jahr 2012 waren es rund 18 Prozent.