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Globale Gesundheit beginnt bei uns

27.02.2020 Seite 12
RAE Ausgabe 3/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 3/2020

Seite 12

In der Debatte um globale Gesundheit setzten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 2016 gemeinsame Ziele für eine Welt ohne Armut, Hunger und Krankheiten. Aber können diese Ziele angesichts der unterschiedlichen Wohlstandsverteilung auf der Welt realisiert werden? Bei einer Veranstaltung in Düsseldorf beleuchteten Experten aus Medizin und Politik die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit und die neuen Herausforderungen einer international vernetzten Gesellschaft.

von Vassiliki Latrovali und Jocelyne Naujoks

„Wenn jeder nur an sich selbst denkt, kommen wir nicht voran. Nur wenn wir gemeinsam arbeiten, werden wir die gesundheitlichen Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen können“, sagte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, bei der Begrüßung zur Ausstellungseröffnung „Globale Gesundheit beginnt bei uns“ des Medikamenten-Hilfswerks action medeor e.V.. Unterstützer der Ausstellung im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft waren die Ärztekammer Nordrhein, die Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, die Apothekerkammer Nordrhein sowie die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf. „Durch unbegrenztes weltweites Reisen und die Möglichkeit von Warenlieferungen rund um den Globus können sich Gesundheitsgefahren grenzüberschreitend ausbreiten“, sagte Henke. In diesen Tagen verdeutliche das von dem chinesischen Wuhan ausgehende und sich weltweit verbreitende Coronavirus diesen Umstand. „Eine unzureichende Epidemie- und Pandemie-Vorsorge stellt somit eine große globale Gefahr für die Gesundheit einzelner Menschen und Gemeinschaften auf der Welt dar“, so der Ärztekammerpräsident. „Wir brauchen nicht nur dringend nationale und internationale Notfallpläne bei Epidemien und Pandemien, wir brauchen auch in allen Bundesländern einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst mit guter personeller Ausstattung, der in Krisenzeiten die erforderlichen Koordinationsaufgaben wahrnehmen kann.“ Auch das Thema Antibiotikaresistenzen habe globale Bedeutung. „Die Ärzteschaft ist sich ihrer Verantwortung für eine zurückhaltende Antibiotikaverordnung bewusst. Dennoch ist weitere Aufklärungs- und Informationsarbeit notwendig“, sagte Henke. Nur so könnten Infektionskrankheiten langfristig effektiv bekämpft werden.

„Der Öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland muss sicherlich personell besser auf Epidemien und Pandemien vorbereitet sein, da ist noch Luft nach oben“, sagte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Besorgniserregend sei auch, dass durch Epi- und Pandemien auf anderen Kontinenten komplette Wirtschaftssysteme zusammenbrechen können. „Das betrifft Deutschland gerade akut. Denn bereits vor der Corona­Pandemie haben wir Lieferengpässe bei gewissen Medikamenten beklagt, die fast ausschließlich in Asien und Afrika produziert werden. Angesichts der Auswirkungen des Coronavirus auf die Produktion in China könnten sich diese Lieferengpässe noch einmal verschärfen“, so Bergmann.

Humanitäre Verantwortung

„Globale Verantwortung und regionale Gesundheitsversorgung sind nicht trennbar. Das geht uns alle etwas an. Das Prinzip ‚America first‘ ist absolut unzulänglich“, sagte Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

„Unsere Hilfe und Unterstützung beim Aufbau von Infrastruktur und Gesundheitsversorgung ist für Entwicklungsländer enorm wichtig. Wir können uns hier in Deutschland nicht in bequemer Resignation üben“, so der ehemalige Bundesgesundheitsminister. Die Bundesrepublik habe sich verpflichtet, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, an denen sich auch die Ausstellung von action medeor orientiert, zu verwirklichen. „Wenn wir uns nicht um den Klimawandel und die voranschreitenden Antibiotikaresistenzen kümmern, dann sieht es wirklich dunkel aus.“ Auch die Tiergesundheit sollte höchste Priorität haben, sagte Gröhe weiter. „Ernährung und Gesundheit sind eng miteinander verknüpft.“

Mangelnde Hygiene, eine unzureichende Wasserversorgung und Mangelernährung seien nur einige Faktoren, die Krankheits- und Seuchenausbrüche in Entwicklungländern begünstigten. „Es geht nicht darum, diese Länder mit High-Tech Spitzenmedizin auszustatten, sondern den Menschen vor Ort eine Basis­Gesundheitsversorgung zu ermöglichen“, sagte Gröhe. Er selbst habe 2015 während der Ebola-Krise die drei am gravierendsten betroffenen westafrikanischen Länder Guinea, Sierra Leone und Liberia besucht und gesehen, an welchen Stellen in Absprache mit den Menschen vor Ort Hilfe gebraucht werde.

