Vorlesen
Forum

Nur Schall und Rauch?

27.02.2020 Seite 23
RAE Ausgabe 3/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2020

Seite 23

Palmen, Strand und Nebelschwaden: Anfang der 2000er erschienen in Kalifornien die ersten „Vaper“ auf der Bildfläche. Der Trend schwappte mit Hilfe sozialer Medien nach Europa über. Mittlerweile dürfen E-Zigaretten in Deutschland nur noch von Erwachsenen gekauft und öffentlich konsumiert werden. © Evgeny Lobanov/stock.adobe.com
Strawberry Twister, Cookies and Cream, Vanilla Custard – man könnte meinen, dass sich hinter diesen wohlklingenden  Namen leckere Desserts verbergen. Tatsächlich handelt sich um sogenannte Liquids zum Befüllen von E-Zigaretten und E-Shishas. Aktuelle Studien aus Deutschland und den USA zeigen, dass auch die elektronische Variante des Glimmstengels ihre Gefahren birgt.

von Vassiliki Latrovali

Vor rund 15 Jahren wurde man in den hippen Bars und Cafés des sonnigen Kaliforniens plötzlich von süßlich duftenden Rauchschwaden umhüllt. Die Trendsetter der amerikanischen Westküste hatten das „Vapen“ für sich entdeckt. Propagiert wurde ein Rauchen ohne krebserregende Stoffe, wahlweise sogar ganz ohne Nikotin, aber in jedem Fall mit tollem Geschmack und einer Rauchwolke, die sich sehen lassen kann. Über die sozialen Medien gelangte der Hype um die E-Zigarette auch nach Europa. Obwohl die Tabakindustrie zunächst an einen nur kurzlebigen Erfolg glaubte, musste sie sich nach geraumer Zeit eingestehen, dass sie an der elektronischen Variante ihres Produktes nicht mehr vorbeikam. Sie rüstete nach, die Verkaufszahlen stiegen – nicht zuletzt durch intensives Marketing und riesige Werbeplakate. 
Mittlerweile ist Deutschland das einzige Land der Europäischen Union, in dem Zigarettenhersteller für ihre Produkte werben dürfen. Ein umfassendes Tabakwerbeverbot ist in der Politik immer noch umstritten. Nach Änderungen des Jugendschutzgesetzes ist es seit 2016 allerdings nur noch Erwachsenen in Deutschland gestattet, E-Zigaretten zu kaufen und öffentlich zu konsumieren. Kritiker befürchten dennoch, dass gerade Werbung für fruchtig duftende Zigarettenalternativen jungen Menschen suggeriere, dass Rauchen und Nikotin harmlos seien.
Aus den Ergebnissen des jährlichen sogenannten Alkoholsurveys der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das auch das Rauchverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland abbildet, wird deutlich, dass der Anteil rauchender Jugendlicher grundsätzlich rückläufig ist. Im Jahr 2018 gaben 6,6 Prozent der jungen Leute an, zu rauchen. Im Jahr 2001 waren es noch 27,5 Prozent. Der Anteil Jugendlicher, die noch nie geraucht haben, war demnach 2018 so hoch wie nie zuvor. Von E-Zigaretten haben laut Survey nahezu alle Jugendlichen in Deutschland schon einmal gehört (97,2 Prozent) und drei Viertel aller Jugendlichen kennen E-Shishas. In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen hat etwa jeder siebte beziehungsweise jeder sechste bereits E-Zigaretten oder E-Shishas ausprobiert. Unter den 18- bis 25-Jährigen ist die Anzahl mit 29,9 Prozent deutlich höher.

Das 1x1 der Inhaltsstoffe

Sowohl E-Zigaretten (nikotinhaltig) als auch E-Shishas (ohne Nikotin) kommen ohne Kohlenmonoxid, Blausäure, Arsen oder krebserzeugende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe aus. Doch während nikotinhaltige Liquids vom strengeren Tabakrecht erfasst werden, gilt für nikotinfreie Liquids nur die weniger strenge CLP-Verordnung der Europäischen Union. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sind gewisse Inhaltsstoffe und Emissionen wie Aromazusätze und Vernebelungsmittel, Feinpartikel, ultrafeine Partikel und Carbonylverbindungen einschließlich Acrolein, Acetaldehyd und das krebserzeugende Formaldehyd in den Risikobewertungen der E-Zigaretten zu berücksichtigen. „Aromazusätze wie Vanilline, Menthol, Apfelsäure, Ethylacetat und Linalool sind lediglich als Aromastoffe in Lebensmitteln in der EU zugelassen“, so Harald Tschiche, Wissenschaftler der Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit am BfR im Gespräch mit dem RÄ. „Auf den Verpackungen der Liquids werden sie oft nur als Aromen deklariert. Man weiß also nicht genau, was man eigentlich einatmet.“ Ob das „Vapen“ langfristige Gesundheitsrisiken berge, sei daher immer noch schwer einschätzbar und variiere je nach Flüssigkeit und Empfindlichkeit des Konsumenten.
Die zu verdampfenden Flüssigkeiten bestehen aus der hygroskopischen Flüssigkeit 1,2-Propandiol (Lebensmittelzusatzstoff E 1520) und dem Zuckeralkohol Glycerin (Lebensmittelzusatzstoff E 422). Wasser, Lebensmittelaromen und Nikotin sind optional. Abgesehen vom Nikotin finden sich diese Inhaltsstoffe auch im Rauch der seit Jahrzehnten gebräuchlichen Nebelmaschinen. Sie dienen vor allem der Erzeugung eines vom Konsumenten als angenehm empfundenen Dampfes. Bei einigen Menschen kann das Einatmen des Nebels zu Atemwegsirritationen führen.