Humanitäres Engagement habe in Deutschland bereits in der Nachkriegszeit begonnen, als sich Vereine wie die Kindernothilfe, action medeor oder die Deutsche Welthungerhilfe gründeten. „Noch mit dem Wissen um Hunger und Not verstand man damals, dass die Entwicklungsländer auf uns angewiesen sind“, sagte Gröhe. „Wir haben heute nationalistischen Populismus im eigenen Parlament sitzen, der bei der vergangenen Haushaltsdebatte eine 40-prozentige Kürzung des Entwicklungsetats forderte“, erläuterte Gröhe. „Diese Menschen möchten weder Geflüchtete in Deutschland haben, noch den Entwicklungsländern dazu verhelfen, auf eigenen Beinen zu stehen.“

Gesundheit als Privileg

Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine globale Gesundheit gibt“, sagte Professor Dr. René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamts Frankfurt am Main. Hauptgrund für die unterschiedliche Ausstattung der Gesundheitssysteme sei die anhaltende Armut der Entwicklungsländer. „Um dagegenzusteuern bräuchten diese Länder sauberes Trinkwasser, ein funktionierendes Gesundheitssystem und Bildungseinrichtungen.

Die Notapotheke der Welt

„Ich helfe, ich heile“ ist die deutsche Übersetzung des aus dem lateinischen stammenden Wortes „medeor“. Im Jahr 1964 gab sich der Verein action medeor diesen Namen. Entstanden war der Verein aus der Initiative des Tönisvorster Hausarztes Dr. Ernst Boekels. Er begann bereits im Jahr 1963 damit, bundesweit Medikamente zu sammeln und an bedürftige Menschen in Entwicklungsländern zu schicken. Bis heute lagert action medeor, seit 2001 eine Stiftung, Medikamente, medizinisches Material und Instrumente auf rund 4.000 Quadratmetern Lagerfläche in Tönisvorst, von wo aus die medizinische Hilfe in rund 100 Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika versendet wird.

Um zukünftige Katastrophen und ihr Ausmaß zu verringern, unterstütze action medeor außerdem die Stärkung der Gesundheitssysteme vor Ort, zum Beispiel mit dem Aufbau einer Hebammenschule in Sierra Leone, so Christoph Bonsmann, Vorstandsmitglied von action medeor. „Die Organisation unterstützt zudem gemeinsam mit lokalen Partnern verschiedene Gesundheitsprojekte und engagiert sich bei der Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal und Pharmazeuten vor Ort.“

„Wir im Norden leben in gewisser Weise auf Kosten der Länder des Globalen Südens. Wir verbrauchen mit 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent aller Ressourcen. Eine Folge davon ist, dass sich im Süden viele Menschen nicht einmal eine Basis-Gesundheitsversorgung leisten können“, sagte Bonsmann anlässlich der Ausstellungseröffnung in Düsseldorf. Das begünstige das Ausbrechen von Krankheiten, die Europa als Epidemien einholten.

Dr. Ute Teichert, Beiratsvorsitzende von action medeor und Leiterin der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen, lud Interessierte ein, sich das Lager in Tönisvorst einmal anzusehen. Jeder könne sich ehrenamtlich bei ihnen engagieren und ihre Arbeit unterstützen. Denn, so zitierte Teichert: „Globale Gesundheit beginnt bei uns.“

Die beste Prävention gegen Infektionskrankheiten sei deshalb, die Lebensbedingungen der Menschen am Ort des Entstehens drastisch und schnell zu verbessern. „Solange wir die Armut in der Welt zulassen, dürfen wir uns nicht wundern, dass die Infektionskrankheiten dieser Menschen zu uns kommen“, so Gottschalk. Das einzig faire an der Globalisierung sei, sagte Gottschalk und entschuldigte sich für diesen Zynismus, dass wir uns gegen die durch die Globalisierung entstehenden infektiologischen Probleme, von denen die ärmsten Länder der Welt schon lange und teils apokalyptisch betroffen seien, in keiner Weise schützen könnten. Denn, sagte Gottschalk: „Die Globalisierung ist ein Segen für die industrialisierte Welt, für die Entwicklungsländer ist sie ein Fluch.“

Die Erderwärmung habe zudem zu verheerenden Konsequenzen für das pflanzliche und tierische Leben auf unserem Planeten geführt. Lebensformen wie Keime oder Mikroorganismen, die der Mensch als nicht unbedingt förderlich empfinde, steckten die Klimaveränderungen allerdings besonders gut weg. In den vergangenen zehn Jahren haben seinen Beobachtungen zufolge hochpathogene Infektionserreger in Deutschland und in der Europäischen Union zugenommen. Das zunehmend globalisierte Welthandelssystem sowie der Flugverkehr bringen neue Infektionskrankheiten, die zu einem wachsenden Problem für unsere Gesundheitssysteme würden, sagte Gottschalk. „Dass uns heutzutage die Jugend darauf hinweisen muss, wie schlimm es in der Welt ist, verstehe ich nicht“, so Gottschalk. Wie könne es sein, dass die Antwort der westlichen Welt auf die globalen Klimaveränderungen und dadurch entstehende Umweltkatastrophen nicht von Universitäten und Politikern komme, sondern von einem jungen Mädchen mit Namen Greta Thunberg?