Neue Studien, neue Risiken

Die aktuellen Auswertungen einer Langzeitstudie der University of California San Francisco (UCSF), die vergangenes Jahr im American Journal of Preventive Medicine veröffentlicht wurde, zeigen, dass die Risiken, durch „Vapen“ an chronischen Lungenbeschwerden zu erkranken, höher sind als bisher erwartet. Unter der Leitung von Universitätsprofessor Stanton Glantz, Direktor des UCSF Center for Tobacco Control Research and Education, wurden Daten von 32.000 erwachsenen Rauchern über einen Zeitraum von drei Jahren analysiert. Keiner der Teilnehmer hatte zu Beginn der Studie Lungenprobleme. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen, die E-Zigaretten konsumierten, um ein Drittel häufiger chronische Lungenerkrankungen wie Asthma, Bronchitis oder Lungenemphyseme entwickelten. Die Forscher betonten, dass die Studie nicht im Zusammenhang mit den Vorfällen aus dem Sommer 2019 stehe. In den USA waren Todesfälle bekannt geworden, die auf den Genuss von E-Zigaretten zurückgeführt wurden. Dabei spielten laut New York State Department of Health bestimmte THC-Liquids (THC = Tetrahydrocannabinol, die psychoaktive Substanz der Hanfpflanze) eine Rolle, die Vitamin-E-Öl enthielten. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) dürfen den Flüssigkeiten in Deutschland keine Vitamine zugefügt werden, damit sie nicht den Eindruck erwecken, gesund zu sein. 
Im Rahmen der „PiMont“-Studie (PiMont steht für „Pilotprojekt Monitoring von Vergiftungen“) wurden in Deutschland im vergangenen Jahr knapp 900 Vergiftungen und/oder Vergiftungsverdachtsfälle nach Kontakt mit E-Zigaretten oder E-Liquids registriert. In knapp acht Prozent der Fälle gaben die Konsumenten an, die Geräte und Flüssigkeiten bestimmungsgemäß gebraucht zu haben (Einatmen, Inhalation). Das versehentliche Verschlucken von Liquids stellt laut Studie mit 82 Prozent den häufigsten Grund für Anfragen zu E-Zigaretten bei den Giftinformationszentren in ganz Deutschland dar. Häufig waren Kleinkinder davon betroffen. Im Zeitraum von Mai 2018 bis Februar 2019 wurden in der PiMont-Studie insgesamt 167 Fälle mit Vergiftungsverdacht genauer erfasst: Nach Einatmen des Dampfes hatten die Konsumenten in über 90 Prozent der Fälle keine oder nur leichte Symptome. Sieben Fällen wurde ein mittlerer Schweregrad zugeordnet, davon sechs nach Verschlucken der Flüssigkeit und einer mit wiederholtem Erbrechen nach Einatmen. Nur bei zwei Konsumenten kam es zu einer schweren Vergiftung. In beiden Fällen hatten die Betroffenen starke Bewusstseinsstörungen, nachdem sie ein Liquid verschluckt hatten.
Bereits das Verschlucken geringer Mengen nikotinhaltiger Liquids kann deutliche Gesundheitsbeschwerden hervorrufen. Bei der Aufnahme größerer Mengen Nikotin kann es zu lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen kommen. Das BfR rät Konsumenten daher, E-Liquids immer in dafür geeigneten, etikettierten Behältnissen mit kindergesichertem Verschluss aufzubewahren. „Trotz der nun vorliegenden Ergebnisse müssen wir hinsichtlich des Gebrauchs von E-Zigaretten weiter wachsam sein“, sagte BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. „Vor allem raten wir nachdrücklich davon ab, Liquids selbst zu mischen.“